Wie die Linie zur Spirale wurde

Wie die Linie zur Spirale wurde
Kunst-Trip: Bremen wagt einen frischen Blick auf das Frühwerk Friedensreich Hundertwassers.

Hundertwasser polarisiert noch immer. Die deutschen Feuilletonisten rümpfen gerade wieder die Nase, dass „selbst ein so großartiges Museum wie die Bremer Kunsthalle nicht länger vor dem Kitsch zurückschreckt und nun Hundertwasser und seinen frühen Kringel­bildern die Türen öffnet“.

Aber Museumsdirektor Christoph Grunenberg preist den im Jahr 2000 gestorbenen Wiener als Pionier und kritischen Geist. Die Ausstellung „Gegen den Strich – Werke 1949 bis 1970“ (bis 17. Februar 2013) zeigt rund 100 Gemälde, Grafiken, Aquarelle, Fotografien und Dokumente von Hundertwassers Frühwerk.

„Seinen Namen kennt jeder, wegen seiner Häuser, seiner schillernden Persönlichkeit und seiner Rolle in der ökologischen Bewegung“, sagt Grunenberg.

Frühwerk "völlig unterschätzt"

Wie die Linie zur Spirale wurde

Friedensreich Hundertwasser: "487 Kleiner Palast der Krankheit", Aquarell 1961

Aber oft werde er, ein wichtiges Mitglied der internationalen Avantgarde, missverstanden, der Wert seines Frühwerks jedenfalls „völlig unterschätzt“. Mit seiner Suche nach neuen leuchtenden Farbwelten und als Vordenker visionärer Kunstformen habe er in den 50er- und 60er-Jahren Neuland be­treten.

Erstaunlich für Hundertwasser sind zunächst rechte Winkel, grüne Rasen-Vierecke, ein aus kubischen Schachteln gestapeltes Hochhaus, Fenster ... Aber früh entwickelte der Künstler seine ureigene Optik.

Wie er um 1953 sein Schlüsselmotiv der Spirale entdeckte, als Symbol des Werdens und Vergehens, aller Schöpfung und Kreation, das lässt sich an den noch erstaunlich frisch moosgrün und türkis, feuerrot und azurblau strahlenden Bildern lebhaft nachvollziehen.

Sein Credo ist an einer Wand zu lesen: „Der Mensch muss selbst schöpferisch tätig sein. Und zwar jeder ...!!“

Wie die Linie zur Spirale wurde

"460 Hommage au Tachisme", 1961

In den 1960er-Jahren vertrat Hundertwasser Österreich auf der Biennale in Venedig und stellte auf der Documenta III in Kassel aus.

Im Zentrum der Schau steht eines der bekanntesten Gemälde dieser Schaffens­periode: „Der große Weg“ (1955). Für Grunenberg „ein fantastisches Werk mit intensiven Farbkontrasten“.Auch „Auge des Sonnengottes – Die Zielscheibe“ (1959) gilt als Meisterwerk – wie bei „Der große Weg“ mit einer Spirale im Mittelpunkt. Im Advent 1959 zeichnete er seine „Linie von Hamburg“, arbeitete zwei Tage und Nächte lang an einer sich durch sein Akademieatelier windenden Farbschlange. Woran man jetzt in Bremen mit einem Remake erinnert, glorifizierte er nachträglich als „Geburtsstunde der europäischen Aktionskunst“.

„Die Spirale war für Hundertwasser zu der Zeit das zentrale Bildmotiv“, sagt Grunenberg. Es symbolisiert Leben und Tod für den Künstler, der sagte: „Ich habe versucht, für viele Menschen zu träumen.“www.kunsthalle-bremen.de

Ins Auge fallen meterhohe Fantasiegebilde aus Ton. Die monumentalen und doch fragilen Objekte in Blau, Gelb, Beige und Pink füllen ganze Räume und wecken in ihrer Verspieltheit Assoziationen an Antonio Gaudi, Gotik, Barock, Rokoko oder indische Hindu-Tempel. Das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen würdigt einen weiteren Österreicher mit einer von vier europäischen Museen entwickelten Werkschau: Elmar Trenkwalder. 2005 hat der Tiroler bereits im Pariser Louvre ausgestellt.

Weltreisender im Kopf

„Ornament und Obsession“ (bis 17. 2. 2013) präsentiert 45 Keramikobjekte und Zeichnungen, viele aus dem Privatbesitz des 53-jährigen Keramikers. Der scheint sich orientalischer bis fernöstlicher Bildmuster zu bedienen, verarbeitet Bilderwelten verschiedenster Kulturen und eigene Fantasien, sagt aber, er habe „Europa bisher nur einmal verlassen, um nach New York zu fahren“. Er sei „ein Welt­reisender im Kopf“.

In 250 Kisten wurden die Kunstwerke in Einzelteilen angeliefert und dann vorsichtig in mehreren Tagen zusammengebaut. Mit Kisten bringt ein barockes architektonisches Ensemble – 6 m breit und knapp 5 m hoch – allein 7,5 Tonnen auf die Waage. Trenkwalder hat es extra für Bremen gebaut.

Neugier gefordert

„Die Besucher erleben bei Trenkwalder zunächst einen Wow!-Effekt, weil die Objekte größer sind, als das, was man sonst meist erlebt“, sagt Arie Hartog vom Gerhard-Marcks-Haus. „Zu entdecken sind beim genaueren Hinsehen viele Details, die etwas bedeuten können. Oder auch nicht. Es findet ein permanentes Changieren statt.“Vom Blick vorab in den Katalog rät Hartig ausdrücklich ab. „Die Leute glauben immer wieder, dass sie etwas wissen sollten, ehe sie ein Museum betreten. Aber wir spielen darauf an, dass Menschen primär mit einer gesunden Neugier reingehen und sich vielleicht nachher überlegen, ob sie mehr wissen wollen.“Eine Skulptur sieht aus wie eine rosa glasierte Kathedrale für sexuelle Obsessionen aller Art. Aber ob Finger oder Phallus: Am Ende sieht ohnedies jeder, was er sehen will.

www.marcks.de

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