Zeitzeuge Rudolf Gelbard: "Wir sind die Letzten!"

Erzählen im Burgtheater vom Überleben: Suzanne-Lucienne Rabinovici, Ari Rath, Vilma Neuwirth, Rudolf Gelbard, Lucia Heilman
Der KZ-Überlebende Rudolf Gelbard tritt mit Leidensgenossen im Burgtheater auf.

Wer Rudolf Gelbard, 83, trifft, bemerkt zwei Dinge. Erstens: Er hat fast aufreizend viel Zeit und verlangt dies auch von seinem Gesprächspartner. Gelbard mag keine Eile, weil er für Missverständnisse keine Zeit hat.

Zweitens: Gelbard schreibt alles auf. Aus seiner Aktentasche holt er unzählige Zettel heraus, teils mit der Hand, teils mit der Maschine beschrieben, mit Anmerkungen und Unterstreichungen in verschiedenen Farben versehen. Er besteht darauf, dass sein Gegenüber alle diese Zettel zuerst liest und dann fotokopiert.

Man sollte nicht den Fehler machen, Rudolf Gelbard für einen etwas merkwürdigen älteren Herrn zu halten. Es ist nämlich so: Wer Theresienstadt überlebt hat, lässt sich nicht hetzen. Und der will sicherstellen, wirklich richtig verstanden zu werden. Die Wahrheit aufschreiben und weitergeben – Vergesslichkeit gegenüber der Wahrheit lässt der Journalist Gelbard (er arbeitete bis zu seiner Pensionierung im KURIER) nicht durchgehen.

Unermüdlich gibt es deshalb seine Erinnerungen weiter, bei Diskussionsveranstaltungen, in Schulen, in Kurt Brazdas Filmdokumentation „Der Mann auf dem Balkon“. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Die Arbeit mit Matthias Hartmann begeistert ihn ebenso wie das Projekt „Die letzten Zeugen“ an sich: „Man könnte mit Hans Sahl (antifaschistischer Schriftsteller; Anm.) sagen ,Fragt uns – wir sind die Letzten!’“

Hauptverbrechen

Gelbard – der Vereinfachungen und Pauschalurteile stets abgelehnt hat – wählte für das Burg-Projekt das Thema „Die 17 Hauptverbrechen der Nazis“. Vom Holocaust weiß inzwischen jeder vernünftige Mensch, Gelbard möchte aber auch, dass andere Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Gelbard: „Wer weiß etwa von den ,Rheinland-Bastarden‘, die von den französischen Besatzungen in den Zwanzigerjahren gezeugt und später von den Nazis sterilisiert wurden? Wer weiß, dass Menschen auch wegen Weitergabe von BBC-Nachrichten oder ,Flüsterwitzen‘ geköpft wurden? Wer weiß, dass einzelne ,Schlurfs‘ (unangepasste Jugendliche; Anm.) in Jugend-KZs kamen und manche auch nicht überlebten?“

Gelbard hat gute Erinnerungen an die Schlurfs: „Ich war das letzte jüdische Kind in unserer Gasse, und sie waren nett zu mir. Und, ohne sie idealisieren zu wollen, ich habe auch gute Erinnerungen an die Prostituierten in unserer Gegend. Sie hatten Instinkt und hielten die Nazis für verrückt.“ Gelbard erinnert sich an Menschen, die den kleinen Bub, der den gelben Stern tragen musste, ohrfeigten – und an andere, die ihm Schokolade schenkten. „Ich habe immer gewusst, dass es das andere Österreich gibt. Als Schuschnigg seine Abschiedsrede im Radio hielt, saßen in unserer Wohnung Juden und Nichtjuden zusammen, Sozialdemokraten, Monarchisten – und alle haben geweint.“

Helden wie Franz Jägerstätter sind für Gelbard „Ausnahmen“. Er kannte viele, die das Unrecht zumindest erkannten: „Mehr kann man in einer Diktatur nicht verlangen.“

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