Wenn die Nazi-Vergangenheit zur Gegenwart wird

Sophie Stockinger in Katharina Mücksteins „L’Animale“
"L’Animale", ein feines Porträt von Katharina Mückstein; und Petzolds "Transit".

Rosamunde Pike ist auf Berlinale-Besuch und trägt ein Abzeichen: "Time’s Up", ist darauf zu lesen, jener mittlerweile berühmte Aufruf, der sich im Zuge der #MeToo-Debatte rund um sexuellen Missbrauch formuliert hat.

Die britische Schauspielerin unterstützt mit ihrer Plakette die Forderungen nach Gleichberechtigung, die bei der zeitgleich stattfindenden britischen Filmpreisverleihung BAFTA erhoben wurden. Doch tatsächlich ist die #MeToo-Debatte in Berlin angekommen. Auch die österreichische Regisseurin Katharina Mückstein, die im Rahmen der Sektion Panorama Special ihren zweiten Spielfilm "L’Animale" vorstellte, betonte nicht nur in ihrer Filmarbeit die Wichtigkeit von Geschlechterpolitik. Es gehe darum, mit verkrusteten Vorstellungen von Rollenbildern auf Konfrontationskurs zu gehen, meinte Mückstein während des Pressegesprächs: Dazu liefere die #MeToo-Debatte einen progressiven Diskurs. Genau dieses Unterlaufen von vorgefertigten Geschlechterpositionen unterfüttert auch Mücksteins fein beobachtetes Familien-Porträt "L’Animale": Die Maturantin Mati – wie auch in "Talea" perfekt verkörpert von der jungen Wienerin Sophie Stockinger – hat eine Vorliebe fürs Motocross-Fahren und ist Teil einer ruppigen Burschengruppe. Ihre ehrgeizige Mutter (die famose Kathrin Resetarits) möchte, dass die (zögerliche) Tochter in ihre Fußstapfen steigt. Als sich Mati unerwartet für ein anderes Mädchen zu interessieren beginnt, setzen emotionale Irritationen ein.

Nachdem für Mückstein Geschlechterpolitik keineswegs nur Frauenthema sei, befragt "L’Animale" auch Konzepte von Männlichkeit: Auch Matis Vater, feinfühlig gespielt von Dominik Warta, kämpft mit seiner Homosexualität und sieht seinen eigenen Lebensentwurf in Frage gestellt.

Bärenjagd

Bereits einen Silbernen Bären konnte der deutsche Regisseur Christian Petzold für seinen Film "Barbara" gewinnen. Mit seiner Anna-Seghers-Verfilmung "Transit", die im Hauptwettbewerb lief, taucht er nun tief in die Geschichte ein – und bleibt dabei ganz in der Gegenwart.

Seghers Roman erzählt von der Flucht deutscher Emigranten während der NS-Zeit; doch Petzold erspart sich die historische Kostümierung und lässt seine Geschichte im Marseille der Gegenwart spielen. So lautet zwar das Geburtsjahr von seinem jungen Protagonisten Georg auf 1908, aber die Polizeisirenen, die man auf den französischen Straßen vorbei jaulen hört, stammen eindeutig aus der Jetztzeit.

Die Idee, kein zeitgenössisches Flüchtlingsdrama zu erzählen, sondern eine faschistische Vergangenheit auf unsere Gegenwart zu überblenden, ist an sich großartig. Das Verschmelzen der Zeitebenen führt zu einer brisanten Geisterhaftigkeit, die Petzolds kühlem Inszenierungsstill und seinen ausgeräumten Bildern unbedingt entspricht.

Wenn die Nazi-Vergangenheit zur Gegenwart wird
Pressefoto Berlinale Christian Petzold "Transit"

Franz Rogowski, den bereits Michael Haneke als Isabelle Hupperts Weirdo-Sohn in "Happy End" internationalisierte, spielt einen jungen Mann, der sich die Identität eines verstorbenen Schriftstellers aneignet. Mit dessen Papieren will er vor den Nazis flüchten, bleibt aber in Marseille stecken; dort trifft er auch die schöne Ehefrau des Verstorbenen.

Petzold schafft es zwar hervorragend, die Unheimlichkeit faschistoider Bedrohung über sein sommerliches Marseille zu breiten; doch gerade die emotionalen Beziehungen, die sich zwischen seinen Figuren abspielen sollen, bleiben behauptet. Besonders Paula Beer als instabile junge Ehefrau bleibt dabei mehr männliche Projektionsfläche denn eigenständige Akteurin.

Nicht immer ist Politik auch Geschlechterpolitik.

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