5 Jahre nach Fukushima: Müll und Hoffnung

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Heute sind die Lebensmittel genießbar, werden aber trotzdem gemieden.

Die Landschaft ist übersät mit schwarzen Plastiksäcken, darin radioaktiver Müll. Sie lagern auf Feldern oder am Strand. Stumme Zeugen des zweitschwersten Reaktor-Unglücks der Atomgeschichte.Am 11. März 2011 bebte vor der Nordostküste Japans die Erde. Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi fiel daraufhin der Strom aus. Kurze Zeit später stieß eine 15 Meter hohe Tsunami-Welle über die 5,7 Meter hohe Schutzmauer, Meerwasser drang in das Kraftwerk ein. Was dann passierte, ist bekannt. Unvergessen sind die Bilder brennender Reaktoren und verwüsteter Landstriche. Der Tsunami war bis zu zehn Kilometer ins Landesinnere gedrungen. 18.500 Menschen starben sofort, noch mehr wurden obdachlos.

Der Vergleich mit Tschernobyl

Obwohl die Welle des Tsunamis Tausende Kilometer entfernt war, spülte sie in Europa eine grausame Erinnerung in die Köpfe: Tschernobyl. Und die ewige Angst vor dem Knall. Die beiden Unglücke und ihre Folgen lassen sich aber nicht vergleichen, sagt der österreichische Strahlenphysiker Georg Steinhauser von der Universität Hannover. Während in Tschernobyl die Behörden tagelang schwiegen, wurden die Menschen um Fukushima noch am selben Tag evakuiert: "Ein Großteil der Bevölkerung konnte noch vor den größten Radionuklid-Freisetzungen die Gefahrenzone verlassen." Außerdem starben viel weniger Arbeiter: In Tschernobyl wurden 134 Personen mit Symptomen akuter Strahlenkrankheit diagnostiziert. 31 von ihnen fanden noch 1986 den Tod, bis 2004 waren es 19 weitere. In Fukushima zeigte kein Arbeiter Anzeichen von Strahlenkrankheit. Dennoch wird es zu Krebsfällen kommen, ist der Physiker überzeugt. Das bestätigt auch das Komitee der Vereinten Nationen für die Folgen von Strahlung (UNSCEAR). Generell habe sich das Krebsrisiko nicht erhöht, aber jenseits der statistisch erkennbaren Entwicklung sei in Einzelfällen eine Krebsgefahr nicht auszuschließen, heißt es.

Radioaktive Zedernbäume

Umweltorganisationen sehen die Lage fünf Jahre nach der Katastrophe etwas anders. Greenpeace hat die Natur in Fukushima unter die Lupe genommen: Zedernbäume weisen hohe Radioaktivität auf, die DNA von Würmern sei beschädigt, die Fruchtbarkeit von Rauchschwalben sinkt und bei Schmetterlingen wurden erbliche Mutationen beobachtet. Große Sorge bereitet den Aktivisten auch die Verschmutzung des Pazifiks. Britische Wissenschaftler des Bedford Institute of Oceanography stellten fest, dass radioaktive Isotope mittlerweile die amerikanische Westküste erreichten.

Georg Steinhauser erklärt, dass die Werte sehr gering sind und keine Gefahr darstellen – der Großteil des radioaktiven Isotop Cäsium-137, das derzeit im Wasser ist, hat andere Ursachen: "Die Atomwaffentests des 20. Jahrhunderts sind für 95 Prozent des Cäsiums verantwortlich, das ins Meer gelangte. Die restlichen fünf Prozent gehen auf Fukushima." Physiker Steinhauser kritisiert, dass bei Studien zu Fukushima generell oft Ursache/Wirkung nicht gleichermaßen beleuchtet wird. Steinhauser war 2014 als Gastprofessor an der Universität Fukushima, um die Messdaten von 900.000 Lebensmittelproben auszuwerten. Die radioaktive Belastung des Trinkwassers nach dem Unfall war sehr gering, jene der Gemüse- und Obstproben aber sehr hoch. "Das kam jedoch nie in Supermärkte. Die Lebensmittel in Fukushima wurden in einer Art und Weise getestet, wie es zuvor noch nie passierte."

Was mit kontanimiertem Reis geschah

Wurde bei einer Spinatprobe der Wert überschritten, vernichtete man sofort die Ernte. Steinhauser berichtet, dass jeder Reissack untersucht wird: 2012 überschritten 71 Säcke – von 10 Millionen – den Grenzwert. Ein Jahr später waren es nur noch 28 Säcke, ab 2014 waren es null. Nur bei Rind gab es Fälle von kontaminiertem Fleisch, das in Supermärkte kam. "Es wurde übersehen, dass es Monate dauert, bis sich im Körper von Nutztieren relevante Mengen an radioaktivem Cäsium anreichern." Auch beim Fisch wurden Werte gemessen, die über dem Grenzwert lagen. Steinhauser betont aber, dass seit April 2015 keine einzige Fischprobe über dem Grenzwert war. Dieser sei zudem sehr streng. Der europäische Wert nach Tschernobyl war um den Faktor 12 höher.

Weltumfassende Angst

Während seiner Zeit in Fukushima wagte Steinhauser ein Selbstexperiment. Zwei Monate aß er nur Lebensmittel aus der Präfektur Fukushima. Nach seiner Rückkehr ließ er im Krankenhaus seinen Körper auf Radioaktivität messen – es war nichts nachweisbar. Dennoch sind viele Japaner skeptisch. Zum Leid der Bauern – sie können kaum etwas verkaufen. Auch in jene evakuierten Gebiete, die mittlerweile wieder freigegeben wurden, wollen nur wenige zurück. Die Folgen des GAUs blieben zwar regional, die Angst vor der großen Katastrophe ist aber weltumfassend. Anti-Atom-Proteste brachten nach der Katastrophe kurzzeitiges Umdenken, aber keine Wende. In Japan soll Atomkraft zumindest reduziert und erneuerbare Energie ausgebaut werden. Derzeit wälzt man aber ein viel größeres Problem: Wohin mit dem radioaktiven Müll?

- 9,0 erreichte das Beben auf der Richterskala. Damit war es das bisher schwerste in Japans Geschichte.

- Bis zu 30 Meter hoch war der Tsunami, der mehr als 260 Küstenstädte verwüstete.

- Fast 19.000 Menschen kamen durch die Flutwelle ums Leben oder werden bis heute vermisst.

- Mehr als eine Million Häuser wurden zerstört oder beschädigt.

- Mehr als 200 Milliarden US-Dollar betrugen schätzungsweise die originären Schäden.

- Mehr als 100.000 Menschen mussten nach der Reaktorkatastrophe wegen der Strahlenbelastung in der Region ihre Häuser verlassen.

- 30 bis 40 Jahre kann es nach Angaben des Fukushima-Betreibers Tepco dauern, bis das Kraftwerk endgültig gesichert ist.

- 7.000 Arbeiter sind täglich in der Atomruine von Fukushima im Einsatz.

- 750.000 Tonnen radioaktiv belastetes Wasser ist in Tanks auf dem Gelände zwischengelagert.

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