Wie gut bereitet die NMS auf die höhere Schule vor?

Diskussionsrunde Schule, 16.10.2015.
An einigen BORG scheiterten besonders viele Schüler. Über die Ursachen diskutieren zwei Direktoren.

Die Matura war an manchen Schulen leichter zu haben. Das ist nicht nur ein Gerücht, das zeigen auch die Ergebnisse der Zentralmatura. Besonders einige Oberstufenrealgymnasien (BORG) schnitten schlecht ab. Warum das so ist, darüber diskutieren Isabella Zins, BORG-Dirktorin in Mistelbach (NÖ), sowie Erich Proszer von der NMS Stegersbach (Burgenland).

KURIER: Warum schnitten gerade viele BORG so schlecht ab?
Isabella Zins
: In Gegenden, wo es keine AHS-Langform gibt, gibt es das Problem weniger, weil dort aus den Neuen Mittelschule (NMS) viele gute Schüler kommen. In unserem BORG schauen wir zu Beginn, was die Schüler können – Bruchrechnen sitzt z.B. nicht bei allen. Dann widmen wir ca. drei Monate der Wiederholung der Grundlagen. Doch die Matura müssen wir in der gleichen Zeit erreichen wie die AHS-Langform. Wir wären glücklich, wenn wir mehr Ressourcen für die Förderung hätten. Wir sind auch darauf angewiesen, dass aus der NMS genau so gute Schüler kommen wie bisher aus Hauptschule.
Erich Proszer:Das ist bei Schülern gewährleistet, die im Zeugnis eine Beurteilung in der „vertieften Allgemeinbildung“ haben. Durch das Teamteaching haben wir in der NMS mehr Möglichkeiten für die Förderung. Was beim Teamteaching noch mehr forciert werden muss ist die Anwendung von Unterrichtsmethoden, in denen die Guten gefordert und die Schwachen gefördert werden. Wie im BORG haben auch wir ein Ziel – statt der Matura die Erreichung der Bildungsstandards. Durch „rückwärtiges Lerndesign“ wird der richtige Weg zum Ziel gesucht. Das hört sich leicht an, ist aber eine große Herausforderung. Da müssen alle an einem Strang ziehen.

Das Niveau der Schüler ist dennoch höchst unterschiedlich.
Proszer
: Da ist es wichtig, dass leistungsschwachen Schülern der Kernstoff vermittelt wird. Sie dürfen keinesfalls überfordert werden. Das muss auch in den Aufgabenstellung der Schularbeiten berücksichtigt werden, die nicht mehr von jedem Lehrer einzeln , sondern von einem Team erstellt werden. Das führt zu mehr Vergleichbarkeit.

Wie gut bereitet die NMS auf die höhere Schule vor?
Diskussionsrunde Schule, 16.10.2015.

Zins:Das Einzelkämpfertum der Lehrer ist vorbei. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist als Folge der Matura mehr ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Das ist sicher gut.

Wären Aufnahmsprüfungen für BORG und AHS eine gute Sache?
Zins:
Ich finde es schade,dass Bildungsstandards den Eltern, Schülern und Lehrern nicht zeitgerecht rückgemeldet werden. Sie wären eine gute Entscheidungsgrundlage dafür, in welche Schulart ein Kind wechselt.
Prozser:Ich würde nie eine Prognose abgeben, was ein Kind später einmal schafft. Unsere ausgebildeten Schülerberater informieren Schülerinnen und Schüler sowie Eltern über schulische und berufliche Möglichkeiten. Das Abschlusszeugnis und die ergänzende differenzierende Leistungsbeurteilung der NMS sind sehr aussagekräftig, was die Aufnahme in einer weiterführenden Schule anbelangt.
Zins:Wir arbeiten mit den NMS intensiv zusammen. Zu den Schülern sage ich bei der Schulvorstellung: Wer gerne lernt, gute Noten hat und die bekannten Fächer mag, ist hier richtig.

Haben die BORG nicht auch ein Problem, weil sie andere Schwerpunkte setzen als Deutsch, Mathe, Englisch?
Zins:
Es liegt eher daran, dass wir Quereinstieger von BHS oder anderen AHS haben. Manche nutzen das super. Andere haben solche Defizite, dass sie das nicht schaffen. Für mich ist die Lehre, dass wir hier nun restriktiver sein müssen.

Ist das Problem, dass es an Ehrlichkeit fehlt im Schulsystem?
Zins:
Es gibt Einzelfälle mit sehr großen Defiziten trotz passabler oder sogar guter Zeugnisse, da laden wir die Eltern ein und raten zu einem Schulwechsel, damit das Kind wieder Erfolgserlebnisse hat. Manche Ausreißer machen die 9. zum dritten Mal. Wenn man an der Nahtstelle (nicht hier) ehrlich ist, dann wird es zum Schluss bei der Matura hart. Der große Unterschied zwischen Bildungsstandards und Matura ist: Die Standards am Ende der Volksschule und NMS fließen nicht in die Zeugnisnoten ein. Am Ende der AHS und BHS entscheidet der „letzte Standard“ aber alles: ohne bestandene Zentralmatura kein Studium.

Wie gut bereitet die NMS auf die höhere Schule vor?
Diskussionsrunde Schule, 16.10.2015.

Proszer: Unsere Aufgabe ist es, Kinder auf lebenslanges Lernen vorzubereiten. Dazu gehört Selbstreflexion, auch im Bezug auf die eigenen Fähigkeiten – das ist das Um und Auf. Auch das Vermitteln von Werten oder das Grüßen lernen, ist mittlerweile Aufgabe der Schule. Das ist ein gesellschaftliches Problem.

Muss sich die Schule da nicht den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen?
Zins:
Meine Lehrer sind mittlerweile auch Psychologen und Berater. Wenn ich denke, mit welchen Problemen Schüler zu Lehrer kommen, das hätten wir in meiner Schulzeit nie gemacht. Das ist wichtig, kostet aber Zeit.
Proszer:Die Schulen übernehmen immer mehr Verantwortung und müssen viele Anforderungen erfüllen. Cybermobbing gab es z.B. vor einigen Jahren nicht. Daher brauchen wir im sozialen Bereich mehr Unterstützung.

Wird in Mathematik nicht zu viel Stoff verlangt?
Zins:
Ich bin gespannt, wie es den BHS heuer mit der Mathematik-Zentralmatura geht. Ich merke, wie viel Aufwand nötig ist und dass die Schwierigkeiten beim Eintritt in die Oberstufe in Mathematik am größten sind. Vielleicht bräuchten wir hier mehr Ehrlichkeit an den Nahtstellen. Schwierig ist auch, dass der erste Maturajahrgang die neuen Testformaten nicht bereits aus der Volksschule und HS/NMS kannte, weil sie damals noch nicht existierten.
Proszer: Jetzt geht es um übergreifendes Verstehen. Das Auswendiglernen von Formeln alleine genügt nicht. Da geht es viel mehr um Textverständnis und um die richtige Anwendung. Leider mangelt es oft an der Lesekompetenz und an der nötigen Konzentration.

20 Prozent der Jugendlichen können nicht lesen. Was läuft da schief?
Prozser:
Die Förderung der Lesekompetenz muss zu einer Hauptaufgabe in den Volks- und Neuen Mittelschulen werden. Das Leseinteresse muss noch mehr geweckt werden. Auch die Eltern müssen mehr dahinter sein.

Ein Wunsch an die Politik?
Proszer:
Der Ausbau der Autonomie wäre wichtig. Eine Kürzung bei den Zweitlehrern darf es nicht geben, sonst kippt das System der NMS. Eine Differenzierung in der Leistungsbeurteilung müsste es schon ab der Mitte der 5. Schulstufe geben, derzeit ist sie erst ab der 7. möglich. So könnten wir uns besser an den individuellen Lernbedürfnissen der Schüler orientieren. Das Konzept der NMS ist gut, es muss nur richtig umgesetzt werden. Bei Leistungsgruppen in den Hauptschulen war in der 2. Leistungsgruppe eine große Streuung. Der Vorteil bei der NMS: Jetzt bekommt der Mittelmäßige im Unterricht den Lehrstoff mit höheren Anforderungen mit und kann dadurch profitieren.
Zins: Mir wäre es wichtig, dass die Begabten so gefördert werden, wie es in der 1. Leistungsgruppe der Hauptschule war. Geht es um die Nahtstellen zu den BORG, da setzen wir uns zusammen.

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