Wiener Bühnen: Jahrmarkt der Eitelkeiten

Statt die inhaltliche Debatte um die Wiener Bühnen zu führen, verliert man sich im aktuellen Konflikt in Schuldzuweisungen. Ein Kommentar.

Nikolaus Bachler, der ehemalige Burgtheaterdirektor und nunmehrige Intendant der Bayerischen Staatsoper in München, hat in ein Wespennest gestochen. Die Weltbedeutung von Wien, so analysierte er im Interview mit dem KURIER, ende oft in Purkersdorf. In München höre man nicht mehr, was in Wien künstlerisch passiere. Es gebe keine Produktion, für die man zwingend nach Wien reisen müsse. München sei – im Gegensatz zu Wien – vorwärtsgerichtet und nicht nur der Vergangenheit verpflichtet. Daher hätte das Publikum in der bayerischen Hauptstadt auch mehr gesehen.

Die Reaktionen in Österreich folgten postwendend. Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger schrieb einen (vom KURIER veröffentlichten) Brief an Bachler, in dem er, bezugnehmend auf eine Passage im Interview, widerlegen wollte, dass sein Theater dem Boulevard zuzurechnen sei: Es gebe an der Josefstadt mehr Uraufführungen als an den meisten anderen Häusern.

Anerkennung

Wiener Bühnen: Jahrmarkt der Eitelkeiten
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Burgtheater-Chef Matthias Hartmann sagte zum KURIER: "Man hat in der Zeit, als er (Bachler, Anm.) in Wien war, nichts von ihm gehört. Und auch wenig gesehen, weil er in seinen letzten drei Burg-Jahren ja meistens schon in München war." Hartmann meinte aber auch: "Die Wiener brauchen ihre Anerkennung nicht aus den deutschen Zeitungen. Sie bilden sich ihre Meinung selbst."

Abgrenzung

Eine zentrale Aussage, die symptomatisch ist für den Umgang mit Kritik in Österreich: Wir wissen selbst, was gut ist; wir brauchen keine Zurufe von außen. Da schwingt auch die Hoffnung mit: Hauptsache, es bleibt alles, wie es ist, und keiner redet uns drein.

Dabei hatte Bachler weder das Burgtheater, noch die Josefstadt konkret kritisiert, sondern von einer allgemeinen (selbstherrlichen?) Haltung gesprochen. Wien besitze weltbedeutende Institutionen – wie das künstlerische Leben darin aber aussehe, werde zu wenig hinterfragt. Mit dieser Diagnose hat er zweifellos recht.

Sobald jedoch Kritik kommt, setzt der österreichische Selbstverteidigungsreflex inklusive gezielter Abgrenzung ein (und damit ist explizit keiner der Genannten, sondern eine österreichische Attitüde gemeint). Gegenwind wird rasch abgestellt, statt sich mit der These, in Wien könnte vieles besser sein, auseinanderzusetzen. Was beim Publikum ankommt, wird so schlecht wohl nicht sein. Doch Auslastungszahlen dürfen nicht das einzige Kriterium darstellen.

Anstatt eines Theaterdonners wäre die Diskussion folgender Fragen viel wichtiger: Wo steht Wien wirklich im internationalen Vergleich? Ist es wahr, dass München künstlerisch bedeutender ist? Kann Wien im Bereich des Sprechtheaters mit Berlin mithalten? Wird aus den (zum Glück immer noch hohen) Subventionen das Maximum herausgeholt? Welches Theater steht heute wofür? Oder muss ein Theater gar nicht mehr für etwas stehen, weil ohnehin jedes macht, was es will? Gibt es noch Akzente, die von Wien aus in die Welt gehen?

Diese Debatte nur auf die Bedeutung des Burgtheaters oder die Sinnsuche kleinerer Bühnen zu beschränken, greift aber zu kurz. Auch das Musiktheater bedarf regelmäßig einer Überprüfung. So ist es etwa ein Faktum, dass zuletzt bei den Salzburger Festspielen kaum neue Sänger entdeckt wurden und Österreichs Top-Festival in Sachen Mozart-Interpretation von anderen (z. B. Aix-en-Provence) überholt wurde.

Ausblendung

Es ist auch regelmäßig überprüfbar, dass an der Wiener Staatsoper die Relevanz theatralischer Aspekte nicht annähernd so ernst genommen wird wie anderswo. Das ist kein Plädoyer für die Zertrümmerung von Opern-Klassikern. Aber die szenische Komponente derart auszublenden, ist keine Lösung. Gerade ein so bedeutendes Haus muss auch Vorreiter sein, ästhetische Positionen zur Diskussion stellen oder zumindest eigenständige Vorschläge anbieten zur Überbrückung der Differenzen zwischen Befürwortern radikaler Ansätze und jenen konservativen Kräften, die konzertante Aufführungen noch lieber haben als jede szenische Interpretation.

Es gäbe viel zu diskutieren – wenn man die Sache über persönliche Eitelkeiten stellt.

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