Plastiksackerl: hauchdünn, langlebig und unerwünscht

Bangladesch ist der Europäischen Union um mehr als ein Jahrzehnt voraus. Seit 2002 gilt in dem südasiatischen Land ein, zunächst auf die Hauptstadt Dhaka beschränktes, später auf das ganze Land ausgeweitetes, Verbot von Kunststoff-Tragetaschen. Erklärung: Achtlos weggeschmissene Einkaufs-Sackerl wurden als ein Auslöser für die Überschwemmungen von 1988 und 1998 ausgemacht, da sie die Abwasserkanäle verstopften. Das Totalverbot führte neben dem Rückgang von Kunststoffmüll auf den Straßen und in den Abwasser-Gräben zu einer Wiederbelebung der Jutetaschen-Erzeugung. Diese positiven Auswirkungen hatte wohl EU-Umweltkommissar Janez Potočnik vor Augen, als er Anfang des Monats den dünnwandigen Einkaufssackerln, im Technokratensprech "Kunststoff-Tragetaschen mit einer Wandstärke unter 50 Mikrometer" genannt, den Kampf ansagte.
Mithilfe von Vorgaben an den Handel oder dem Einheben einer Gebühr für jede Tasche soll der EU-weite Verschleiß dieser hauchdünnen Einweggebinde um 80 Prozent gesenkt werden. Diese Taschen sind für die Umwelt gefährlich, weil sie extrem leicht sind und von Deponien ins Meer geweht werden. Bis zu 94 Prozent der Seevögel tragen in den Küstenregionen Plastikteile im Magen.
Auch das Beispiel Irlands gibt Potočnik Auftrieb: Seit 2002 hebt die irische Regierung eine Umweltsteuer, 22 Cent je Sackerl, ein. Der Verbrauch ist um 90 Prozent gesunken. Irland ist mit 18 Plastik-Taschen das Land mit dem geringsten Pro-Kopf-Verbrauch.
Österreich
Österreich tangiert die Regelung nur am Rande, denn: "Die hauchdünnen Plastiksackerl, die vor allem in Südeuropa an Supermarktkassen gratis ausgegeben werden, und um die es bei der EU-Verordnung geht, gibt es bei uns de facto nicht. Die findet man vielleicht am Naschmarkt oder in kleinen Supermärkten", sagt der Sprecher der Altstoff Recycling Austria (ARA), Christian Mayer. Sackerln bei Obst, Gemüse oder an der Wursttheke sind von der EU-Verordnung ausgenommen – weil Pickerln mit dem Strichcode zum Scannen angebracht werden müssen.
Die Debatte ist zumindest in Europa symbolischer Natur. Gehe es um Umweltbelastung durch Kunststoffartikel, dann sei der Beitrag von Plastiksackerln "aufgrund der geringen Gesamtmenge verhältnismäßig unbedeutend", schreibt das Deutsche Umweltbundesamt in einer Studie (2013). 0,7 Prozent beträgt der Anteil am gesamten deutschen Kunststoffverbrauch. In Österreich sind es 2 Promille des Abfalls.
Die Alternativen? Im Biomüll entsorgte Biokunststoff-Taschen, die aus Mais- oder Erdäpfelstärke bestehen, werden mit Restmüll verbrannt, sagt Christian Fenz von der Organisation die umweltberatung. "Bei der Abfallbehandlung werden leichte Fraktionen ausgeblasen." Statt Biokunststoff empfiehlt Fenz Mehrweggebinde, "egal ob aus Plastik oder Jute".
Wiederverwertung ist bei Kunststoff – "Plastik" ist ein Begriff aus der Frühzeit der Technologie – kein PR-Gag. Aus PET-Flaschen werden wieder PET-Flaschen. Aus DVD-Folien mit der Aufschrift "umweltverträglich" werden aber keine neuen DVD-Verpackungen. Mayer: "Folien sind nicht sortierbar. Dieser Wahrheit muss man ins Auge schauen."

Plastik ist nicht Plastik. Da gibt es PET, PE, PVC, PP, PS, PC und PU: Jedes ist anders, was Inhaltsstoffe, Recycling und Gefahrenpotenzial betrifft. 90 Prozent der weltweit produzierten Kunststoffe finden Sie hier in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit:
Polyethylen (PE): In Getränkekästen, Fässern, Schüsseln, Plastiksackerln, Folien.
Polypropylen (PP): In Sackerln, Lebensmittelverpackungen, medizinischen Geräten, Sitzbezügen.
Polyvinylchlorid (PVC): In Abflussrohren, Fensterprofilen, Bodenbelägen, Kinderspielzeug, Schläuchen, Kunstleder, Tapeten, Dachbahnen, Lkw-Planen, Kleidung, Babyartikeln, Schwimmreifen, Schlauchbooten, Dichtungen. PVC verursacht von der Produktion (krebserregende Substanzen werden freigesetzt) bis zu seiner Entsorgung (giftige Dioxine entstehen bei der Verbrennung) gravierende Gesundheits- und Umweltprobleme.
Polystyrol (PS): In Styropor, Isolierung elektrischer Kabel, Gehäusen, Schaltern, Verpackungen, Verpackungsfolien, Joghurtbechern. Die Verbrennung ist problematisch, Recycling schwierig: Es wird nur ein Prozent des Styropors recycelt. Bei der Verarbeitung von PS werden krebserregende Stoffe freigesetzt.
Polyurethan (PU): In Textilfasern (Elastan) und Schaumstoffen (Matratzen, Autositzen, Sitzmöbeln, Küchenschwämmen, Dämmstoffen). Recycling ist schwierig und die Verbrennung problematisch. Zersetzt sich in Deponien in giftige Stoffe.
Polyethylenterephthalat (PET): In Haushalts- und Küchengeräten, Computern, Maschinenbauteilen, Sicherheitsgurten, Getränkeflaschen, Verpackung für Kosmetika und Lebensmittel. Für PET-Flaschen kann bis zu 30 Prozent recyceltes PET eingesetzt werden. PET gibt mit der Zeit gesundheitsschädigende Stoffe in die Flüssigkeit ab, deshalb wurden lange nur den Beigeschmack kaschierende Getränke abgefüllt. Experten halten die Dosis aber für unbedenklich.
Polycarbonat (PC): In hitzebeständigen Trinkgefäßen (Babyflaschen), Mikrowellengeschirr, CD-Hüllen, Lebensmittelverpackungen. Aus PC wird Bisphenol A (BPA) freigesetzt. BPA steht im Verdacht, das Hormonsystem zu schädigen.
In einem neuen Einkaufsratgeber weist Greenpeace in Österreich 553 Kosmetik-Produkte aus, die Mikroplastik enthalten und fordert nun ein EU-weites Verbot. Die meist weniger als einen Millimeter großen Plastik-Kügelchen in Peeling, Zahncreme, Duschgel und Co. gelangen über die Haushaltsabwässer in die Umwelt.
Weltweit tragen sie zur Verschmutzung von Flüssen, Seen und Meeren mit Plastikmüll bei. Wird das Mikroplastik von Tieren mit Nahrung verwechselt, gelangt es in die Nahrungskette. "Mikroplastik versteckt sich in etlichen Körperpflegeprodukten und ist in den meisten Badezimmern zu finden. Ohne es zu ahnen, spülen Millionen von Menschen täglich Plastikmüll über den Ausguss in die Umwelt", so Greenpeace-Expertin in Österreich, Antje Helms. Winzige Plastik-Perlen aus Polyethylen (PE) werden von der Industrie beispielsweise in Peeling, Waschgel oder Zahncreme eingesetzt, um die reinigende Wirkung zu verstärken. Weitere Kunststoffe wie Polyamid (PA), Polypropylen (PP) oder Polyethylenterephtalat (PET) werden als Füll- und Bindemittel genutzt oder sollen, u.a. auch in Kinderprodukten, für Glitzer- oder Farbeffekte sorgen.
Globales Problem
"Plastikmüll in unseren Gewässern ist ein ernstzunehmendes Umweltproblem mit globaler Dimension - in der Donau genauso wie im Gardasee oder im Nordpazifik in Form des bekannten 'schwimmenden Plastikmüllteppichs'. Plastik ist äußerst langlebig und jedes Jahr kommen Millionen Tonnen Plastikmüll hinzu", so Helms. In Trinkwasser, Milch und Honig wurde Mikroplastik bereits nachgewiesen. Die möglichen negativen Auswirkungen von Mikroplastik - auch Microbead genannt - auf die menschliche Gesundheit sind noch nicht ausreichend erforscht, manche dem Plastik zugesetzten Stoffe gelten jedoch als hormonell wirksam und krebserregend. Dabei gibt es genug Alternativen: Kunststoffe können in Kosmetika durch in der Natur vorkommende und biologisch abbaubare Stoffe wie beispielsweise gemahlene Nuss- und Kokosschalen, Mandelkleie, Pflanzenpulver oder Tonerde ersetzt werden.
Ausstiegsplan gefordert
„Wir brauchen dringend eine Evaluierung über die aktuelle Verwendung von Mikroplastik in Kosmetika, Zahnpasten und Reinigungsmitteln, die auf dem österreichischen Markt erhältlich sind, aber auch über mögliche Verunreinigungen in Lebensmitteln. Grundsätzlich sollte die Verwendung von Mikroplastik in diesen Produkten bis 2015 in Österreich und EU-weit verboten werden“, fordert der Grüne Abgeordnete zum Nationalrat, Wolfgang Pirklhuber,von Gesundheitsminister Alois Stöger und Konsumentenschutzminister Rudolf Hundstorfer Pirklhuber appelliert an die großen Lebensmittelketten REWE, Hofer und SPAR, diese Produkte freiwillig so rasch wie möglich auszulisten bzw. einen Ausstiegsplan zu erstellen. "Durch die massive weltweite Nutzung von Plastik und mikroplastikhältigen Produkten entstehen Gefahren für die Umwelt, die Natur und den Menschen, deren Reichweite bisher offensichtlich unterschätzt wurden“, argumentiert Pirklhuber anlässlich des aktuellen Berichtes des NDR Magazins „Markt“ über Mineralwässer und Biere, die teilweise mit mikroskopisch kleinen Fasern aus Plastik verunreinigt seien. Bei den analysierten Mineralwässern und Bieren handelte es sich um die in Deutschland meistverkauften Marken. Laut „Markt“ enthielten alle Mikroplastik.
Weltweit steigt die Produktion von Kunststoff wie Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) welche preiswert und vielfältig einsetzbar sind. Mikroplastik (Plastikteilchen kleiner als fünf Millimeter) passieren sogar Kläranlagen und gelangen so in die Flüsse und Meere. Das am stärksten betroffene Meeresgebiet im Nordpazifik dürfte so groß wie Frankreich sein, tausende Tonnen Plastik werden dort wie in einer Waschmaschine herumbewegt. In einer riesigen Strudelbewegung dreht sich der Abfall im Uhrzeigersinn. Die Strömung und UV-Licht sorgen dafür, dass Kunststoffe in kleine Partikel zerlegt werden. Bis zu 200.000 Plastikstücke je Quadratkilometer wirbeln im Nordpazifik herum, und nach und nach tauchen sie in der Nahrungskette auf. Vögel und Meeressäugetiere schlucken etwa Flaschenverschlüsse und gehen daran zugrunde. Ihre Mägen oder Verdauungstrakte sind verstopft, sie verhungern quasi. Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) sind mehr als 250 Tierarten dadurch gefährdet. Die Plastikmikropartikel werden aber auch von Fischen gefressen - und landen so auch im menschlichen Verdauungstrakt. Neun Prozent der Fische in der Region des Nordpazifikwirbels haben laut Studien Plastik in ihren Mägen. „Plastikmüll muss massiv reduziert, Mehrwegsysteme ausgebaut und Re- und Upcycling umgehend gestärkt werden“, sagt Pirklhuber.
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