Das ist Österreichs Twitteria

Das ist Österreichs Twitteria
Nur 68.000 Österreicher sind auf Twitter, aber die populärsten darunter entwickeln enorme Mobilisierungskraft.

Vorneweg, Twitter ist ein Randphänomen. Gerade einmal ein Prozent der rund sechs Millionen Internetuser in Österreich ist in dem Mikroblogging-Portal vertreten. Jeder Zweite hingegen tummelt sich auf Facebook.

Andererseits: Über Twitter werden schon Nationalratsdebatten bestritten. Vergangenen Mittwoch, als wieder einmal die Entpolitisierung des ORF Thema im Plenum war, stand ein Mann im Mittelpunkt, der sechs Kilometer Luftlinie entfernt in seinem Büro auf dem Küniglberg saß: Armin Wolf.

Vom Bundeskanzler abwärts hatten gleich mehrere Parteien den ZiB2-Anchorman wechselweise zitiert, in Geiselhaft genommen oder kritisiert. Der Küniglberger wehrte sich – vor dem Fernseher sitzend – via Twitter: "Live im Parlament. Werner Faymann liest Armin Wolf. Interessant. Inhaltlich leider nur den Teil, der ihm gefällt, den anderen lässt er weg." Und wenig später: "Ich fühle mich jetzt langsam echt bedrängt vom Nationalrat. Von allen!"

Der Vogel zeigt seine Krallen

Einen Tag später war Niko Pelinka als Büroleiter-Kandidat Geschichte, und in der Retrospektive ist der Eindruck unvermeidbar, dass hier der süße kleine Twitter-Vogel ganz schön seine Krallen ausgefahren hat. Im sechsten Jahr seines Bestehens ist Twitter in Österreich so etwas wie der Chatroom der Meinungsbildner im Lande geworden. Das bestätigt auch Helge Fahrnberger, Technologie-Unternehmer und Experte für soziale Plattformen: "Es gibt natürlich auch andere Öffentlichkeiten auf Twitter", sagt er, "aber gerade im Moment in Österreich ist die Dichte an Meinungsbildnern sehr groß." Und die Wirkungskraft, die entfaltet werden kann, umso größer.

Social-Media-Protest

"Unser Protest war ein Zusammenspiel aus alten Medien (Resolutionen, Offenen Briefen oder Unterschriftenlisten) und neuen Medien wie YouTube, Facebook oder Twitter", sagt Armin Wolf dazu im KURIER-Interview, "Social Media haben uns dabei vor allem geholfen, die Diskussion und den Protest über fast vier Wochen am Laufen zu halten." Die Schlagkraft des Online-Protestzuges unterstreicht auch jenes YouTube-Video, das am vergangenen Montag online gestellt wurde, und bereits am Freitag die Schallmauer von 500.000 Views durchbrochen hat. "Dieses Video von 55 ZiB-Journalisten hat sehr viel mehr Beachtung gefunden, vor allem international, als die größte Unterschriftenaktion, die es je im ORF gegeben hat – an der sich mit 1300 Kollegen rund 80 Prozent aller ORF -Redakteure beteiligt haben." Erst durch dieses Video sind internationale Medien ( Süddeutsche , ARD , euronews etc.) auf den ORF-Zug aufgesprungen.

Helge Fahrnberger hat ähnliche Erfahrungen mit der Durchschlagskraft von Social Media gemacht: Aufdeckerstorys des von ihm initiierten Medienwatch-Blogs kobuk.at hatten auf Twitter "eine ungleich höhere Wirkung" als auf herkömmlichen Kanälen, etwa einer OTS (einer bezahlten Pressemeldung). "Man erreicht hier unmittelbar die Meinungsbildner", sagt Fahrnberger. Für ihn ist Twitter deshalb ein sehr guter Weg, um in die Massenmedien zu kommen und öffentlichen Druck aufzubauen. Wobei: ohne Facebook, dem Netzwerk, wo sich die breite Masse trifft, geht in so einem Protestreigen auch nichts: "Man hat das bei dem ORF -Video gut nachvollziehen können: Twitter war der Anstoß, aber die Mehrzahl der Views kam über Facebook. Und wenn so ein Video einmal 500.000-mal geklickt wurde, bekommt es Gewicht, es wird zur Nachricht."

Wer sind nun die, wie es in der PR-Branche heißt, Multiplikatoren, die sich auf Twitter praktisch in Echtzeit austauschen? Mehr als 500 Journalisten, dann Kommunikations- und PR-Experten, Kreative und IT-Profis sind hier hauptsächlich vertreten. "Seit Mitte 2010 hat sich Twitter in Österreich mehr als verdoppelt," sagt Judith Denkmayr von der Social-Media-Agentur Digital Affairs, "aber der Großteil ist nicht aktiv, sondern liest nur mit. Und die wenigsten haben Einfluss oder können ein Thema setzen."

Österreichs Twitter-Ranking

Laut Social Media Radar , das regelmäßig von Digital Affairs erhoben wird, sind auf den vorderen Plätzen – neben Anonymous Austria – nur Journalisten zu finden: Armin Wolf ist mit grob 13.000 österreichischen Followern und international 37.000 weitab in Führung vor Video-Blogger Robert Misik (3500 öst. Follower/8000 international). Es folgen FM4-Mann Martin Blumenau, Falter -Redakteur Florian Klenk, News -Journalistin Corinna Milborn oder Puls4 -Moderator Thomas Mohr. Ingrid Thurnher, ORF -Diskussionsleiterin, ist auf Platz 4 im Ranking, obwohl ihr Account lange verstummt ist, und sie erst seit einer Woche in Sachen Pelinka wieder getwittert hat. KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter, der erst seit einem halben Jahr twittert, findet sich auf Platz 36.

Diese Dichte an Meinungsbildnern macht den Reiz für viele weniger bekannte Twitteranten aus, weil sie sich hier auf Augenhöhe mit prominenten Journalisten austauschen können. Das dürfte auch der Grund sein, warum sich nur wenige Politiker (und eher die aus der zweiten Reihe) erfolgreich auf Twitter behaupten. Grün-Politiker Christoph Chorherr reüssiert als "early adopter" und populärster Politiker im Ranking auf Platz 14. Gefolgt vom einzigen grünen Landtagsabgeordneten im Burgenland, Michel Reimon. Warum es bei ihm funktioniert? "Weil ich es nicht als Politiker und nicht für politisches Marketing verwende", sagt Reimon, "für mich ist es einfach die mit Abstand schnellste Nachrichtenagentur." Dass einen auf Twitter jeder/jede zur Rede stellen kann, ist für Reimon das "Salz in der Suppe", auch wenn es schon mühsam sein kann, wenn das Gegenüber "schlecht informiert oder aggressiv" ist.

Verlautbarer werden links liegen gelassen

Sebastian Kurz, Staatssekretär für Integration, ist mit 1.205 österreichischen Followern erfolgreichster ÖVP-Politiker auf Twitter. Auch wenn er es recht distanziert angeht, berichtet er authentisch von seiner politischen Tätigkeit. Er kommt als eigenständige Persönlichkeit und nicht als stupides Verlautbarungsorgan der Presseabteilung oder einer PR-Agentur rüber – und das schafft offensichtlich Vertrauen.

"Diejenigen Politiker, die nur verlautbaren und nicht diskutieren, werden links liegen gelassen", sagt Hubert Sickinger, Politikwissenschaftler und Experte für Korruption und Parteienfinanzierung, "die Interaktion macht es aus." Sickinger hat als Sprecher von Transparency International 2009 mit Twitter begonnen und bezeichnet sich selbst als "vom Virus angesteckt". Er schätzt an dem Portal "die sehr schönen Diskussionen unter Journalisten, den faszinierenden Nachrichtendienst (aus bereits von den Nutzern vorselektierten News) und die Tipps zu Sendungen oder Links", die er bekommt. "Das ist der unmittelbare Nutzen, den ich daraus ziehe."

Failmann statt Faymann

Wie schwer man sich als Politiker in sozialen Netzwerken tun kann, hat Bundeskanzler Werner Faymann schmerzvoll erfahren müssen. Der rund 200.000 Euro teure Social-Media-Auftritt geriet zum Fiasko, nachdem Fake-Accounts auf Facebook bekannt wurden. Und dem kritischen Publikum auf Twitter wollte sich das Faymann-Verlautbarungsorgan namens @teamkanzler schon gar nicht stellen. Die Fragen von Twitteranten wurden konsequent ignoriert, was für große Aufsehen in der Community gesorgt hat. Im November wurde jedwede Aktivität eingestellt. Und dann wurde auch noch die halb lustige Parodie @WernerFailmann viel populärer als der Kanzler. In der Zwischenzeit hat Angelika Feigl, Social-Media-Beauftragte im Bundeskanzleramt, die Twitter-Kommunikation auf Augenhöhe übernommen. Der anhaltend kritische Blick der Twitteria ist ihr nach den anfänglichen Problemen sicher.

Ein Politiker-Erfolgsmodell gibt es dann doch noch zu vermelden: Stefan Petzner, solariumgebräunter BZÖ-Abgeordneter, gilt mit bis zu 50 Tweets am Tag als Power-User, ist konfrontationswillig und beweist Humor: Als Anfang Dezember ÖVP-Klubobmann Kopf während einer Parlamentsdebatte mit seinem Sessel "umgeknickt" war, hat Petzner ein Foto des Corpus Delicti in den Twitter-Äther geschickt: "der hingemeuchelte sessel des övp-klubobmannes", twitterte er, "jahrzehntelang bot er halt für so manch gesäß, nun das bittere ende ;)"

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