Kraftwerk: Das halbe Überding auf der Autobahn

Retrocharme auf der Autobahn in die vergangene Zukunft: Kraftwerk im Burgtheater
Die Pioniere der elektronischen Musik gastieren mit ihrem einzigartigen Werk im Burgtheater

Kraftwerk-Konzerte sind immer gleich, und das ist auch gut so. Die vier fast regungslosen Bildschirmbediener sehen im Kunstfiguren-Overall aus wie die Servicekraft von der Musiktankstelle. Hinter vier mit sicher hoch komplizierter Technik ausgestatteten Podesten tun sie Weiß-Gott-Was; jedenfalls nichts, was man von einem Konzert sonst erwarten würde. Man steht und drückt rum, das Publikum sitzt und schaut durch die 3D-Brille, und dazwischen reproduziert sich eine der einst visionärsten Musiken der Popgeschichte.

Die gibt es, beim "Katalog", in brilliantem Rundumklang, angereichert mit 3D-Filmen und in chronologischer Reihenfolge: Zum Auftakt am Donnerstagabend waren "Autobahn" (1974) und "Radioaktivität" (1975) dran, bis Sonntagabend werden insgesamt sieben Alben (angereichert mit den Hits, soweit man davon bei Kraftwerk sprechen kann) und eine reine Hitshow zu hören gewesen sein.

Mit dieser komplizierten Zeitangabe sind wir auch schon im Herzen dessen, was ein Kraftwerk-Konzert zum Erlebnis macht: Zum Glück sind die Beats so gerade, denn sonst könnte einem beim Hüpfen zwischen den Zeitebenen ganz schön schwindlig werden. Die Zukunft sieht hier so aus, wie man sich heute vorstellt, dass man sich in der Vergangenheit eine Zukunft vorstellen würde, die aber inzwischen auch schon wieder vergangen wäre.

Oder so.

Untertasse

Hier herrscht der poetische Charme der nochnichtdigitalen Zeit: Das Raumschiff Kraftwerk in einem der überaus stimmigen 3D-Filme sieht aus wie eine fliegende Untertasse von der Mondbasis Alpha 1. Man besingt Kurzwellenradioknöpfe und Bildschirmtext (wer das auch noch kennt, ist auch alt!), man zeigt alte VW-Käfer und Models, die nicht nur von Watte und Orangensaft leben.

Zugleich aber ist man auf anhaltend faszinierende Weise hochaktuell: Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard "haben unsere Daten da", sangen Kraftwerk in "Computerwelt" - 1981, zwei Jahre, bevor Edward Snowden auf die Welt gekommen ist. Sie beschrieben vor Jahrzehnten die Computerliebe und die Non-Stop-Musik, die man heute um ein paar Cent pro Tag beim Streaming-Dienst kaufen kann.

Und sie richteten früh den Blick auf die Menschmaschine, den mit der Technik zum "halben Überding" verschmolzenen Menschen. Und das lange bevor es noch eine Technik gab, mit der zu verschmelzen sich überhaupt gelohnt hätte.

Museal und aktuell

Nun, wo das Smartphone zum erweiterten Körperteil vieler geworden ist, ist das auf jeden Fall einen neuen Besuch wert. Nach umjubelten Auftritten u.a. der Tate Gallery in London und dem Museum Of Modern Art in New York gibt es also im Rahmen der Wiener Festwochen im Burgtheater ein durchaus einzigartiges Erlebnis: Eine (auch feinhumorig) museale und doch schmerzlich aktuelle Installation einer Vision, an die sich die Welt nach und nach angepasst hat.

Nicht zuletzt auch im Schlechten: Längst wurde das einst ambivalente "Radioaktivität" als Song gegen selbige einzementiert; und die Katastrophen-Liste von Harrisburg, Sellafield bis Hiroshima musste nun um Fukushima ergänzt werden, der Text wird (übersetzt von Ryuichi Sakamoto) teils auf Japanisch gesungen.

Großstadtvolksmusik

Das zentrale, bleibende Verdienst von Kraftwerk lässt sich in der Werkschau nacherleben: Hier wurden den Ereignissen der Stadt Töne gegeben, also dem, was immer mehr Menschen weltweit als Alltag erleben. Statt Berggipfel- und Adler-Verklärung gibt es bei Kraftwerk Stadtschluchten und Industrierhythmen, ein kosmopolitisches Heimatgefühl.

Die ersten zwei Konzerte zeigten durchaus auch die Schwächen der ersten beiden Alben; aber nach einigen Hängern trabten sie dann im jeweils zweiten Teil alle vorbei, die Roboter, die Menschmaschinen, die Models (die beim zweiten Konzert aber nur ein paar Sekunden als Video auftreten durften und dann übersprungen wurden), die Radler der Tour de France, auch die abstrakten Formen des Kunstkosmos Kraftwerk.

Und vor allem: die nie endende Musik, gespielt von Musikarbeitern (teils jenseits des Pensionsalters), die nur noch zu einem Viertel (Ralf Hütter) aus der prägendsten Besetzung stammen. Aber, das ist auch das Schöne: Das macht nichts. Das Konzept Kraftwerk ist erstaunlich lebendig geblieben.

KURIER-Wertung:

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