"Die Erde und ich": Wie es um unseren Planeten steht

Immer im Kreis herum: Die lebenswichtigen Kreisläufe auf der Erde (Illustration von Jack Hudson/Taschen Verlag)
Das Buch "Die Erde und ich" plädiert in zwölf Essays für einen bewussteren Umgang mit unserer Zukunft.

Erde. Die Erde. Lage: der Sonne drittnächster Planet des Sonnensystems. Alter: 4,6 Milliarden Jahre. Besonderheit: Ursprungsort und Heimat aller bekannten Lebewesen. Und sonst?

"Die Erde und ich": Wie es um unseren Planeten steht
epa00950363 English scientist and writer James Lovelock, creator of the Gaia hypothesis which considers the Earth as a self-regulating organism, before the presentation of his book 'The Revenge of Gaia: Why the Earth Is Fighting Back', in Madrid, Spain, Wednesday 07 March 2006. EPA/JAVIER LIZON

Ganz schön viel los hier. Wir scheinen schon alles von der Erde zu wissen. Und doch sollte man einmal einen anderen Blick darauf werfen, einen, wie ihn der bald 100-jährige britische Wissenschaftler und Umweltforscher James Lovelock drauf hat. "Nach den Pflanzen sind wir die Lebewesen, die auf dem Planeten die tiefsten Spuren hinterlassen haben", schreibt er in dem eben erschienenen und aufwendig illustrierten Buch "Die Erde und ich". Aber welchen Einfluss haben die Erde und ihre Kreisläufe auf uns?

Wer sind wir?

In zwölf sehr klugen und verständlichen Essays beschäftigen sich Autoren aus dem gesamten Spektrum der Wissenschaft mit diesen Fragen: Wer sind wir? Wo genau befinden wir uns? Und für wie lange noch?

Und wie lange noch?

Der "Reiseführer in die Zukunft für den Menschen des 21. Jahrhunderts" mäandert von der Zellforschung über die Insektenkunde sowie die Geowissenschaft bis zur Gehirnforschung. Ein Buchprojekt, das auch der Verlegerin Marlene Taschen ein programmatisches Vorwort abrang: "Kapitel für Kapitel entwickelt sich Die Erde und ich zu einer umfassenden Darstellung unserer Welt und unseres Daseins – einer Darstellung, die nicht schwarz-weiß, sondern voller Facetten und Schattierungen ist und die von Ideen und Meinungen ebenso lebt wie von wissenschaftlichen Erkenntnissen."

Das große Plus dabei: Diese Erkenntnisse werden in Wort und Bild so präsentiert, dass man keine Hochschule von Innen gesehen haben muss, um von diesen Fakten fasziniert zu sein. Ein Beispiel: "Die großen Meeressäuger", so Lovelock, "verfügen über ein viel größeres Gehirn als Menschen, und doch beherrschen nicht sie den Planeten, sondern wir." Weiter: "Was unsere Spezies zu etwas Besonderem macht, ist unsere Fähigkeit, die Strahlungsenergie der Sonne in riesigem Umfang in Information umzusetzen und diese so zu speichern, dass unsere Nachkommen sie nutzen können."

Fünf Milliarden Jahre Zeit

Es ist jetzt zu früh für Eilmeldungen oder alarmierende Live-Ticker. Aber der Kollaps der auf Kohlenstoff basierenden Form des Lebens ist sicher. Lovelock: "Unser Stern, die Sonne, war seit Anbeginn des Lebens eine großartige, zuverlässige Energiequelle, aber wenn sie älter wird, steigt ihre Energieabstrahlung exponentiell an" – bis sie sich selbst verbrennt. Die gute Nachricht: Das wird erst in ungefähr fünf Milliarden Jahren geschehen.

Das heißt, bis dahin gibt es genug zu tun. Und zwar nicht vorwiegend für den Planeten Erde. Sondern für uns.

Der US-amerikanische Insektenforscher Edward O. Wilson etwa skizziert in seinem Beitrag, "Von Ameisen bis Elefanten", ein "Geflecht des Lebens auf der Erde" mit dramatischem Szenario: "Insekten und andere landlebende Gliederfüßer sind unverzichtbar – verschwänden sie alle, könnte die Menschheit vermutlich nicht länger als einige Monate überleben."

Vater der Biodiversität

Ebenso würden viele Reptilien, Säugetiere sowie Vögel von der Erdoberfläche verschwinden. Und mit ihnen auch jene Blütenpflanzen, die von Insekten bestäubt werden. In der Folge die Wälder. Und dann? "Das Land würde buchstäblich verrotten", warnt Wilson, der auch als "Vater der Biodiversität" bezeichnet wird.

Damit dasselbe nicht auch mit uns Menschen geschieht, plädiert Eric Kandel, der 1929 in Wien geborene und vor 16 Jahren mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnete Wissenschaftler, für eine offene Gesellschaft. In seinem Beitrag "Ein denkendes Tier" stellt er fest: "Isolation ist ein Nährboden für Aggression – das gilt im gesamten Tierreich." Als Beweis dafür gilt Kandel ein Experiment mit hungrigen Fliegen: "Die Fliegen benehmen sich wie Sumo-Ringer. Sie drücken gegeneinander, um sich die beherrschende Stellung zu sichern."

Ein Ende gibt es nicht

Kurzfristig kann Schreckliches geschehen, langfristig aber behauptet sich das Leben. Oder, wie es Tim Radford in seinem Klima-Essay "Immer im Kreis herum" mit anderen Worten ausdrückt: "Das Entscheidende an den Kreisläufen ist: Sie laufen immer weiter – ein Ende gibt es nicht."

Aber alles kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Martin Rees, britischer Astronom und seit 1995 dazu befugt, den Adelstitel "Königlicher Astronom" zu tragen, macht klar: "So weit wir wissen, können wir als erste Spezies selbst unsere Zukunft gestalten."

Das bringt in erster Linie eine große Verantwortung mit sich, Verantwortung für den ganzen Planeten. Die Zukunft unseres Planeten, hakt Rees nach, "bemisst sich nach Jahrmilliarden, sein Schicksal aber hängt davon ab, was wir gemeinsam in den nächsten 100 Jahren unternehmen." Eine Zeitspanne, für die der US-Geowissenschaftler Lee Kump prognostiziert, "dass wir uns auf eine Stabilisierung des Klimas in einem warmen Zustand einstellen können."

Der Brite John Gray war bis 2008 Inhaber des Lehrstuhls für europäische Ideengeschichte an der London School of Economics. In dem Band "Die Erde und ich" kommt er zu dem Schluss: "Für jeden, der sich auf die menschenzentrierte Weltanschauung der Aufklärung beschränkt, müssen die Aussichten auf unserem Planeten düster aussehen. Aber für alle, die über die Welt der Menschen hinausblicken, besteht kein Grund zur Verzweiflung. Durch den Klimawandel erneuert der Planet sich einfach nur selbst. Das Leben geht weiter – in welcher Form auch immer."

"Die Erde und ich": Wie es um unseren Planeten steht
Illustrationen von Jack Hudson/Taschen Verlag Buchbesprechnung nur einmalige Veröffentlichung Freizeit Wo40-2016
James Lovelock, "Die Erde und ich", mit Illustrationen von Jack Hudson, Hardcover mit Drehscheibe und Ausklappseiten, Taschen Verlag, 168 Seiten, € 29,99

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