Empörung über die Zentralmatura

Empörung über die Zentralmatura
Die zentrale Reifeprüfung ist nicht ausreichend vorbereitet, kritisieren Eltern, Schüler und Lehrer. Alle fühlen sich unter Druck gesetzt.

Viele Mathematiklehrer sind nervös. In zwei Jahren müssen ihre Schüler zur zentralen Reifeprüfung antreten. Damit sich Lehrer und Schüler dann nicht blamieren, machen AHS-Professoren massiv Druck auf die Schüler.

Den spüren nicht nur die jungen Menschen, sondern auch ihre Eltern. Diese haben gedroht, rechtliche Schritte gegen die Matura einzuleiten, worauf Bildungsministerin Claudia Schmied und VP-Bildungssprecher Werner Amon die Schulpartner (Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter) zum Gespräch geladen hatten. Die Ministerin versprach darauf, „die Schulpartner zukünftig stärker einzubinden.“

Diese bezweifeln das: „Der Gipfel erwies sich als politisches Placebo“, sagt Lehrervertreter Gerhard Riegler. „Die Schulpartner haben alle Mängel aufgezeigt, die es bei der Zentralmatura gibt. Die Ministerin hat zwar gesagt, dass sie die Bedenken ernst nehme, sie ist aber nicht bereit, dem Projekt die nötige Zeit zu gönnen, die für die solide Vorbereitung nötig ist.“ Elternvertreter Theodor Saverschel kündigte am Samstag im KURIER an: „Wir werden lästig bleiben.“ Konkret fordern die Schulpartner folgende Veränderungen:

Teilweise verschieben „In Englisch ist die neue Reifeprüfung schon fast zehn Jahre erprobt. Dort könnte man die Zentralmatura 2014 (AHS) bzw. 2015 (BHS) an allen Standorten durchführen“, sagt Saverschel. „In Deutsch und Mathematik brauchen wir mindestens noch zwei Jahre Vorbereitung. “

Schulversuche Schülersprecherin Conny Kolmann will deshalb „Schulversuche in Mathe und Deutsch und nicht nur Feldtestungen“.

Wahlfreiheit Kolmann schlägt vor, „Schüler in den ersten Jahren klassenweise abstimmen zu lassen, ob sie die Matura nach der alten oder neuen Prüfungsverordnung machen wollen“.

Gesetzliche Regelung Laut Lehrervertreter Riegler hat „das Ministerium 2008 versprochen, die Vorbereitung für die Matura abzuschließen“, bevor die Schüler, für die sie gilt, in die Oberstufe eintreten. Der entsprechende Erlass des Ministeriums ist immer noch gültig. Doch die Schüler haben bereits die halbe Oberstufe hinter sich. „Wie nötig rechtliche Grundlagen sind, zeigt sich auch bei den Beurteilungskriterien, die vom BIFIE, das die Matura vorbereitet, vorgegeben wurden. Diese wurden von Landesschulinspektoren den Lehrern nahegelegt – nicht nur in Kärnten, sondern z. B. auch in Wien. Jetzt werden sie vom Ministerium als rechtswidrig bezeichnet.“

Bücher, Lehrpläne und Fortbildung Auswendig lernen war gestern, Kompetenzen vermitteln ist heute. Diese sollen Schüler bei der Zentralmatura unter Beweis stellen. „Doch der Lehrplan wurde bis heute noch nicht angepasst“, sagt Saverschel. Ähnliches gilt für Lehrbücher: „Es gibt derzeit nur zwei approbierte Schulbücher“, meint Kolmann: „Flächendeckend eingesetzt werden sie noch nicht.“ Auch die Lehrerfortbildung hinke hinterher: „Die fängt jetzt erst so richtig an“, berichtet Saverschel: „Statt modernem Unterricht gibt es Supplierstunden.“

Übergangsregelung Kolmann bemängelt, „dass es keine Übergangsregelung für Sitzenbleiber gibt. Wer wiederholt, hat derzeit wesentliche Inhalte für die Zentralmatura verpasst.“

Teilzentrale Matura Lehrer Riegler schlägt vor, nur „einen Teil der Aufgaben zentral vorzugeben“. Der Rest soll schulautonom ausgearbeitet werden. So können Lehrer Schwerpunkte setzen.

Ist die Angst vor der neuen Reifeprüfung in Mathe überhaupt berechtigt? Rudolf Taschner, bekanntester Mathematiker des Landes, meint zwar: „Niemand muss sich fürchten.“ Dennoch übt er Kritik am BIFIE: „Das Institut hat Handlungsbedarf. Es muss endlich das entscheidende Material zur Verfügung stellen.“ Das BIFIE hat andere Sorgen: Es braucht einen neuen Leiter für den Bereich Mathematik-Matura. Hans-Stefan Siller, der das Amt erst im Herbst von Werner Peschek übernommen hat, geht Ende März. Beim BIFIE geht man aber davon aus, „dass Kontinuität garantiert wird“. Taschner hat auf KURIER-Nachfrage ausgeschlossen, dass er den Job übernimmt.

Eile

Doch warum die Eile? Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann glaubt, „dass die Ministerin ihre Tagesordnung durchboxen will. Argumente spielen leider keine Rolle.“ Hopmann bezweifelt ohnehin die Sinnhaftigkeit der zentralen Matura: „Diese soll zwei Ziele verfolgen: bessere Vergleichbarkeit und mehr Gerechtigkeit. Beides kann die Zentralmatura nicht leisten, wie wir aus Erfahrungen in anderen Ländern wissen.“

Im Gegenteil: „Die soziale Schere wird sogar noch weiter aufgehen, weil Kinder, die Nachhilfe erhalten, bei zentralen Tests besser abschneiden.“ Ärgerlich seien auch die Kosten für das Projekt. Die belaufen sich für den Zeitraum 2009 bis 2014 auf rund 29 Millionen Euro.

Reifeprüfung: Start im Jahr 2014

Kompetenzen Eine standardisierte, kompetenzorientierte Reifeprüfung absolvieren AHS-Maturanten ab 2013/’14. Die Berufsbildenden höheren Schulen beginnen ein Jahr später, also 2014/’15.

Drei Säulen Die neue Reifeprüfung besteht aus drei Säulen. Jeder Schüler muss eine vorwissenschaftliche Arbeit (AHS) bzw. eine Diplomarbeit (BHS) schreiben. Das Thema wird am Ende der 7. Klasse AHS bzw. 4. Klasse BHS festgelegt. Sie umfasst 40.000 bis 60.000 Zeichen. In drei oder vier Fächern wird schriftlich geprüft (Deutsch, Mathematik und eine lebende Fremdsprache sind Pflicht). Die Aufgabenstellung erfolgt zentral, geprüft wird in ganz Österreich zur selben Zeit. In zwei oder drei Fächern gibt es die mündliche Matura, Dauer: maximal 20 Minuten.

Mehr zum Thema

  • Hintergrund

  • Hintergrund

Kommentare