Eltern brauchen Hilfe mit ihren kleinen Tyrannen

Erziehung ist ein harter Job.
Familien unter Druck: Experten fordern mehr Unterstützung für Mütter und Väter.

Druck in der Schule, Doppel- und Dreifachbelastung, exzessives Computerspielen und Surfen im Internet, Drogen, Trennungen: Die Herausforderung für Eltern sind komplexer denn je – dafür gerüstet sind scheinbar nur die wenigsten.

Aus diesem Grund widmete sich der "Tag der Psychologie" in Wien und Salzburg dem Thema Elternbildung. Weil "Eltern keine Ausbildung für ihre Arbeit haben. Weil Erziehung nicht dem Zufall überlassen werden darf", wie Psychologin Elfriede Wegricht vom Verband der Österreichischen Psychologen bewusst machen möchte. Ingrid Wallner von der Plattform Elterngesundheit geht einen – provokanten – Schritt weiter. Sie ist der Meinung, dass die Erziehungskompetenz gefährdet sei: "Die Familien haben sich verändert, und es gibt weniger Vorbilder im Umfeld, weniger Austausch mit erfahrenen Eltern und weniger klare Rollenbilder." Psychologin Luise Hollerer ergänzt: "Und immer weniger Möglichkeit, die Interaktion anderer Eltern und Kinder zu beobachten und davon zu lernen." Weil die Eltern arbeiten und die Kinder in Fremdbetreuung sind.

Kurse entlasten Eltern

Für Wallner sind Elternworkshops die Lösung, weil sie die Erwachsenen entlasten: "Wir beobachten, dass es Eltern hilft, sich nicht nur mit Experten, sondern auch mit anderen Eltern auszutauschen. Und zu sehen, dass andere mit ähnlichen Problemen kämpfen." Sie wünscht sich, dass im Rahmen des Mutter-Kind-Passes nicht nur medizinische Untersuchungen angeboten werden, sondern auch pädagogische Leistungen auf die Elternschaft. Denn Konflikte in der Familie könnten sich auch auf die Gesundheit und die Lernfähigkeit der Kinder auswirken. Hollerer sieht einen anderen Bedarf: "Eltern brauchen eine qualifizierte Erziehungshotline für Akut-Probleme."
Für viele Skeptiker kaum verständlich – ihr Hauptargument: Früher habe man Kinder ohne Ratgeber-Bücher und Seminare großgezogen und es "sei auch gegangen". Mag schon sein. Aber die Zeiten haben sich drastisch geändert, entgegnen die Psychologen. "Früher haben die Eltern mit Ohrfeigen bestraft. Heute wissen wir, wie negativ sich das auf die Persönlichkeit eines Kindes auswirkt", so die Uni-Lektorin und Großmutter Wegricht.

Das Wiener Modellprojekt "Familien-Begleitung" des Psychologen-Teams um Hedwig Wölfl setzt bereits im ersten Lebensjahr an: "Wenn man in dieser prägenden Phase Krisen behebt, ist es möglich, spätere Probleme – etwa bei der Bindung an Vertrauenspersonen – abzufangen." Überforderte Jungfamilien, Frauen, die sich nicht auf ihr Kind einstellen können, und Mütter mit Wochenbettdepressionen bekommen unbürokratische Unterstützung durch das Team, bevor sie ihre Probleme aufs Kind übertragen.
Die Probleme der Jugend fangen immer früher an. Psychologin Hollerer sieht gravierende Probleme darin, dass Kinder zu abrupt aus dem Familienumfeld in die Kinderbetreuung übergeben werden. "Sie werden schon sehr früh gefordert, sich in eine größere Umgebung einzugliedern. Und Kinder müssen funktionieren, damit sie die Berufstätigkeit ihrer Eltern nicht behindern."

Anpassungsdruck der Kinder steigt

"Ihre Zeit ist durchgetaktet, aber nicht in ihrem Rythmus“, beklagt Hollerer und bringt ein Beispiel: "Früher wurde zu Hause gekocht und das Kind konnte sich mit allen Sinnen darauf einstellen, dass bald gegessen wird. Jetzt muss es plötzlich aufhören zu spielen, weil das Essen aus der Mikrowelle fertig ist."

Einerseits leben Kinder – vor allem in der Stadt – in ständigem Überfluss an Programm, Angeboten und Reizen, andererseits erleben sie überhaupt keine Freiheit und Freizeit. "In dieser unendlichen Fülle an Möglichkeiten brauchen die Kinder von ihren Eltern unbedingt klare Rahmen und Strukturen. Während Kinder früher weniger Spielsachen hatten, gehen die Zimmer heute über von Dingen, mit denen sie nicht spielen. Und ständig haben Kinder ein Programm."

Darunter leidet vor allem die emotionale Entwicklung: "Kinder brauchen Ruhe und die Begleitung der Eltern, damit sie lernen, ihre Gefühle zu regulieren", betont Hollerer. Wenn sie mit ihrer Innenwelt nicht umgehen können, leidet auch ihr Kontakt mit anderen Menschen. Dabei sind die viel zitierten "kleine Tyrannen" nur vom Alltag überfordert.

Verlieben, verloben, verheiraten – und hübsche Kinder kriegen. Das ist nach wie vor der Traum vieler junger Menschen, in dem so manches Klischee regiert. Von Babypartys, glückstrunkenen Müttern und stolzen Vätern.
Bis klar wird: das funktioniert so nicht. Das Kind tut nicht, wie es im Erziehungsratgeber steht. Der Mann tut nicht, wie man es von ihm erwartet. Muttersein fühlt sich nicht so an, wie das romantische Bild vom Mamisein suggeriert. Das Leben ist nicht so, wie es in Fantasien daherkommt. Außer freilich man zählt zu jenen Wunderwuzis, die in Hochglanzmagazinen als „Powerfrauen“ oder „Superväter“ erzählen, wie lässig sie nicht Job, Ehe und Kids checken, derweil das Au-pair oder die Nanny die Kleinen abfüttert.

Alles, nur kein "How-to"

Irgendwo dazwischen gilt es, sich als Durchschnitt zu orientieren – und das heißt vor allem, sich von den Bildern, die zum Thema herumgeistern, zu befreien. Kinder zu erziehen, gehört zu den großen Herausforderungen. Im Zusammensein mit „werdenden“ Menschen mischt sich vieles – vor allem die eigene Lebensgeschichte und die des Partners.
Von „Elternschulen“ mit „How to manage Nachwuchs“-Lektionen halte ich deshalb wenig. Von einer, in der es darum geht, sich selbst zu erforschen, sehr viel. Da wiederum braucht es vor allem eine Antwort auf die Frage: Wer bin ich wirklich, was will ich sein? Und wie viel davon hänge ich meinem Kind um? Sie bestimmt, ob wir unsere Kinder in Freiheit erziehen und als eigene Persönlichkeit wahrnehmen können. Oder ob sie uns als Projektionsfläche dienen – für das, was wir sein wollten, aber nie durften.

So wie Katja Freitag geht es sicher vielen Müttern: Nach der Karenzzeit hat sie wieder zu arbeiten begonnen. Also hat sie ihren zweijährigen Sohn in die Krippe gegeben: "Acht Wochen hat er nur geheult und ließ sich nicht beruhigen."
Die junge Mutter wandte sich damals an eine der Elternberatungsstellen in Wien: "Doch da sagte man mir nur, dass ich mit meinem Sohn reden soll und ihm erklären, warum die Krippe so wichtig ist. Das hatte ich eh schon alles gemacht. Eine wirkliche Hilfe war mir das nicht“, erinnert sie sich. Denn: „Ich rede immer sehr viel mit meinem Sohn."
Das war nicht das einzige Mal, dass sie sich professionelle Hilfe gewünscht hätte. "Auch als es in der Schule Schwierigkeiten gab, gab es niemanden, den ich um Rat fragen konnte."
Das Problem: "In seiner Volksschule lernen die Schüler nicht Buchstaben lesen, sondern ganze Wörter. Mein Kind kam mit dem System nicht klar und für mich stellte sich die Frage: Soll ich ihn die erste Klasse wiederholen lassen oder ihn aufsteigen lassen?" Freitag hätte sich da eine professionelle externe Beratung gewünscht. Am Ende hat sie auf ihren Bauch gehört. Sie lässt ihn die erste Klasse wiederholen.
Ihr Erziehungsprinzip? "Ich habe meinem Sohn von Anfang an vermittelt, dass er die Unterstützung bekommt, die er braucht", sagt die junge Mutter. "Das haben mir auch meine Eltern immer zugesichert. Das hat mir geholfen, ein selbstbewusster Mensch zu werden."

Erik Stettler ist Vater zweier Töchter. Die Inspiration, wie er und seine Frau Karin die Kinder erziehen wollen, holten sie sich aus einem Buch. "Die Ethnologin Jean Liedloff beschreibt, wie in Brasilien die Kinder der Ureinwohner aufwachsen. Sie lernen früh, für sich selbst Verantwortung zu nehmen, weil ihre Eltern sie nicht dauernd bewachen."
Den Kindern nicht jeden Baumstamm aus dem Weg räumen – das hat er sich zur Maxime gemacht: "Eine hat sich selbst Rad fahren beigebracht, ohne je Stützen benötigt zu haben. Mit beiden war ich von klein auf viel an der Alten Donau. Es ist nie etwas passiert, weil ich ihnen vermittelt habe: 'Du bist für dich selbst verantwortlich.'" Als Mann "hat man da einen anderen Zugang", sagt er. "Deshalb wäre es so wichtig, mehr Männer in den Kindergärten und Schulen zu haben."
Eines war für Stettler von Anfang an klar: "Wenn ich Kinder habe, dann kümmere ich mich um sie.“ In seiner Umgebung habe er da leider anderes erlebt: "Paare feiern ein rauschendes Hochzeitsfest und sobald ein Kind unterwegs war, fragen sie sich: ,Wollen wir das überhaupt?’"
Sein Erziehungsstil? "Meist bin ich konsequent. Das ist mir wichtig“. Ein Freund seiner Kinder wollte Erik Stettler nie sein. "Das wäre ein falsch verstandenes Rollenbild“, sagt er. Als Vater sieht er sich als "Anwalt meiner Kinder, wenn sie von anderen angegriffen werden". Doch im Vier-Augen-Gespräch mit ihnen "bin ich dann ihr größter Kritiker".

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