"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn

Autofahrer auf Überholspur im tödlichen Duell: In der argentinischen Radikalkomödie „Wild Tales“ gehen die Bürger einander an  die Gurgel
Regisseur Damián Szifrón zeigt in seiner Radikal-Komödie Argentinier am Rande das Nervenzusammenbruchs. Weiters: "96 Hours - Taken 3", "Ich seh ich seh" und "St. Vincent".

Rache ist süß, heißt es so schön harmlos im Volksmund, aber in der argentinischen Wutbürger-Eskalation ist Rache tödliches Elixier. In "Wild Tales" bedeutet Rache Flugzeugabsturz, Autoexplosion oder Tod durch Rattengift. Harmlose Überholmanöver auf der Landstraße steigern sich zu tödlichen Duellen, ein falscher Strafzettel kann Berge der Wut versetzen, eine heimliche Affäre verwandelt ein Hochzeitsfest in eine Eifersuchtshölle.

"Relatos Salvajes" – so der spanische Originaltitel – von Regisseur Damián Szifrón, wurde von Pedro und seinem Bruder Augustín Almodóvar mit produziert, bei den Filmfestspielen in Cannes frenetisch gefeiert und von Argentinien ins Rennen um den heurigen Auslandsoscar geschickt. Überschüttet mit hochkarätigen Vergleichen von Tarantino bis zu den Coens, avancierte Szifróns krasse Radikalkomödie zum Boxoffice-Hit in Argentinien.

Man kann sich nur schwer der Versuchung entziehen, den sechsteiligen Episodenfilm rund um den gesellschaftlichen Zuck-aus allegorisch zu lesen. Der Bürger als Reserve-Rambo nimmt privat Rache dort, wo bürokratische Systeme entgleisen oder Staatsmacht in den Dienst der Privilegierten tritt.

Wenn ein Finanzhai einen Familienvater ungestraft in den Freitod treibt, bekommt dessen verbitterte Tochter überraschend Gelegenheit zur Revanche. Als Kellnerin in einer Imbissstube kann sie dem arglosen Spekulanten eine feine Prise Gift über die Pommes streuen.

Bumm

Auch ein geplagter Sprengmeister rastet vorerst vergeblich aus, nachdem ihm das Auto wegen angeblichen Falschparkens mehrfach abgeschleppt wurde. "Die Gesellschaft wird sich nicht ändern, du wirst dich nicht ändern", lautet das Verdikt des Vollzugsbeamten, der ihn zur Kasse bittet. Das lässt der Mann nicht auf sich sitzen. Wozu ist man schließlich Sprengmeister und – bumm! – fliegt auch schon ein Auto in die Luft. Dafür landet der Täter zwar im Gefängnis, avanciert aber umgehend zum Helden der sozialen Netzwerke – als Michael Kohlhaas der Straßenverkehrsordnung.

Das Leben der argentinischen Gesellschaft, es bewegt sich in freier Wildbahn: Jeder für sich und Gott gegen alle. Szifrón verfasste die sechs Kurzgeschichten zu seinem hysterischen Episodenreigen selbst und lässt in tragisch-komischer Zuspitzung seine Protagonisten im grellen Countdown gegen einander antreten. Sein Extremhumor wirkt dabei als explosives Ferment einer bürgerlichen Gesellschaft, die sich am Rande des Nervenzusammenbruchs befindet. Das Ergebnis ist spektakulär-unterhaltsam und zum Glück nur beinahe zynisch.

Info: Wild Tales – Jeder dreht mal durch! AR/ES 2014. 122 Min. Von D. Szifrón. Mit Ricardo Darín.

KURIER-Wertung:

Im Kino: "Wild Tales"

Seit 2008 muss Liam Neeson in der Rolle des Bryan Mills vornehmlich entführte Familienmitglieder freischießen. In den ersten beiden Teilen von "96 Hours" bekam es der kompromisslose Ex-CIA-Agent in Europa mit brutalen albanischen Mädchenhändlern zu tun. Schwarz–Weiß-Malerei sowie Verharmlosung von Selbstjustiz Folter wurden kritisiert, andererseits eine Renaissance des Rächer-Movies gefeiert.

In Teil 3 der von Luc Besson produzierten Action-Reihe wird Mills vom Jäger zum Gejagten. Angeblich war Liam Neeson (62) nicht mehr dazu bereit, nach dem selben Schema erneut Entführungsopfer loszueisen. Daher wurde das Konzept geändert.

"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn

Und dieses sieht nun so aus: Eigentlich will sich der alternde Elite-Killer in Los Angeles ein gemütliches Leben einrichten, gelegentlich bei seiner Tochter Kim (Maggie Grace), die nun studiert, zu Besuch kommen. Doch als er plötzlich von Polizisten am Bett seiner ermordeten Ex-Frau (Famke Janssen) ertappt wird, ist er wie einst Dr. Kimble als Unschuldigerauf der Flucht. Auf der Suche nach den wahren Tätern kreuzt eine grimmige russische Mörderbande seinen Weg.

Grübelnder Forest Whitaker

"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn

Eine Bereicherung ist Forest Whitaker als grübelnder Chef-Ermittler Frank Dotzler, auch wenn sein schrulliger Melancholiker fast zu übertrieben gerät.

An Action wird alles aufgefahren, was das Genre hergibt: Temporeich geschnittene Verfolgungsjagden, Technik-Tüfteleien, Schießereien, Explosionen und überraschende Wendungen. Dennoch scheint das Thema Selbstjustiz (unter anderem mit einer überflüssigen Waterboarding-Folterszene) nun mit dem dritten Teil ausgereizt. Also: Lieber nicht noch einmal 96 Stunden. Auch ein Superagent hat ein Recht auf Ruhestand.

KURIER-Wertung:

INFO: "96 Hours - Taken 3". Action F 2014.103 Min. Von Olivier Megaton. Mit Liam Neeson, Forest Whitaker, Maggie Grace, Famke Janssen.

"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn
Böser Russe, was nun? Super-Daddy Bryan Mills (Liam Neeson) muss in "96 Hours - Taken 3" wieder einmal ran.
"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn
Russische Gangster sind in das undurchsichtige Spiel verwickelt. Es kommt zunächst zu einem brutalen Kampf im Liquor Store.

Dumpfe Ahnung steigert sich zur grässlichen Gewissheit: Die Frau, die nach einer Schönheitsoperation nach Hause zu ihren Zwillingssöhnen kommt, ist eine Fremde. Und nicht, wie sie behauptet, die Mutter der Buben. Sie spricht mit ungewohnt scharfer Stimme, hat das Lieblingslied ihrer Kinder vergessen und geistert wie eine Untote durchs einsame Landhaus.

"Ich seh Ich seh", das famos-unheimliche Spielfilmdebüt des Regie-Duetts Veronika Franz und Severin Fiala, begeisterte in Venedig und ist seitdem auf Erfolgskurs – für den US-Verleih hat sich Harvey Weinstein persönlich die Rechte gesichert. Souverän setzen Franz und Fiala ihrem elegant-schwebenden, hervorragend gespielten Drama Elemente des Horrors zu. Tote Katzen und krabbelnde Kakerlaken werfen ihre Schatten voraus auf ein flammendes Finale im Fegefeuer der Mutter-Kind-Beziehung. Große Empfehlung. Ich seh Ich seh.

KURIER-Wertung:

INFO: "Ich seh ich seh". Horror. Ö 2014. 99 Min. Von Veronika Franz, Severin Fiala. Mit Susanne Wuest, Lukas und Elias Schwarz.

"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn
Hervorragendes Spiel der Zwillingsbuben Lukas & Elias Schwarz  

Es gibt so etwas wie ein eigenes Genre, in dem schlecht gelaunte, streitsüchtige, unsympathische ältere Herren beweisen dürfen, dass in ihrer rauen Schale ein weicher Kern schlummert. Jack Nicholson machte diese Wandlung in dem Erfolgshit "Besser geht’s nicht" vor, und auch Kollegen wie Michael Douglas oder Al Pacino bekamen ihre Chance.

Nun ist der große Bill Murray wieder an der Reihe: Er spielt einen alten Grantler, der sein Herz entdeckt – dank eines Kindes, für das er den Babysitter spielen muss. Vorhersehbar von der ersten Minute an, erleben wir, wie Bill Murray als rauchender und saufender Einzelgänger seine Umwelt vor den Kopf stößt. Als ihm die neue Nachbarin (unterbeschäftigt: Melissa McCarthy) ihren Sohn zur Beaufsichtigung überlässt, reißt er sich etwas zusammen. Sympathisch-witzige, aber recht formelhafte Unterhaltung.

KURIER-Wertung:

INFO: " St. Vincent". Tragikomödie. USA 2014. 102 Min. Von Theodore Melfi. Mit Bill Murray, Melissa McCarthy, Naomi Watts.

"Wild Tales": Das Leben in freier Wildbahn
Bill Murray als Einzelgänger, den nur die Katze mag: „St. Vincent“

The Cut

Drama. Fatih Akin, deutscher Regisseur mit türkischen Wurzeln, lieferte mit seinem Armenien-Drama "The Cut" eine fulminante Enttäuschung. So ehrenwert die Thematik auch sein mag – erzählt wird von dem Völkermord an den Armeniern in der Türkei von 1915 – so wenig kann Akin seinen Stoff meistern. Ein junger Armenier – ausdrucksfrei gespielt von Tahar Rahim – macht sich auf die Suche nach seinen Töchtern. Ungelenk hakt "The Cut" seine Drehbuchstationen ab – und Akins angestrebtes großen Historienkino verflacht zum Kostümfilm der Konventionen.

KURIER-Wertung:

Let’s be Cops – Die Party Bullen

Komödie. Zwei arbeitslose Schauspieler verkleiden sich als Polizisten und besuchen einen Maskenball. Dort bleiben sie allerdings nicht lange, sondern treiben sich in voller Verkleidung auf den nächtlichen Straßen herum. Sie werden für echte Polizisten gehalten und stiften Verwirrung. Action-Klamauk.

The Best of me – Mein Weg zu dir

Romanze. Zwei verliebte Teenager verlieren sich aus den Augen und treffen sich nach 25 Jahre wieder. Hält ihre Liebe immer noch?

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