Nesthocker: Wieso so viele Erwachsene noch bei den Eltern wohnen

Nesthocker: Wieso so viele Erwachsene noch bei den Eltern wohnen
Jeder zweite Student kann sich kein Dach überm Kopf leisten. Für Familien kann das zur Belastung werden.

Nichts ist günstiger als das Hotel Mama: 59 Prozent der Studierenden in Österreich können sich keine eigene Wohnung leisten, geht aus einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Sparkassen und der s-Bausparkasse hervor. Das ist ein dramatischer Anstieg gegenüber 2010. Damals sagten nur 28 Prozent der Studenten, dass sie bei den Eltern wohnen. "Die große politische Frage ist, ob man genügend leistbare Wohnungen für diese jungen Leute bauen kann", sagt Josef Schmidinger, Chef der s-Bausparkasse.

Mithilfe ihrer Eltern richtet derzeit die 29-jährige Sandra ihre erste Wohnung her. Bis jetzt wohnte die Lehrerin zu Hause: "Das ist gemütlicher, einfacher, günstiger. Die einzige Unterstützung, die meine Eltern mir geben konnten, war, dass ich hier wohne. Jetzt bin ich noch immer abhängig: von ihren Zeitressourcen beim Sanieren." Sie entspricht dem Trend des emerging adulthood, dem langsamen Erwachsenwerden. "Das erste Klo habe ich beim Auslandstudium geputzt, nicht zu Hause."

Auch die 23-jährige Anna hat nach der Matura kurz in Wien gewohnt – vor zwei Jahren ist sie zurück zu ihren Eltern nach Niederösterreich gezogen. "Ich lebe lieber am Land als in der Stadt", sagt die Lehramtsstudentin, die mehrmals pro Woche nach Wien pendelt. "Außerdem habe ich in unserem Haus mehr Platz als in einer WG. Falls ich meine Ruhe haben will, kann ich in die Wohnung meines Freundes ausweichen." Statt der teuren Miete in Wien finanzieren ihr die Eltern nun ein Auto.

"Früher lagen der Auszug aus dem Elternhaus und die eigene Haushaltsgründung zeitlich näher beieinander. Heute ist das zeitlich entkoppelt", heißt es im Statistikbericht zu österreichischen Familien. Soziologin Christine Geserick vom Institut für Familienforschung (Uni Wien) analysierte die Daten: "1971 wohnte nur jeder zehnte Mann zwischen 30 und 34 Jahren bei den Eltern, heutzutage ist es fast jeder fünfte." Bei den Frauen blieb das konstant: Rund eine von 20 zwischen 30 und 34 Jahren ist bei den Eltern gemeldet.

Geserick betont die kulturellen Unterschiede: "In Süd- und Osteuropa ist es noch üblich, dass man erst auszieht, wenn man eine Familie gründet. In Russland ziehen sogar Ehepaare gemeinsam zu den Eltern." Die Unterschiede hängen auch von den Fördersystemen der Länder ab: Wo es mehr soziale Unterstützung gibt, können junge Erwachsene unabhängiger sein.

Gute Verhältnisse

Neben dem Geldmangel motiviert die Zufriedenheit bei den Eltern viele Junge, zu Hause zu bleiben, stellte die Soziologin Christiane Papa-stefanou fest: "Seit den 1970er-Jahren hat sich das Autoritätsgefälle zwischen Eltern und Kindern verwässert, das Verhältnis ist aus Kindersicht entspannter geworden." So auch in Christophs Familie. Der 28-Jährige arbeitet, seit er 15 ist – aus seinem Kinderzimmer möchte er trotzdem (noch) nicht ausziehen. Seit Kurzem holt er neben seinem Fulltime-Job die HTL-Matura nach. "Natürlich spare ich mir einiges, wenn ich bei den Eltern wohne. Aber es ist nicht nur das. Für Menschen wie mich, die den ganzen Tag arbeiten und nicht viel Zeit haben, ist es angenehm, wenn der Haushalt erledigt wird. Wenn ich heimkomme, steht immer ein Essen auf dem Tisch."

Von Söhnen wie ihm handelt der US-Film "Zum Ausziehen verführt", wo Eltern ihre Söhne liebevoll aus dem Haus bekommen wollen. Das Hotel Mama macht nämlich nicht alle glücklich, zeigte Verhaltensökonom André Ebner: "Die Zufriedenheit von Eltern und erwachsenen Kindern in gemeinsamen Haushalten ist niedriger als in getrennten." Vor allem die Mütter entsprechen nicht dem Klischee, dass sie ihre Kinder endlos verwöhnen wollen: 70 Prozent der Mamas empfinden eine persönliche Einschränkung wegen des Aufwandes für Kinder.

Doch in der jungen "Generation Boomerang" müssen Eltern darauf gefasst sein, dass die Freiheit schnell vorbei ist: Weil die Kinder zurückkommen, wenn eine Beziehung zerbricht oder weil sie sich die Unterkunft nicht mehr leisten können.

Mitarbeit: I. Kischko

Männer – Frauen

Männer bleiben überall länger bei den Eltern. Laut Volkszählung lebt ungefähr jeder fünfte Mann zwischen 30 und 34 Jahren noch zu Hause, aber nicht einmal jede zehnte Frau.

Stadt – Land

Junge Erwachsene am Land wohnen länger zu Hause als in der Stadt. Grund dafür sind jedenfalls die großzügigeren Wohnverhältnisse.

Gemeinsam – Geschieden

Junge Erwachsene aus intakten Familien bleiben länger zu Hause als Kinder aus Trennungsfamilien. Besonders die Kinder alleinerziehender Mütter stehen früh auf eigenen Beinen. Das könnte neben finanziellen auch psychosoziale Gründe haben.

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