Frühlingserwachen: 10 Mythen im Faktencheck

Leben erblüht.
Die Jahreszeit macht müde und Lust auf mehr Sex: Was ist dran an den Volksweisheiten?
Von Uwe Mauch

Frühlingserwachen. Ab heute werden die Tage werden länger und heller, die Temperaturen steigen (hoffentlich). Und es gibt viele Thesen, die uns jetzt durch den Kopf gehen. Welche stimmen? Der KURIER bat Experten um Aufklärung.

1. Das Frühjahr macht müde

"Jein", erklärt dazu der Psychologe Gerhard Klösch, der im Schlaflabor der Medizinischen Universität im Wiener AKH arbeitet. "Ja, weil wir durch die veränderten Lichtverhältnisse im März beginnen, weniger zu schlafen. Daher kann es sein, dass wir uns tagsüber müder fühlen." – "Nein, weil aus Patientenumfragen hervorgeht, dass sich nach dem mentalen Tief im Jänner und Februar die Stimmung insgesamt wieder aufhellt. "Mehr Licht bedeutet, dass sich der Melatonin-Haushalt verändert", ergänzt die Psychologin Natalia Ölsböck. Dieser Frühjahrsbonus kann dann bis Mai, Juni anhalten. Doch Ungemach droht: Hat sich der Körper an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt, kann erneut eine Depression auftreten.

2. Grün ist die Farbe der Hoffnung

Die Raum- und Farbexpertin Maria Husch nickt: "Grün ist die Farbe des Frühlings, der die Kälte des Winters besiegt. Er bringt Wachstum, Fruchtbarkeit und Leben in die Natur. Als Farbe im Raum hat Grün positive Wirkung auf wirtschaftliches Wachstum, Reichtum, Entwicklung und Glück. Hervorzuheben ist auch die äußerst positive therapeutische Wirkung auf Körper und Seele."

Frühlingserwachen: 10 Mythen im Faktencheck

3. Der Frühling macht Lust auf Sex

Der Wiener Psycho- und Sexualtherapeut Johannes Wahala bestätigt, was auch an Stammtischen erzählt wird – und beruft sich auf den menschlichen Biorhythmus: "Nach den dunklen kalten Wintertagen kommen die Sexualhormone wieder mehr in Schwung. Sie reagieren auf das Licht, das durch das Auge in unser Gehirn gelangt. Die Lichtmenge steuert unter anderem die Produktion des Schlafhormons Melatonin, das jetzt den Sexualhormonen Testosteron und Östrogen weichen muss. Im Frühjahr steigt auch die sexuelle Erregbarkeit an." Der Volksmund spricht von "Frühlingsgefühlen".

4. Im Frühling wollen sich alle verlieben

"Im Frühling haben wir mehr Registrierungen als im Herbst," konstatiert eine Sprecherin der Partnerbörse Parship. "Unsere User versenden da auch deutlich mehr Nachrichten." Vor allem zu Ostern ist Hochbetrieb: "Am Ostermontag 2015 gab es bei uns um 60 Prozent mehr Registrierungen als an einem durchschnittlichen Montag." Aufgrund des veränderten Hormonspiegels wirkt das Frühjahr auch auf unser Sexualleben, sind sich Psychologin Ölsböck und Therapeut Wahala einig. Belebend! Der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften und Leiter der Beratungsstellen Courage in Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck erklärt dazu: "Die Steigerung der Sexualhormone bewirkt in der Regel eine gesteigerte Wahrnehmung und Bereitschaft der körperlichen und erotisch-sexuellen Anziehung." Für die enthusiastischen Gefühle, die dabei entstehen und ein Gefühl der Verliebtheit auslösen können, wären jedoch Nervenbotenstoffe, die sogenannten Neurotransmitter, verantwortlich. Wahala: "Oxytocin fördert die Bereitschaft zu sozialer Interaktion und partnerschaftlichem Bindungsverhalten. Dopamin und Serotonin können die Anziehung und Verliebtheit aufgeregt und rauschhaft erleben lassen. Endorphine erzeugen Glücksgefühle und eine Hochstimmung. Dazu kann im Frühjahr auch bestimmten Düften eine aphrodisierende Rolle zukommen."

Frühlingserwachen: 10 Mythen im Faktencheck

5. Mehr Licht erzeugt bessere Stimmung

Univ.-Prof. Siegfried Kasper, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien im AKH, holt zunächst aus: "Leider haben wir uns mit dem Beginn des industriellen Zeitalters zu sehr von den äußeren Einflüssen, auch vom Licht, entfernt. Viele Menschen erleben daher Symptome eines Lichtmangels, der durch reduzierten Antrieb, eine eher gedrückte Stimmungslage und einen damit verbundenen Kohlehydrateheißhunger gekennzeichnet sein kann." Dann antwortet der Experte konkret: "Der Frühlingsbeginn lässt unsere ,Lebensgeister‘ wieder erwachen, was jedoch nicht für alle Menschen gleich gut ist. Menschen mit einer erhöhten Empfindlichkeit im Sinne einer Depression erleiden gerade in dieser Zeit des Jahres, wenn sozusagen ihre Batterien ganz leer sind, paradoxerweise eine depressive Verstimmung. Weil sie nicht so wie ihre Mitmenschen mit dem gleichen Schwung mitziehen können und sich dadurch schlechter bzw. zurückgesetzt fühlen."

6. Bärlauch und Spinat sind gesund

"Das kann man so isoliert nicht stehen lassen", widerspricht die Ernährungswissenschafterin Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation einer oft gehörten Ansicht. Und verweist darauf, dass gesunde Ernährung nur auf einem gesunden Mix verschiedener Nahrungsmittel basieren kann. "Empfohlen werden mindestens fünf Portionen – jeweils eine Handvoll – Obst und Gemüse pro Tag." Punkto Gemüse rät Beck, täglich möglichst unterschiedliche Farben (grün, orange, rot, weiß) und Pflanzenteile (Blätter, Knollen, Früchte) zu sich zu nehmen.

7. Der Frühling ist die beste Zeit für einen Neubeginn

Der Psychologin Natalia Ölsböck fällt dazu zunächst der alte Spruch ein: "Alles neu macht der Mai." Dann führt sie aus: "Wenn ringsum die Natur erwacht und sich verändert, wird die Welt licht und bunt. Das schenkt uns Kraft und lädt auch zu Veränderung ein. Sei es der Frühjahrsputz, der uns gleich ein wenig Platz für Neues schaffen lässt, oder die Lust auf Frühlingsmode samt neuer Frisur. All diese äußeren Veränderungen schaffen auch innerlich ein wenig Ordnung in unserem Leben und helfen beim Loslassen."

Frühlingserwachen: 10 Mythen im Faktencheck

8. Im Frühling sind wir am fruchtbarsten

Therapeut Johannes Wahala weiß: "Da die Sexualhormone – bei den Männern Testosteron, bei den Frauen Östrogen – im Frühjahr durch Licht und Düfte vermehrt angeregt und ausgeschüttet werden, erleben viele Menschen ihre sexuelle Erregbarkeit und Lust verstärkt. Intensives Wahrnehmen von Erregung und Lust beeinflusst in der Regel auch die Fruchtbarkeit."

9. Der Frühlings riecht anders

"Im Frühling besteht die Luft aus ganz anderen Molekülen", analysiert der Bochumer Duftexperte Hanns Hatt, der sich seit Jahren mit der menschlichen Geruchswahrnehmung beschäftigt. "Die noch feuchte Erde riecht anders. Durch die ersten Sonnenstrahlen, die den Boden erwärmen, erwacht die Natur." Doch Hatt schränkt auch ein: "Der Duft des Frühlings bedeute für jeden Menschen etwas anderes – je nachdem, wo er aufgewachsen ist: So haben die Amerikaner mit Sicherheit ganz andere Vorstellungen vom typischen Frühlingsduft als Asiaten." Die Welt ist also doch etwas komplexer als man denkt.

10. Frühling ist, wenn's in der Fußball-Champions-League um alles geht.

Tatsächlich können Fußballfans ihre innere Uhr nach dem finalen Modus der Champions League stellen. Irgendwann zwischen März und Mai kommt es zum "Kracher", wie sich Boulevardzeitungen Frühjahr für Frühjahr wiederholen. Dann trifft der ewige Meister aus Deutschland (Bayern München) auf die Könige aus Spanien (Barcelona oder Real Madrid). Spätestens ab dem Halbfinale schießt vor allem das Geld die Tore. Da haben sogar Mannschaften mit einem Scheich oder Chemiekonzern im Rücken keinen Auftrag mehr. Ganz zu schweigen von Red Bull.

Malerei: Eines der berühmtesten und wertvollsten Gemälde der Welt heißt "Le Printemps"="Frühling". Es wurde von dem Impressionisten Edouard Manet gemalt und kam im November 2014 im Auktionshaus Christie’s unter den Hammer. Für sagenhafte 65,1 Millionen US-Dollar wurde es für das J. Paul Getty Kunstmuseum ersteigert.

Dichtung:Das Thema "Frühling" findet sich wie kaum ein anderes in der Dichtung wieder. Das wohl bekannteste Frühlingsgedicht wurde von Eduard Mörike im Jahr 1828 geschrieben – mit dem Titel"Er ist’s": "Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte." Besonders schön drückte es der libanesisch-amerikanische Philosoph Khalil Gibran aus: "Die Blumen des Frühlings sind die Träume des Winters."

Astronomie: Der Frühling hat heute, 22.3.2016, exakt um 5:30 Uhr begonnen. Dabei handelt es sich um eines der beiden Äquinoktien – Tag- und Nachtgleichen –, die jeweils den Frühlings- oder Herbstbeginn markieren. Die Sonne steht exakt senkrecht über dem Erdäquator. Weltweit ist es dann annähernd 12 Stunden hell und 12 Stunden dunkel. Der Frühlingsbeginn erfolgt diesmal so früh, weil im Februar ein Tag eingeschaltet wurde. Nach dem 20. März sind in unseren Breiten die Tage wieder länger als die Nächte.

Wetterkunde: Meteorologisch begann das Frühjahr auf der Nordhalbkugel bereits am 1. März.

Kommentare