Erfolgsbilanz: 10 Jahre Radeln im Unterricht

Erfolgsbilanz: 10 Jahre Radeln im Unterricht
Die tägliche Turnstunde blieb ein Wunsch. Doch andere Bewegungsprojekte funktionieren - Besuch im GRG21 in Wien-Floridsdorf.

Martin Jorde hat sich das Recht auf Kritik erarbeitet. Er engagierte sich, motivierte seine Kollegen, suchte Partner und setzte es um: Schüler bewegen sich täglich in der Schule. Die Erst- und Zweitklassler des Gymnasiums Ödenburgerstraße in Wien-Floridsdorf sitzen jeden Tag während des Unterrichts eine Stunde lang auf dem Radergometer – per Monatsplan ist genau eingeteilt, wer wann auf einem der acht Räder sitzt, ausgestattet mit Schreibpult, am hinteren Ende des Klassenraums. Und Jorde teilt den Erfolg: "Alle Lehrer einer Klasse müssen da mitmachen, es steht und fällt mit dem Lehrerteam." Seine Kritik: "Es gibt zu wenig Möglichkeiten für Bewegung an Schulen."

Das Projekt " Ergometerklasse" startete Jorde vor zehn Jahren am GRG21 (www. grg21oe.at), er begleitete es in seiner Dissertation. Seit damals meldeten sich 360 Schüler für solche Klassen. Jorde: "Wenn man sich dafür anmeldet, ist man verpflichtet zu radeln. Die Nachfrage ist gut bis sehr gut. Und wir hinterfragen immer: Wollen das die Eltern oder die Kinder selbst?"

Zum zehnten Jahrestag zogen Jorde und die Schule nun Bilanz, die dank der wissenschaftlichen Arbeit des Sportlehrers detailliert ist. Die Schüler der Ergometerklassen zeigten in allen untersuchten Bereichen positive Effekte gegenüber den Vergleichsklassen: die maximale Sauerstoffaufnahme über Atemluft wurde gesteigert, die Blutwerte (Cholesterin) haben sich verbessert, bei der Konzentration belegt die Studie einen extremen Anstieg im ersten Semester und ein bleibendes hohes Niveau. "Auch der Body-Mass-Index, der Notenerfolg und die Zahl der versäumten Stunden besserten sich – aber nicht signifikant, muss man ehrlich sagen." Jorde nimmt das genau. Es gab aber auch Nebeneffekte: "Einen deutlichen Aggressionsrückgang und vor allem großes Sport- und Gesundheitsbewusstsein. Die Schüler kamen auf die Idee gesünderen Essens, nach dem Motto: Wenn wir uns schon bewegen, wollen wir uns gleich ordentlich ernähren."

Nachahmer

Wichtig sei, dass die Bewegung moderat bleibt: "Anfangs machen die Kinder nur Halbstunden-Einheiten bei 25 Watt Widerstand, nach drei Monaten treten sie eine ganze Unterrichtsstunde." Im zweiten Schuljahr kann die Wattanzahl höher sein, aber eben immer moderat, betont Jorde. "Ab der dritten Klasse werden die Schüler in zu vielen unterschiedlichen räumen unterrichtet, vom Chemie- bis zum Physiksaal, da wäre es zu kompliziert." Die "Saat für Bewegungs-Bewusstsein sei da aber schon gelegt, sagt Jorde, der das Projekt nicht als Ersatz für die tägliche Turnstunde sieht.

Die hätte die Politik zwar vor einem Jahr einführen wollen, es scheiterte aber am Geld und an den Strukturen. Im Burgenland führten sie zwar über 80 Prozent der Schulen ein, die Entscheidung darüber wird aber an jeder Schule im Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) getroffen und fällt damit in die Schulautonomie. "Führt man die tägliche Turnstunde in einer Schule ein, müssten andere Fächer Stunden hergeben. Dagegen wehre ich mich, weil das ein Zerfleischen innerhalb des Lehrkörpers oder der Fachgruppen mit sich bringt", sagt Jorde.

Neben einigen Gesundheits-Auszeichnungen begeisterte Jordes Projekt auch andere Schulen – von Österreich bis Deutschland und Schweden haben mittlerweile an die 200 Schulen Ergometerklassen eingeführt.

Jorde ist mittlerweile Doktor und glaubt, das Projekt könnte man schon in der 3. Klasse Volksschule beginnen. "Solange es moderat bleibt – ganz ganz leichtes Treten."

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