Warum Netflix es sich leisten kann, Serien einzustellen

The Get Down
Auch das viel gehypte neue Fernsehen will (oder muss) sich nicht mehr alles leisten.

Das goldene Zeitalter des Fernsehens verliert – unerwartet rasch – ein wenig von seinem Glanz.

Zuletzt schienen die Möglichkeiten im Fernsehland fast unbegrenzt: Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuseher stachelten sich die neuen Streamingdienste wie Netflix und die regulären US-Sender gegenseitig auf: TV-Serien wurden so aufwendig und so mutig wie nie zuvor. Millionenbudgets flossen in fiktionale TV-Produktionen, alte Lieblinge – "Gilmore Girls", "Twin Peaks" – lebten wieder auf, und selbst jene Serien, die ein Sender einstellte, fanden anderswo neues Leben ("Nashville", "Arrested Delevopment").

Der Streaming-Fernsehabend ist längst der bessere TV-Abend – und verdammt nah am Kinobesuch.

Delle

Doch dieses goldene TV-Zeitalter bekommt derzeit eine merkliche Delle: Das Versprechen des endlosen Weitererzählens läuft langsam, aber sicher aus. Auch die Streaminganbieter haben inzwischen gelernt, dass sich Investitionen auch lohnen müssen. Und das bringt schmerzliche Abschiede mit sich. So beendete Netflix erstmals mehrere Eigenproduktionen – und zwar einige der spektakulärsten. "The Get Down", "Marco Polo", "Bloodline" und "Sense8" werden nicht fortgesetzt.

Und das weist auf eine Entwicklung, die tiefer geht. US-Sender sind zwar bekannt dafür, Serien, die nicht ausreichend Reichweite erzielen, rasch abzuwürgen. Aber bei Streamingdiensten ist das anders. Diese funktionieren, mehr als reguläre Sender, nach der Internet-Logik: Man muss vehement in Aufmerksamkeit investieren, um überleben zu können. Das Publikum muss erstmal dazu motiviert werden, sich überhaupt bei Netflix und Co. einzuloggen. Und wenn es dann da ist, läuft der Algorithmus an: Dem Kunden wird aktiv Programm angeboten, das er mögen müsste. Dieses Programm muss man erstmal haben. Mit zugekauften Produktionen (derzeit sieht man auf Netflix die zweite "Vorstadtweiber"-Staffel) kann man bestehende Seher halten, neue gewinnt man so nicht. Daher will Netflix heuer sechs Milliarden Dollar in Produktionen investieren.

Die vollen Programmkassen der Online-Dienste füttern sagenhaft hohe Produktionsbudgets: Jede Folge von "The Get Down" hat 12 Millionen Dollar gekostet.

Aber diese hohen Kosten sind eigentlich Resultat eines Dilemmas: Die Streamingdienste müssen sich ihre Kunden teuer erkaufen, indem sie sie vom herkömmlichen Fernsehen weglocken.

Umbruch

Oder mussten. Denn dass Netflix nun Vorzeige-Produktionen abdreht, könnte auch ein Signal sein, dass die erste Phase des TV-Umbruchs (erfolgreich) abgeschlossen wurde, sprich dass die Streamingdienste sich als das neue Fernsehen etabliert haben. Man hat die herkömmlichen Sender – viele davon schlummern weiter im inhaltlichen Dornröschenschlaf – überholt. Vor allem bei Jugendlichen ist es keine Frage mehr, ob man den Fernsehapparat oder das Internet zum Bewegtbildschauen verwendet. Und damit könnten die Streamingdienste auch bei den Produktionskosten auf die Bremse steigen.

Netflix-Chef Reed Hastings widerspricht zwar: Er rege seine Mitarbeiter an, mutig zu sein; das führe dazu, dass manches eben nicht funktioniert, sagte er laut Variety. Aber das goldene könnte rascher zum silbernen TV-Zeitalter werden als gedacht.

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