Forscher untersuchen Insektenwelt mit 3-D

Forscher untersuchen Insektenwelt mit 3-D
Ob Wanze oder Libelle, Silberfisch oder Käfer: Die Gruppe der Insekten ist so artenreich wie keine andere in der Tierwelt. Mit Hilfe des bisher größten Insekten-Stammbaumes wollen Forscher diese Vielfalt nun mittels 3-D-Animationen genauer unter die Lupe nehmen.

Der Kopf einer Mooswanze ist so winzig, dass er auf einer Nadelspitze Platz hat. Doch in zweitausendfacher Vergrößerung auf dem Computerbildschirm von Rico Spangenberg ist jedes Detail sichtbar: die Form, die an einen Hammerhai erinnert, der lange Saugrüssel, die einzelnen Muskeln. Die Forscher nutzen auch Animationsprogramme, die sich schon bei Filmen wie „Shrek" und der Figur Gollum in „Der Herr der Ringe" bewährt haben. Mit ihnen werden am Institut für spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Universität Jena Aufnahmen von Mikrocomputertomographen zu 3-D-Bildern zusammengesetzt. Zusammen mit Bildern aus dem Rasterelektronenmikroskop ergeben sie eine optimale Dokumentation.

Die Jenaer Forscher um den Zoologen Rolf Beutel sind Teil des „1KITE"-Projekts, in dem Wissenschaftler mehrerer Länder nicht nur den bisher größten Insektenstammbaum erstellen. Sie wollen auch neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich die enorme Vielfalt entwickelt hat.

Rund eine Million Insekten sind weltweit beschrieben - die tatsächliche Zahl liegt nach Schätzung von Experten sogar zwischen fünf und zwanzig Millionen. Sie haben bis auf das Meer fast alle Lebensräume auf der Erde erobert. „Wir werden sehr viel besser verstehen, warum die Insekten so artenreich geworden sind", sagte Beutel zur Bedeutung des Projekts.

Hälfte der Arten bereits analysiert
Dafür wurden 1000 besonders wichtige Insektenarten aus der ganzen Welt zusammengetragen. Zoologe Beutel spricht von einer „exzellenten Auswahl" mit vielen Exemplaren, an die nur sehr schwer heranzukommen sei. Seither analysieren die Experten des Bejing Genomics Institute in China, das das Fünf-Millionen-Euro-Großprojekt finanziert, deren Erbgut. Auf dieser Basis soll dann das Grundgerüst des Stammbaums erstellt werden. Nun sei etwa die Hälfte der 1000 Arten fertig - „Halbzeit sozusagen", berichtet Beutel. Bis Ende 2013 sollen die Daten dann komplett vorliegen und veröffentlicht sein.

Danach beginnt die Hauptarbeit für andere am Projekt beteiligte Forscher, wie den Jenaer Morphologen. „Es kommt darauf an, diesen Stammbaum mit Leben zu erfüllen", erläutert Beutel. So wird ermittelt, wann und auf welche Weise die Insekten ihr Erscheinungsbild veränderten, und sich neue Lebensräume und neue Nahrungsressourcen erschlossen. Dazu sollen dann auch die Ergebnisse über die Gestalt der Mooswanze beitragen, die Beutels Mitarbeiter Spangenberg ermittelt. Spannend sei beispielsweise, wie sich der Flugapparat, die Mundwerkzeuge, Haftstrukturen oder der Geschlechtsapparat entwickelt hätten.

Die Fachwelt verfolgt das Projekt mit Interesse. „Der große Vorteil liegt in der Vergleichbarkeit", sagt der Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, Gerhard Haszprunar. Es selbst ist an dem Projekt nicht beteiligt. „Wir bekommen von der vielfältigsten Tiergruppe überhaupt einen Einblick in die Gesamtgenom-Evolution."

Prozesse der Evolution besser verstehen
Zwar gebe es bei Insekten Modelltiere, die bis ins kleinste Detail erforscht seien. Aber sie seien meist nicht optimal geeignet, um Fragen der Evolution zu beantworten. Haszprunar meint, das Projekt werde neue Erkenntnisse über grundlegende Prozesse der Evolution liefern, die auch auf andere Tiergruppen übertragbar sind. Etwa inwieweit sich die Generationenfolge - die bei Fliegen viel schneller abläuft als bei Libellen - Einfluss auf das Tempo der Evolution hat.

Einen großen Vorteil des neuen Stammbaums sieht Beutel darin, dass er hilft, bisherige Erkenntnisse abzusichern. „Die Anzahl der Überraschungen bei den einzelnen Zuordnungen hält sich dagegen in Grenzen." Allerdings könne mit Irrtümern und Unklarheiten aufgeräumt werden. So etwa beim sogenannten Tricholepidion. „Wir werden erstmals in dem Projekt sagen können, Tricholepidion gehört zweifelsohne zu den Silberfischchen", erklärt der Experte.
Ein weiteres Beispiel seien die Fächerflügler (Strepsiptera). Die von einigen US-Forschern vehement vertretene Auffassung, sie seien eine Schwestergruppe der Fliegen, habe sich als Irrtum erwiesen. „Durch die Analyse des gesamten Genoms hat sich ganz klar gezeigt: Sie sind eine Schwestergruppe der Käfer", berichtet Beutel. „Es gibt keine Alternative dazu."

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