"Ariodante": Zwänge und Intrigen

Alles wirkt ziemlich kleinbürgerlich: Die beengte Wohnung mit den vielen kleinen Zimmern samt Kochnische und Kühlschrank. Von königlichem Palast keine Spur.
Johannes Schütz, der auch für die Bühne verantwortlich ist, hat „Ariodante“ von Händel ins 20. Jahrhundert verlegt und die Geschichte des Ritters, der beinahe Opfer des Intriganten Polinesso um die Gunst von Ginevra von Schottland wird, modernisiert.
Alle sind immer da. Man trinkt gemeinsam Kaffee, Dosenbier oder harte Drinks und isst Sandwiches. Der „König“, wie ein verwahrloster, alter Hippie mit ausgebeulter Jogginghose und Bademantel herumschlurfend, missbraucht seine Tochter Ginevra. Im Traum vollführt Ginevra bei ihrem Vater zwangsweise noch einen Blow Job, bevor sie ihm den Penis abschneidet. Was beim Publikum zu Missfallenskundgebungen führt. Dann rächt sie sich für die Intrige, immer noch träumend, an allen anderen und tötet sie.
Freizügig
Wiewohl der deutsche Regisseur, „Faust“- und „Nestroy“- Preisträger, mit dem Stoff, dem als Sujet Ariosts „Orlando furioso“ zugrunde liegt, sehr freizügig umgeht und nicht jedermanns Geschmack trifft, packt er doch aktuelle Themen wie sexuelle Zwänge in seine detailreiche, immer nachvollziehbare Konzeption.
Etwas inhomogen präsentiert sich das Ensemble, das auch einmal den komplett gestrichenen Chor ersetzen muss: Tamara Gura ist ein wenig maskuliner Ariodante mit schönem Mezzo, den sie jedoch manchmal zu tief ansetzt. Sie ist ebenso koloraturensicher wie Karolina Plicková als klangschöne Ginevra. Marcell Bakonyi singt den König kernig. Mark von Arsdale ist ein manierierter Lurcanio, Katharina Bergrath eine schmalbrüstige, teils intonationsunsichere Dalinda. Am besten wirkt Nedezhda Karyazina als viriler, präsenter, kraftvoller Polinesso. Die Rolle des Odoardo wurde gestrichen, so wie auch sonst massiv der Rotstift angesetzt wurde.
Das nicht immer ganz saubere Mozarteumorchester Salzburg spielt unter Christian Curnyn mit großer Stilsicherheit, vibratolosen und mit Darmsaiten bespannten Streichern, mit Verve und Einfühlungsvermögen. Starker Applaus für Dirigent und Sänger, ein Buh-Orkan für die Regie!
KURIER-Wertung: *** von *****
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