Welser-Möst: "Unsere Kultur nicht in den Müll werfen"

Franz Welser-Möst dirigiert erstmals "Die Liebe der Danae"
Dirigent Franz Welser-Möst über die "Liebe der Danae", Verpopisierung und Nivellierung nach unten.

Zum Auftakt gab es eine Uraufführung: Die Salzburger Festspiele starteten am Donnerstag ihr Opernprogramm mit "The Exterminating Angel" von Thomas Adès. Am Sonntag hat ein weiterer mutmaßlicher Höhepunkt Premiere: "Die Liebe der Danae" von Richard Strauss (am 12. August, 21.20 Uhr, in ORF 2 zu sehen). Franz Welser-Möst steht am Pult der Wiener Philharmoniker, Krassimira Stoyanova singt die enorm anspruchsvolle Partie der Danae.

Dieses Werk hätte 1944 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt werden sollen, es kam jedoch nur zur öffentlichen Generalprobe, die Premiere wurde nach dem Attentat auf Hitler abgesagt. Die wirkliche Uraufführung fand erst 1952 statt.

In dieser als "heitere Mythologie" bezeichneten Oper geht es um die Königstochter Danae, die sich für den verarmten Midas und gegen Jupiter entscheidet – diese Sehnsucht nach der Antike wurde aber auch als Weltflucht interpretiert. "Das ist die schwierigste Partitur von Strauss", sagt Welser-Möst im Interview. "Sie hat vielen Musikern den Urlaub verdorben, weil sie so viel üben mussten. Aber alle haben sich in dieses Werk verliebt."

KURIER: Was hat uns eine solche Geschichte heute zu sagen?

Franz Welser-Möst: Als Strauss "Die Liebe der Danae" fertigstellte, war ihm klar, dass diese Welt, für die er kämpfte, untergeht – auch wenn es am Ende der Oper einen Funken Hoffnung in der Musik gibt. Und wo stehen wir heute? Auch an einem Punkt, wo sich vieles zu ändern scheint. Wo geht unsere Welt hin? Was wollen Politiker wie Putin, Erdogan, Farage, Johnson oder auch Strache? Wo bleibt ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft? Für mich liegt die Bedeutung der "Liebe der Danae" auch darin, dass sie dazu aufruft, unsere westliche Kultur nicht auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.

Und gegen Ungebildetheit. Der Komponist dieser Oper hat den gesamten Goethe zwei Mal gelesen. Heute ist es besonders schlimm, was sich im Bildungsbereich abspielt. Die Chancengleichheit, die seit den 70er-Jahren propagiert wird, hat mehr und mehr zur Nivellierung nach unten geführt. Gleichheit heißt doch nur, dass jeder die gleichen Chancen haben sollte, aber nicht, dass jeder das Gleiche haben kann. Wir müssen Talente fördern, statt jedes Jahr im Bildungsbereich noch einmal mit dem Rasenmäher drüberzufahren und alles zurechtzustutzen.

Welser-Möst: "Unsere Kultur nicht in den Müll werfen"
Salzburger Festspiele 2016: "Die Liebe der Danae", "Oper in drei Akten von Richard Strauss." Heitere Mythologie in drei Akten op. 83 von Richard Strauss, Libretto von Joseph Gregor unter Benutzung eines Entwurfes von Hugo von Hofmannsthal Mit Richard Strauss' selten gespielter Oper "Die Liebe der Danae" kehrt Franz Welser Möst als Operndirigent zu den Salzburger Festspielen zurück. Die Inszenierung der 1952 in Salzburg posthum uraufgeführten "heiteren Mythologie" übernimmt Alvis Hermanis, in den Hauptrollen singen Krassimira Stoyanova, (Danae), Tomasz Konieczny (Jupiter), und Norbert Ernst (Merkur). Richard Strauss selbst bezeichnete sein Spätwerk als "mein letztes Bekenntnis zu Griechenland und die endgültige Vereinigung der deutschen Musik mit der griechischen Seele". Kompositorisch bildet die Partitur gleichsam eine Rückschau auf Strauss' Lebenswerk. Die Fernsehübertragung aus dem Großen Festspielhaus moderiert Barbara Rett, für die Bildregie zeichnet Agnes Méth verantwortlich.Tomasz Konieczny SENDUNG: ORF2 - FR - 12.08.2016 - 21:20 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: Roman Zach-Kiesling. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606
Welche weiteren Werte dürfen keinesfalls in den Müll?

Die Errungenschaften der Aufklärung. Die Französische Revolution hatte ja auch einen guten Grund: Da wurde die Freiheit erkämpft. Heute sind wir in unserer politischen Korrektheit anderen Gegenüber oft so tolerant, dass wir auf unsere eigenen Errungenschaften vergessen. Genau das fragt auch Strauss: Wollen wir das wirklich aufgeben? Es will ja auch in der Politik kaum noch jemand Verantwortung übernehmen, alles wird an Kommissionen delegiert.

Sind nicht auch Kulturinstitutionen ebenso von der Nivellierung nach unten bedroht?

Ich kann das nur von klassischen Musikbetrieben beurteilen. Auch dort herrscht Oberflächlichkeit. Man nimmt sich nicht mehr die Zeit, sich in ein Thema, in einen Dialog mit einem Kunstwerk zu versenken. Die Verpopisierung ist in unserem Betrieb ganz stark. Zuletzt habe ich zu meiner Frau, als wir durch Salzburg gegangen sind und ein Plakat der zugegebenermaßen sehr guten Cellistin Sol Gabetta gesehen habe, gesagt: Glaubst du, dass ein Alfred Brendel heute noch eine Chance hätte? Es geht nur noch um den Schein, um Äußerlichkeiten. Das Publikum wird permanent unterfordert.

Haben Sie die Hoffnung, dass Salzburg mit der Intendanz von Markus Hinterhäuser ab 2017 wieder ein künstlerischer Vorreiter werden kann?

Ja, die habe ich. Ich halte Hinterhäuser für sehr intelligent. Jede Intendanz braucht zudem den nötigen Mut, die Festspiele so auszurichten, dass sie zu einem Ort werden, wo man Einzigartiges erleben kann.

Sie werden 2017 in Salzburg Reimanns "King Lear" leiten. Mit welchem Protagonisten?

Mit Gerald Finley. Er ist ein extrem kluger Sänger, der mit Shakespeare bestens vertraut ist.

Auch an der Mailänder Scala werden Sie eine Premiere leiten – Mozarts "Le Nozze di Figaro" im Oktober. Ist alles wieder gut mit Intendant Pereira, dessen Da-Ponte-Zyklus Sie in Salzburg nicht dirigiert haben?

Ja, alles bestens. Das wird dann meine insgesamt 75. Premiere sein. Es gibt heute leider niemanden mehr, der im Opernbetrieb so viel Erfahrung hat sammeln können.

Noch in diesem Jahr soll die Leitung der Wiener Staatsoper ausgeschrieben werden, die Sie wegen eines Konfliktes mit Dominique Meyer verlassen haben. Haben Sie wirklich kein Interesse an einer Rückkehr, auch nicht in einer völlig neuen Konstellation?

Man kann mich für Projekte gewinnen. Aber ich werde nicht den Fehler machen, ein Kapitel, das ich zugeschlagen habe, wieder aufzumachen. Ich genieße die neue Phase in meiner Karriere, ich muss keine Kompromisse eingehen. Und ein Generalmusikdirektor an einem solchen Haus muss immer Kompromisse eingehen.

Ab dem Jahr 2020 wird es an den meisten großen Opernhäusern neue Intendanten geben. Welche Persönlichkeiten sind da gefragt?

Menschen mit Visionen und mit Leidenschaft. Man muss sich klare Ziele stecken, wo das Haus in zehn, 15 oder 20 Jahren sein soll, und diese mit Leidenschaft verfolgen. Aber wir leben leider in einer Zeit der Leidenschaftslosigkeit. Wir sind auch eine Freizeitgesellschaft geworden: Wir laufen Marathon, haben aber keine wirklich wichtigen Ziele. Es geht an den Opernhäusern um Budgets, um Gefälligkeit. Die Bequemlichkeit ist wichtiger geworden als die Positionierung.

KURIER: Sie haben keine Zeit für ein richtiges Interview, antworten per Mail. Denn Sie bringen in Ihrem letzten Jahr alle Da-Ponte-Opern zur Aufführung. Und Sie spielen den Doktor in "Der Ignorant und der Wahnsinnige" von Thomas Bernhard. Warum muten Sie sich derart viel zu? Aus Ehrgeiz?

Sven-Eric Bechtolf: Aus Freude! Mein Ehrgeiz ist längst gestillt und wäre auch kein Motiv, aus dem heraus ich, so diszipliniert und fleißig wie möglich, mich einer solchen Herausforderung stellen könnte. Auch wenn es seltsam klingen mag: Es ist ein einmaliges Privileg, mit so wunderbaren Künstlern an so wesentlichen Werken arbeiten zu dürfen. Falscher Ehrgeiz hat da nichts zu suchen, sondern Fleiß, Dankbarkeit, und, wie gesagt, Freude!

Ihre Inszenierung von "Così fan tutte" wurde 2013 mit Buh-Rufen quittiert. Ist das der Grund für die "Neueinstudierung", die heute Abend Premiere hat?

Wir wurden nicht "ausgebuht." Ich lade Sie herzlich ein, mit mir die Aufzeichnung der Premiere anzuhören. Neben den vielen Bravos waren etwa vier Buh-Rufer zu vernehmen. Die können eine Menge Lärm machen. Ich finde, dass die Kritik auffallend oft vereinzelte Buher zu Kronzeugen ihrer Ansichten macht, ohne etwa zu wissen, ob sich die Einwände der sich Beschwerenden mit denen der Kritiker decken, während enthusiastische Reaktionen gerne unter den Tisch gekehrt werden – vermutlich weil die Deckungsgleichheit der Meinung meist so unabweisbar ausgeschlossen ist. Das Perpetuieren solcher Unmutsäußerungen seitens der Presse führt überdies zu einer Claque-Kultur. Ein Buh ist billig zu haben, einfach zu rufen und verlockend, wenn es selbst bei Ihnen zur Verewigung führt und dafür sorgt, die berufsmäßige Rezeption zu beeinflussen. In den Folgevorstellungen von "Così" gab es seltsamer Weise kein einziges Buh mehr, sondern Bravo-rufende Begeisterung. Leider weiß die Kritik kein Lied davon zu singen.

Generell: Ist ein Jubel nicht genauso leicht zu haben?

Nein, vereinzelter Jubel ist ein Widerspruch in sich, und ein tobender Saal zu teuer. Aber um Ihre eigentliche Frage zu beantworten: Die Neuinszenierung verdankt sich der Tatsache, dass wir auf einer vollkommen anderen Bühne sind – und dem Umstand, dass man mit solchen Werken niemals "fertig" wird. Ich benutze einiges, was sich bewährt hat und ändere vieles vollkommen. Die Männer in den Polohemden und Turnschuhen, die in der Premiere nicht nur mit ihren Buhs, sondern unserem Saaldienst auch optisch auffällig wurden, haben damit allerdings nichts zu tun. Das wäre zu viel der Ehre.

"Così fan tutte" ist eher ein Kammerspiel. Warum haben Sie als Schauplatz die Felsenreitschule gewählt – und nicht wieder das Haus für Mozart?

Natürlich ist die Felsenreitschule sehr breit, aber auch spektakulär schön, sehr ungewöhnlich – und erlaubt szenische Lösungen, die man in keinem anderen Hause vornehmen kann.

Bernhards "Der Ignorant und der Wahnsinnige" hatte erst vor dreieinhalb Jahren im Burgtheater Premiere. Warum bringen Sie das Stück? Weil Sie die Figur des Doktors reizte?

Unsere Zuschauer sind in der Mehrzahl andere. Beweis ist, dass die neun Vorstellungen von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" bereits jetzt zu 99% ausverkauft sind. Wir lagen also nicht ganz falsch, als wir das Stück ins Programm nahmen. Dass skandalöser und unpassenderweise ausgerechnet ein bei den Festspielen engagierter Opernregisseur mitspielt, war eine Folge der Programmierung, nicht deren Ursache. Regisseur Gerd Heinz wollte gerne mit ihm arbeiten, und der Schauspieldirektor musste daraufhin beim künstlerischen Leiter vorstellig werden, um ihm eine Sondergenehmigung abzuringen. Da beide Herren relativ humorvoll sind, erkannten sie eine nicht unwitzige Überschneidung des Stückinhalts mit der Biographie des Darstellers und willigten, trotz absehbarer Proteste des Feuilletons, das Nepotismus auch unter Alleinstehenden ablehnt, ein.

Sie missverstehen das! Die Entscheidung des Schauspielers, der zum Opernregisseur wurde, wieder Theater zu spielen, wird heftig akklamiert.

Ich lese zwischen den Zeilen, dass dies zu Ungunsten des Regisseurs geschieht.

Schade, dass Sie das Lob nicht annehmen können.

Ich bin ein gebranntes Kind!

Bernhard verlangte totale Dunkelheit zum Schluss. Weil dies in der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 1972 nicht eingehalten wurde, kam es zum Eklat. Wie gehen Sie heute mit der Regieanweisung um?

Der sogenannte "Notlichtskandal" ist uns Heutigen nicht mehr ganz nachvollziehbar, lebt aber taufrisch konserviert in Claus Peymann fort. Vielleicht müssen Sie ihn dazu befragen. Mich interessiert im Wesentlichen das Stück. Im Übrigen wurde zu Lebzeiten Bernhards das Werk auf sämtlichen Bühnen mit dem eingeschalteten Notlicht zu Ende gespielt. Da wir uns gesetzeskonform verhalten müssen und werden, wird es bei uns nicht zu einer Wiederholung dieses "Skandals" kommen, was Sie ausnahmsweise nicht meinem schwachen Charakter, meiner opportunistischen Natur oder dem verderblichen geistigen Klima der Festspiele ankreiden dürfen. Es handelt sich um eine nachvollziehbare Anordnung der Behörde.

Da Sie ja alles andere als opportunistisch sind, waren manche verwundert, weil Sie letzten Sommer den Protest der "Jedermann"-Musiker gegen eine Person im Publikum verurteilt haben. Wie sehen Sie die Situation heute? Norbert Hofer würde gerne zeigen wollen, was in diesem Land alles möglich ist.

Ich möchte auf keiner der Festspielbühnen die Privatmeinung einzelner Künstler zu irgendwelchen sie bedrängenden Missständen hören. Das ergäbe ja eine grässliche Kakophonie. In ihrer Arbeit sollen Künstler so radikal, wie sie wollen, Stellung beziehen, aber nicht die für ihre Arbeit geschaffene Öffentlichkeit für subjektive Sekundärzwecke nutzen. Die Demokratie ist ein unbequemes Geschäft; meistens sind die dran, die man nicht will. Aber, um der Demokratie willen hat man das auszuhalten und die parlamentarischen Möglichkeiten bis zum Äußersten streitbar auszuschöpfen.

Führt das letztlich nicht zur Selbstverleugnung?

Nennen wir die Tugend doch beim Namen: Selbstbeherrschung! Eine unliebsame Situation im Rahmen der Spielregeln bewältigen zu wollen, ist die Voraussetzung unserer Freiheit. Stellen Sie sich doch mal vor, wie das wäre, wenn jeder sich zum gewalttätigen Schmied des eigenen Glückes aufschwingen würde! Demokratie ist ein schmerzhafter Prozess, kein garantierter Zustand. Die uns erschreckenden Voten sind ja oft auch durch unsere eigenen Fehler und Versäumnisse verursacht und ermöglicht worden, wenn wir den eigenen Lernprozess unduldsam verkürzen wollen und andere Meinungen selbstherrlich negieren, wird es gefährlich. Grade die Demokraten müssen Demokratie vorleben.

Ihre Zeit als Intendant endet mit September. Haben Sie konkrete Ideen für Ihre Zukunft?

Ich habe sogar Pläne, Verabredungen und Verträge. Aber die müssen nicht in die Zeitung.

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