Wiener Festwochen: Fazit des Ausnahmezustands

Am Freitag gab es die Uraufführung von "Traiskirchen - Das Musical"
Die KURIER-Kulturredaktion zieht drei Resümees der heurigen Ausgabe.

Die ersten Festwochen unterm neuen Chef Tomas Zierhofer-Kin werden ein allumfassender Elchtest gewesen sein, darauf angelegt zu sehen, wen es als ersten aus der Kurve haut: Die Kunst? Das Publikum? Oder den ordentlich angegrauten Glauben, dass die Avantgarde weit weg zu stehen und von dort herab dem Publikum Gescheitheiten zuzurufen hat? Ausführlichst getestet: der Wortschatz an soziologischen Triggerbegriffen (war das jetzt queer oder postkolonial, kolonial oder post-queer?).

Überstanden hat diesen Test niemand gänzlich unbeschadet – das ist aber noch nicht die Antwort auf die Frage, ob das jetzt gut ist oder schlecht. Die Festwochen verstehen sich also nicht mehr als Kunstkammer des internationalen (Musik-)Theatergeschehens, dieses wurde nicht mehr, wie zuvor alljährlich, am bequem sitzenden Publikum vorbeigetragen. Dass das bei eben diesem (Musik-)Theaterpublikum nicht rasend gut ankommt, überrascht niemanden: Der alljährliche Theaterkuraufenthalt wurde nicht genehmigt. Der neue Amtsarzt hat eine Diagnose gestellt: Der Intendant glaubt nicht mehr an diese Kunstform und deren Anspruch, etwas im Menschen nachhaltig zu bewegen. Ein Befund, dem man, mit kaltem Blick, durchaus etwas abgewinnen muss. Jahrein, jahraus rennt das Theaterpublikum ins Theater und unverändert wieder raus – ins Restaurant.

Da muss es, in Zeiten von Trump, Internet und Brexit, doch Unerhörteres zu sagen geben, Heutigeres. Womit wir bei der Therapie wären, die die Festwochen verordnet haben: Eiskalte Bäder in Avantgarde-Betulichkeit, die weniger an- als aufregten. Einen Grundkurs in Diskursperformance. Und sehr schöne Momente dazwischen. Das war nicht genug: So bleiben nämlich die Leute, die es angeht, künftig weg.

(Von Georg Leyrer)

Scharlatanerie wurde heuer zur Maxime erhoben

Die Ausrichtung der Wiener Festwochen, einst als Musikfestival gegründet und 1951, nach dem Zweiten Weltkrieg, neu etabliert, hat sich im Laufe von 90 Jahren mehrfach geändert. Und doch gab es eine wesentliche Konstante: den Anspruch, außerordentliche Qualität zu präsentieren. In den letzten Jahrzehnten waren die Festwochen eine Art Berliner Theatertreffen für international herausragende Produktionen. Man konnte staunen, wurde gefordert, bekam Einblicke. Und man konnte zumeist sicher sein, dass man nicht enttäuscht werden würde.

Dass, wie man uns nun glauben machen will, lediglich elitäres Sprech- und Musiktheater geboten worden wäre, ist eine Tatsachenverdrehung: Je nach den Vorlieben der Kuratoren gab es auch Performance, Pop, Tanz und Kunst. Zudem gingen die Festwochen mit diversen Formaten „into the city“, also in den öffentlichen Raum.

Ohne Not – denn für viele Produktionen waren auch in den letzten Jahren kaum Karten zu ergattern – entschloss sich die Kulturpolitik zu einem harten, ja mutwilligen Bruch mit der Geschichte. Doch bisher kunstferne Publikumsschichten wurden mit dem Pseudofachsprachenkauderwelsch im nahezu unleserlichen Programmbuch nicht erschlossen; und die bisherigen Besucher hat man bitter enttäuscht. Nicht, weil der neue Intendant Tomas Zierhofer-Kin verquere oder queere Themen forcierte.

Sondern weil den Produktionen – abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen – die Klasse fehlte. Sie wurden eingekauft, weil sie eine gesellschaftspolitische Haltung zu haben vorgaben. Aber nicht, weil sie künstlerisch exemplarisch sind. Heuer wurden die Selbstbehauptung und der Dilettantismus, ja auch die Scharlatanerie zur Maxime erhoben. Dafür war der Preis (elf Millionen Euro Subvention) definitiv zu hoch.

(Von Thomas Trenkler)

Der Mond ist aufgegangen, ein goldnes Sternlein prangte

Ja, die Festwochen 2017 waren völlig anders als sämtliche davor. Ja, viele Theaterliebhaber waren angesichts dessen, dass ihnen die vertraute Basis entzogen wurde, irritiert. Und jeder, der sich mokierte über manche Produktion, hat subjektiv recht.

Dennoch ist es richtig, dass ein Festival auch mal neue Richtungen einschlägt. Was man bei den Festwochen vermisste, vermisst man noch stärker bei anderen Institutionen. Der Hauptvorwurf an die Festwochen richtet sich daher im Prinzip an die Ganzjahresbühnen. Die Festwochen haben nicht die Aufgabe, die bessere Burg oder Oper zu sein. Dass kulturelle Nahrungsergänzungsmittel aber nicht gar so erzvegan, wie Produkte für Menschen mit Bühnen-Intoleranz, schmecken müssen, ist auch klar.

Nehmen wir als Positiv-Beispiel die wohl wichtigste Produktion der Festwochen 2017: Den Mondparsifal von Bernhard Lang und Jonathan Meese. Man kann den Zugang kindlich-naiv finden – aber hier ist ein eigenständiges, originelles, auch in der Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung überzeugendes Kunstwerk entstanden. Eine solche Uraufführung zustande zu bringen, die noch lange nachhallt, ist ein großer Erfolg. Dass sie stark polarisiert – umso besser.

Nehmen wir als Negativ-Beispiel Obsession, die andere Renommee-Aufführung. Da stand zwar ein Hollywood-Star auf der Bühne (Jude Law), der Abend hatte jedoch wenig Tiefgang, keine Kraft, es handelte sich um eine belanglose Tourneeproduktion. Sie führte vor Augen, wie oberflächlich reines Star-Theater sein kann. Die wichtigsten Fragen – Warum? Wie? Was hat das mit den Festwochen zu tun? – wurden nicht einmal gestellt.

Heuer ging es bei den Festwochen um weg, das Adverb. Es könnte künftig stärker um den Weg, das Substantiv, gehen.

(Von Gert Korentschnig)

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