Welser-Möst: "Verdi braucht keinen Anlass"

Welser-Möst: "Verdi braucht keinen Anlass"
Franz Welser-Möst spricht im Interview über die "Don Carlo"-Premiere an der Staatsoper, Jahresregenten und Pläne für die Salzburger Festspiele.

Die letzte Premiere von Verdis "Don Carlo" an der Wiener Staatsoper in der bekannten italienischen, vieraktigen Fassung, ist 23 Jahre her (seit 2004 gibt es auch den französischen "Don Carlos"). Damals, 1989, dirigierte Musikdirektor Claudio Abbado.

Die Neuproduktion dieses Meisterwerkes ist wieder Chefsache: Franz Welser-Möst leitet am kommenden Samstag die mit Spannung erwartete letzte Premiere dieser Opernsaison – und Abbados Sohn Daniele führt Regie. Der Generalmusikdirektor im Interview.

KURIER: Das für viele Menschen zurzeit offenbar Wichtigste zuerst: Wer wird Fußball-Europameister?
Franz Welser-Möst:
Ganz ehrlich: Ich bin an Fußball überhaupt nicht interessiert.

Aber Sie haben doch einmal in Wien ein Konzert sogar später beginnen lassen, weil ein Spiel in die Verlängerung gegangen ist ...
Das war nicht meine Entscheidung. Der Veranstalter wollte das so. Ich bin ein pünktlicher Mensch. Ich würde für Fußball keine Sekunde zu spät kommen.

Also keine Präferenzen für die Europameisterschaft?
Nein. Meine Präferenz liegt zurzeit ausschließlich bei Verdis "Don Carlo".

Das ist – man glaubt es kaum – Ihr erster Verdi an der Staatsoper. Warum erst jetzt?
Das hat sich bisher einfach nicht ergeben. Umso mehr freue ich mich auf diese Premiere. Außerdem ist "Don Carlo" neben "Cosí fan tutte" und "Parsifal" eine meiner drei Lieblingsopern. Das kann man nur machen, wenn man die besten Sänger hat. Und wir haben grandiose. Das war schon bei den Proben zu hören.

Täuscht der Eindruck, dass es heute komplizierter als früher ist, gute Sänger fürs italienische Fach zu finden?
Nein, ganz und gar nicht. Es ist heutzutage schon sehr schwer, eine "Tosca" gut zu besetzen. Wenn man da aber nicht drei exzellente Protagonisten hat, hat man ein gröberes Problem.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es im Moment mehrere fabelhafte Wagner- und Strauss-, aber weniger gute Verdi- oder Puccini-Sänger gibt?
Es gibt viele junge Sänger mit guten Stimmen. Aber ich erlebe etwa bei den Vorsingen sehr oft, dass die meisten keine gute Technik haben. Man hört dann einen Sänger und denkt sich: In fünf Jahren ist es vorbei.

Weil viele zu früh schwere Partien singen. Das merkt man ja auch daran, dass wenige Sänger Mozart für längere Zeit kultivieren ...
Ja, sie wollen zu schnell in ein anderes Fach. Oder werden dorthin gedrängt.

Welser-Möst: "Verdi braucht keinen Anlass"

Hat Wien, sowohl an der Staatsoper als auch im Theater an der Wien, nicht grundsätzlich ein Problem mit Mozart? Die letzten Produktionen waren szenisch nicht gerade große Erfolge. Und dirigentisch gibt es zwei Sichtweisen: die von Nikolaus Harnoncourt und jene von Riccardo Muti. Wird man da dazwischen aufgerieben?
Ja, es ist schwierig, da einen neuen, passenden Mittelweg zu finden. Auch für die Sänger. Mein Ziel als Generalmusikdirektor der Staatsoper muss es sein, ein Ensemble für Mozart zu bilden. Wenn das Dominique Meyer und mir am Ende unserer Amtszeit gelungen sein sollte, haben wir viel erreicht. Dass es im Haus da noch Problemzonen gibt, dessen bin ich mir bewusst.

Stimmt es, dass Sie bei den Salzburger Festspielen alle drei Mozart/Da Ponte-Opern dirigieren werden ...
Ja, ab 2013. Sven-Eric Bechtolf wird Regie führen. Ich freue mich sehr auf diese Aufgabe und bin auf das Ergebnis gespannt. Eine Bedingung war auch, dass es eine Art Ensemble dafür gibt.

Sie kennen den neuen Salzburgchef Alexander Pereira bestens aus Ihrer Zeit als Generalmusikdirektor in Zürich. Wie beurteilen Sie sein erstes Programm?
Diese Fülle an Top-Stars überrascht mich ganz und gar nicht. Alexander Pereira ist überbordend. Er betrachtet die ganze Welt als ein einziges Spielzeuggeschäft. Er ist großartig im Einkaufen und auch im Verkaufen. In Salzburg hat Pereira jetzt das teuerste Spielzeuggeschäft der Welt zur Verfügung.

Zurück zu "Don Carlo": Ist diese Neuinszenierung schon ein Vorbote auf 2013? Da gibt es ja ein Verdi- und ein Wagner-Jahr, weil beide vor 200 Jahren geboren wurden.
Ich halte nichts davon, Komponisten und ihre Werke auf Jubiläen zu reduzieren. Aber natürlich spielen wir 2013 Verdi. Und machen in der Staatsoper auch einen neuen "Tristan".

Woran liegt es, dass Wagner schon jetzt viel intensiver gefeiert wird als Verdi? Hat das mit Rekordsucht zu tun?
Ich denke, das hat vor allem einen Grund: Wir leben in einer Zeit der Werte-Orientierungslosigkeit, Menschen suchen einen Religionsersatz. Und das kann Wagner durchaus bieten. Bei Verdi mit seiner theatralischen Pranke verhält es sich anders. Aber wir machen "Tristan" auch deshalb neu, weil wir die alte Inszenierung nicht gut finden. Und die "Don Carlo"-Produktion ist szenisch zerfallen. Das hat also nichts mit Jubiläen zu tun. Man braucht keinen Anlass, um Verdi, Wagner oder Janácek gut zu finden.

Der Janácek-Zyklus geht also weiter?
Ich habe das Wort Zyklus nicht so gern. Das hat so etwas Enzyklopädisches. Wir spielen diese Opern, weil sie gut sind. Nach "Jenufa", "Katja Kabanowa" und dem "Totenhaus" kommen noch "Sache Makropoulos" und "Das schlaue Füchslein". Vielleicht auch "Herr Broucek". Es gibt einiges, das ins Repertoire dieses Hauses gehört. Alban Bergs "Wozzeck" etwa, den wir in der nächsten Spielzeit wieder bringen, war mehr als acht Jahre hier nicht zu hören. Manche Musiker haben diese Oper noch nie gespielt.

Sie haben das Orchester zuletzt überrascht, als Sie bei "Tosca" eingesprungen sind ...
(lacht) Ja, da gab es viele überraschte Gesichter im Graben. So nach dem Motto: Was? Der Chef macht das selbst? Aber ich sehe das auch als eine meiner Aufgaben als Generalmusikdirektor. Es geht nicht darum, nur Premieren zu dirigieren. Es geht darum, auch im Repertoire präsent zu sein und dieses zu pflegen. Wir spielen ja 300-mal im Jahr. Und ich habe den Ehrgeiz, dafür zu sorgen, dass jede Repertoire-Vorstellung auf höchstem Niveau stattfindet. Das sind wir dem Publikum einfach schuldig.

Toppremiere: Verdi am Ring

Welser-Möst: "Verdi braucht keinen Anlass"

Der Dirigent: Franz Welser-Möst (Bild), Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, steht zum ersten Mal in Wien bei einer Verdi-Produktion am Pult. Der 1960 in Linz geborene Dirigent ist auch Chef des renommierten Cleveland Orchestra.

Die Produktion: Daniele Abbado, Sohn des Dirigenten Claudio Abbado, inszeniert Verdis "Don Carlo" in der italienischen Fassung. Die Besetzung ist hochkarätig: Ramon Vargas singt die Titelpartie, Krassimira Stoyanova ist als Elisabeth, René Pape als Philipp II., Simon Keenlyside als Marquis Posa, Eric Halfvarson als Großinquisitor und Luciana D’Intino als Eboli zu hören. Heute, Sonntag, gibt es um 11 Uhr in der Staatsoper eine Einführung zum Werk. Premiere: Samstag, 16. Juni (19 Uhr).

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