Genug gequalmt!

Chic mit Tschick: Die US-Serie „Mad Men“ machte 60er-Partys und „Lucky Strike“ wieder interessant.
Vor Jahrzehnten wurde die Zigarette als Schlankmacher beworben, heute ist ihr Ruf ruiniert.

Das Bild einer zerfressenen Lunge, dazu die Botschaft "Rauchen verursacht Krebs!" – in einigen Ländern sind diese Schockbilder schon auf Zigarettenschachteln zu sehen. Innerhalb der EU soll es ab 2017 so weit sein. Die Tschicks bringen den Tod, daher sind Werbespots im Fernsehen und Radio verboten, sogar auf Formel-1-Boliden.

Heute kaum noch vorstellbar: Das Image der Zigarette war einst ein völlig anderes, nämlich ein durch und durch positives. Der Erste Weltkrieg verhalf der Zigarette eigentlich erst zum Durchbruch (siehe unten), erläutert der Jenaer Historiker Dr. Gerulf Hirt. Er gehört zum BMBF-Forschungsverbund "PolitCIGs", der Zusammenhänge zwischen den Kulturen des Rauchens und den politischen Kulturen im deutschsprachigen Raum des 20. und 21. Jahrhunderts erforscht.

Geht man ein paar Jahrzehnte weiter zurück, in die Zigaretten-Steinzeit, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Im 17. Jahrhundert wurden dem Tabak sogar heilsame Wirkungen zugeschrieben. "Tabak ‚trinken‘ war damals die Bezeichnung für das Rauchen, weil man nicht wusste, wie man es nennen sollte. Als sich die Zigarette gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete, wurde sie nicht kritisch betrachtet", erklärt Hirt. Die erste große Zigarettenfabrik im Deutschen Reich, die Compagnie Laferme, eröffnete 1862 in Dresden. Dort kam 1886 die Orientalische Tabak- und Zigarettenfabrik Yenidze hinzu. 1865 folgte die erste Zigarettenfabrik in Österreich.

Zigarettenwerbung im Wandel der Zeit

Genug gequalmt!

Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum der Ar…
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Genug gequalmt!

Exotisch

Grußbotschaften wie "Salem Aleikum" vermittelten Exotik. Andere Hersteller druckten rauchende Beduinen ab. "Die Sehnsucht nach der Ferne spiegelte sich in den Packungen und Bildwelten wider", sagt der Historiker. Mit Ausbruch des Krieges änderten einige Produzenten schlagartig ihre Werbelinie. Aus kosmopolitisch angehauchten Namen wie "Gil d’Or" wurde "General Goeben", aus "Gibson Girl" wurde "Wimpel", und "La Fleur" mutierte zu "Gudrun". Das Motiv: Kameraden, die sich eine ansteckten, dazu der Schriftzug "Unzertrennlich". In Berlin wie in Wien gab es Sammelstellen, über die Zigaretten-Packungen an die Front verschickt werden konnten. "Soldaten schrieben zudem – teils makaber anmutende – Bittbriefe an ihre Lieben und an diverse Zigarettenhersteller." Im Februar 1915 erreichte ein Brief den Besitzer einer Breslauer Tabakfabrik: "Herr Borg ich bitte sehr, ach senden Sie nur No. 18 her. Vergessen ist alle Qual und Not, wir rauchen und schlagen die Russen tot."

Überlebenswichtig

In der Anfangsphase des Krieges reisten sogar Verwandte oder Freunde der Soldaten an die Front, um ihnen die begehrten Zigaretten zu bringen. "Für Soldaten stellten sie ein überlebensnotwendiges Produkt dar, das einer materiellen Brücke von der Front in die ersehnte Heimat gleichkam." Die Zigaretten waren Betäubungsmittel, Placebos, Hungerblocker und Stimuli vor der Schlacht sowie Tauschwährung – das sollte sich auch im Zweiten Weltkrieg nicht ändern. US-Soldaten brachten nach 1945 nicht nur Kaugummi, sondern auch "American Blend"-Zigarette in den westdeutschen Besatzungszonen in Umlauf und Marken wie "Texas" oder "Gold-Dollar" nach Europa. "Form und Geschmack der Zigaretten änderten sich fundamental", sagt Hirt. Ein Werbereim wie "Aus gutem Grund ist Juno rund" machte deutlich, dass die Marke nur noch amerikanische Tabake enthielt. Orient-Zigaretten hatten hingegen einen ovalen Querschnitt. Deutsche Hersteller lancierten Marken wie "Fox", die amerikanisch klangen. Der größte Coup gelang dem Hersteller Reemtsma 1958, mit der Zigarettenmarke "Peter Stuyvesant" und dem Werbeslogan: "Der Duft der großen weiten Welt". "Wie kaum eine andere Marke suggerierte diese Zigarette eine Konsumierbarkeit von Kosmopolitismus."

Die Omnipräsenz der Zigarette im Nachkriegsamerika zeigt heute die TV-Serie "Mad Men". Ein Vertreter der British-American Tobacco Company, Hersteller von Lucky Strike, kommt als Kunde einer Werbeagentur vor. Laut Telegraph konnte der Konzern seinen Umsatz seit Serienstart 2007 von 23 auf 33 Milliarden US-Dollar steigern. Auch Frauen wurden in den 1920ern als Zielgruppe für Zigarettenwerbung entdeckte – mit dem Slogan "Reach for a Lucky instead of a sweet" (Greif lieber zur Zigarette als zu Süßigkeiten).

Marlboro-Man

Der Marlboro-Man eroberte den deutschsprachigen Markt erst spät – die Zigarettenmarke etablierte sich laut Historiker Hirt erst in den 1980er-Jahren. Der pofelnde Cowboy mit Lasso galoppierte bereits seit 1954 durch die Werbelandschaft. Allerdings: Drei der Darsteller starben an Lungenkrebs. Der Erste, der für den Konzern durch die Prärie ritt, war Wayne McLaren. Als er 1990 die Krebs-Diagnose erhielt, startete er eine Anti-Tabakkampagne: In einem Spot trat er als Cowboy und als Sterbenskranker auf. Damals wusste man bereits viel über die tödlichen Folgen des Rauchens.

Mitte des 20. Jahrhunderts stellten Forscher die ersten Untersuchungen an. Heute beschäftigt sich die Gesundheitspolitik mit der Frage, wie man Menschen mit den richtigen Botschaften vom Rauchen abhält. Die Wirkung von Schockbildern ist umstritten. Studien zeigen, dass positive Botschaften, die die Vorteile eines rauchfreien Lebens hervorheben, wirken. Forscher des "Georgetown Lombardi Comprehensive Cancer Center" wiesen nach, dass gute Nachrichten bei jenen wirken, die sich zutrauen, mit dem Rauchen aufzuhören. Aktuell schließt sich der Kreis zu den Anfängen der Zigarette. Mehr als drei Milliarden US-Dollar (2,4 Mrd. Euro) Jahresumsatz macht die Tabakindustrie mit E-Zigaretten. Vermarktet werden sie als "gesündere Alternative" zur klassischen Zigarette. Doch der Schein trügt. In den E-Zigaretten enthaltene Lösungsmittel und Additive stehen in begründetem Verdacht, die Lunge zu schädigen. Es muss nicht nur der Teer des "guten, alten" Tschicks sein.

Die politischen Kulturen des Rauchens:

Der interdisziplinäreForschungsverbund "PolitCIGs" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Rainer Gries setzt sich aus Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Hamburger Museums der Arbeit und der Sigmund Freud Privatuniversität Wien zusammen. Im Oktober erscheint "Zigaretten-Fronten" über das Rauchen der Soldaten im Ersten Weltkrieg im Jonas Verlag, 25 Euro. Drei weitere Bände folgen.

Genug gequalmt!
Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum der Arbeit / Reemtsma-Archive

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