Wiener Architekt Harry Glück 91-jährig gestorben
Der Wiener Architekt hat viel gebaut in seinem langen Leben: 18.000 Wohnungen sollen es insgesamt sein. Sein Opus Magnum ist der 1985 fertiggestellte Wohnpark Alt Erlaa, der zum viel besprochenen Markenzeichen von Glücks Wohnbau-Philosophie wurde.
Harry im Glück
Harry Glück wurde am 20. Februar 1925 in Wien als einziges Kind eines Bankbeamten und einer Schneiderin geboren. Noch während der Schulzeit wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, nach dem Krieg studierte er zunächst Bühnenbild und Regie am Max Reinhardt Seminar, ehe er für ein Architekturstudium an die Technische Hochschule Wien wechselte. Während des Studiums arbeitete er als Kulissenmaler in den Wiener Rosenhügel-Studios sowie als Bühnenbildner. "Ich habe das Motorrad für Helmut Qualtingers 'Der Wüde auf seiner Maschin' eigenhändig in der Nacht vor der Premiere geschnitzt", erinnert sich Glück schmunzelnd an die legendären Kabarettrevuen "Brettl vor'm Kopf".
Auch seine ersten Arbeiten als angehender Architekt führten ihn mit einem ganz Großen zusammen: Einige Monate lang arbeitete er im Architekturbüro von Josef Hoffmann auf der Kärntner Straße. An den berühmten Prinzipal erinnert er sich jedoch weniger gut als an manche seiner ersten Aufgaben: "Ich wurde mit den Detailzeichnungen einer Dachgaube beauftragt. Heute kann ich nur hoffen, dass der Spengler das nicht so gemacht hat, wie ich es gezeichnet habe."
1966 eröffnete Harry Glück sein eigenes Büro, das als "Harry Glück und Partner" Anfang der 1980er-Jahre zum Großbüro mit über 100 Mitarbeitern avancierte. Dass er den Wohnbau als seine eigene Lebensaufgabe entdeckt habe und auch eine beneidenswert gute Auftragslage hatte, sei eigentlich auf einen Zufall zurückzuführen, stapelte der Architekt im Gespräch tief: Er habe für eine Bekannte ihre gänzlich verbaute Genossenschaftswohnung mit Maßmöbeln eingerichtet. In der Folge habe es sich herumgesprochen, dass er der Überzeugung war, Wohnungen mit brauchbareren Grundrissen zeichnen zu können. Im Auftrag des Sekretärs des damaligen Sozialministers Anton Proksch durfte er unter Beweis stellen, dass er es tatsächlich besser konnte. Das war seine Eintrittskarte in den geförderten Wohnbau in Niederösterreich.
Seine Dissertation an der TU Innsbruck (1982) trug den Titel "Höherwertige Alternativen im Massenwohnbau durch wirtschaftliche Planungs- und Konstruktionskonzepte", ein drei Jahre später mit Irenäus Eibl-Eibelsfeld, Hans Hass und anderen veröffentlichtes Buch hieß "Stadt und Lebensqualität" (1985). Zu seinen Bauten zählen auch der Heinz-Nittel-Hof in Floridsdorf (1983), Terrassenhäuser an der Inzersdorfer Straße (1974), Reihenhäuser in der Großfeldsiedlung (1974-76), der Franz-Josefs-Bahnhof (1980, gemeinsam mit Karl Schwanzer, Kurt Hlaweniczka, Franz Requat und Thomas Reinthaler), das Hotel Marriott (1986, mit Peter Czernin) oder der Bürokomplex Lassallestraße (1988/91, mit Wilhelm Holzbauer, Kurt Hlaweniczka, Hannes Lintl und Georg Lippert).
Vorbilder und Respekt
Dass er mit seiner pragmatischen Entwurfshaltung in Opposition zu jenen Stararchitekten stand, die auf große Geste und prägnante Formen setzen, ist ihm egal. "Die großen Architekten von heute sind ja im Prinzip ihre Statiker", zieht Glück gegen den herrschenden "Statik-Gschnas" vom Leder, der seiner Ansicht nach von der 1973 eröffneten Oper in Sydney des Dänen Jörn Utzon bis zu Frank Gehrys Guggenheim Bilbao reiche. Das interessiere ihn alles nicht, meinte der Architekt einst, der Mies van der Rohes Bauten wie das Seagram Building an der Park Avenue in New York oder das Dominion Centre in Toronto für unerreicht hielt. Über deren Schönheit der Proportionen bei gleichzeitiger Verwendung edler Materialien im Rahmen der vorgegebenen Budgets konnte er minutenlang ins Schwärmen geraten.
Er selbst sei zufrieden, resümierte Harry Glück zu seinem 90. Geburtstag, es gebe keine Bauaufgabe, die er in seiner langen Karriere ernsthaft vermisse. "Prognosen sprechen von achteinhalb Milliarden Menschen in 20 Jahren. Der Wohnbau ist DIE große Bauaufgabe der Zukunft!" Diese wird Harry Glück aber nicht mehr erleben. Der Architekt ist am Dienstag (13.12.) 91-jährig gestorben. Das wurde heute, Mittwoch, bekannt.
Angesichts der Todesnachricht zollte Wiens Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) Glück ihren Respekt: "Mit Harry Glück ist einer der größten und prägendsten Wiener Architekten von uns gegangen." Der Architekt sei Zeit seines Lebens ein brillanter Geist, ein Mentor und jemand, der seinen Erfahrungsschatz mit Generationen jüngerer Stadtplaner teilte, geblieben: "Mir war er seit nun 20 Jahren ein lieber Freund. Ich werde ihn sehr vermissen."
Blumentröge bis zum zwölften Stock, uneinsehbare Balkone, ein grüner Park, Freizeiträume und Dachschwimmbäder in 70 Meter Höhe: Während viele Wohnparks aus den siebziger Jahren ein tristes Dasein fristen, verbucht Alt Erlaa in Hinblick auf Lebensqualität und Wohnzufriedenheit bis heute Höchstnoten. Die drei 400 Meter langen Blöcke beherbergen 3100 Wohnungen, fertiggestellt zwischen 1976 und 1985. Sie sind das wichtigste Werk Harry Glücks und markieren eine neue Dimension des urbanen Wohnens – auch wenn die Betonriesen, Heimat für rund 10.000 Menschen, bis heute polarisieren wie kein anderes Gebäude.
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