Ältere Frauen schämen sich für ihren sozialen Abstieg

Die Zahl der Spitalsaufenthalte liegt in Österreich um 60 Prozent über dem EU-Durchschnitt
Schatten-Dasein: Immer mehr Frauen geraten nach ihrer Pensionierung in die Armutsfalle.
Von Uwe Mauch

Öfters macht sie sich Gedanken, manchmal auch Sorgen: Was sein wird, wenn sie in drei Jahren das Pensionsalter erreichen wird. Renate will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie hadert mit ihrer sozialen Situation, die sie nicht selbst verschuldet hat. Und die, wie sie aus vielen Gesprächen weiß, auch anderen Frauen in ihrem Alter blüht.

Wird sie sich die 700 Euro Miete für ihre Stadtwohnung noch leisten können? Wird sie ihren Wagen, mit dem sie zu ihrer Mutter auf dem Land fahren kann, verkaufen müssen? Auf gar keinen Fall, betont sie, will sie einen ihrer vier Söhne bitten, ihr finanziell auszuhelfen.

Für Gottes Lohn

In Österreich ist laut Jahresbericht der Pensionsversicherungsanstalt jeder zehnte Pensionist von realer Armut betroffen, Frauen drei Mal häufiger als Männer. Gleichzeitig steigt die Zahl jener Frauen, die in ihrem Ruhestand einen bitteren sozialen Abstieg hinnehmen müssen. Die Armutsgefährdung ist dort angelangt, wo man sie bisher nicht vermutet hat, bestätigt der Soziologe Lukas Richter von der Wirtschaftsuniversität Wien.

Renate hat sich ihr Leben lang engagiert, in der Pfarre, im Kindergarten, im Elternverein der Schule ihrer Kinder, zumeist für Gottes Lohn. Nach ihrem Germanistik-Studium hat sie sich hauptsächlich um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert, um ihrem Mann für das Geldverdienen den Rücken frei zu halten. Wurde für einen Schulausflug um elterliche Hilfe gebeten, ist sie sehr oft eingesprungen. „Ich habe das gerne gemacht“, betont sie. „Für meine Kinder, für ihre Mitschüler, zur Entlastung der Lehrer und wohl auch für mein eigenes Seelenwohl.“

Dem damals strengen Diktum der Kirche, wonach gute Mütter möglichst lange bei ihren Kindern bleiben sollen, ist sie im guten Glauben und auch im Geiste ihrer Generation gefolgt. Sie hat damit der Stadt Wien und der Republik einiges an Kosten erspart. Dieses Lebensmodell mag anderen geholfen haben, Renate selbst erkennt heute, dass es ihr mehr Nach- als Vorteile eingetragen hat. Sie will nicht jammern, aber sie erzählt auch: „Ich konnte mein eigenes Berufsleben nur mit schlecht bezahlten Teilzeit-Jobs beginnen.“ Das wäre nicht weiter dramatisch, hätten ihr Mann und sie sich nicht scheiden lassen.

Wo Armut einsam macht

Die heute Alleinstehende ist für das Thema Altersarmut doppelt sensibilisiert. Als direkt Betroffene ebenso wie als Mitarbeiterin im Fachbereich Seniorenpastoral der Wiener Erzdiözese. Dort hat man gemeinsam mit der evangelischen Stadtdiakonie und weiteren Einrichtungen die Plattform alt.arm.weiblich gegründet (mehr Infos siehe unten).

Die Plattform ist ein Rettungsanker für immer mehr Betroffene. In Pfarren bekommt Renate öfters mit, dass sich ältere Frauen nicht zum gemeinsamen Ausflug mit dem Bus anmelden. Mit der Begründung, dass sie keine Zeit haben. In Wahrheit sagen sie ab, weil sie sich die 30 oder 40 Euro Unkostenbeitrag nicht mehr leisten können. Und weil sie diese Scham nur ungern mit anderen teilen möchten, lehnen sie auch jede Form der finanziellen Unterstützung ab.

Armut versteckt sich hier hinter einer nach außen hin intakt wirkenden Fassade. Auch in Sozialmärkten und bei der Suppenausgabe stellen sich nicht mehr nur klassische Obdachlose an. Faktum ist: Ist der Zugang zu Bildung, Medizin oder gemeinsamen Lebensfreuden verstellt, hat das für jede und jeden geistige wie körperliche Folgen.

Renate erzählt, dass es heute zunehmend schwieriger wird, Mütter und Väter zu finden, die sich ehrenamtlich engagieren. Vor allem junge Frauen steigen rascher wieder in den Beruf ein. Eine wohl überlegte Entscheidung, die sie mit einem Blick auf ihre eigene Lebensgeschichte gut nachvollziehen kann.

Alt. Arm. Weiblich: Neues Angebot für Betroffene

Die Plattform

Die ökumenische Plattform „alt.arm.weiblich“ wurde innerhalb der Erzdiözese Wien von der Seniorenpastoral, von der Kontaktstelle für Alleinerziehende, der Plattform WIGE, dem Katholischen Bildungswerk und der Bildungsinitiative Anima sowie der der evangelischen Stadtdiakonie eingerichtet. Fakten, Zahlen und konkrete Hilfsangebote seit heute unter: www.altarmweiblich.at

Info-Nachmittag

Die Plattform lädt heute zu einem Info-Nachmittag zur Altersarmut von Frauen ein. Moderatorin Barbara Stöckl wird Berichte von drei betroffenen Frauen lesen, der Soziologe Lukas Richter einen Vortrag halten. Beginn: 17 Uhr. In der Superintendentur der Evangelischen Kirche, 1050 Wien, Hamburgerstraße 3. Anmeldung: stadtdiakonie@diakoniewien.at oder 01 / 208 58 93

 

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