Warum es Stefanie Reinsperger nach Berlin zieht

Eine gelöste Stefanie Reinsperger beim KURIER-Gespräch in Salzburg.
Die heurige "Buhlschaft" über Salzburger Festspielstimmung, Berlin und ihren Abgang vom Volkstheater

KURIER: Als Sie in Wien bekannt wurden, gab es einen Kritiker, der Sie "Urviech" genannt hat. Was muss man sich als Schauspielerin eigentlich alles anhören?

Stefanie Reinsperger: Sehr viel(nachdenklich). Das sind halt Zuschreibungen. Manchmal habe ich schon gedacht: "Das war vielleicht eh gut gemeint, aber ein biss’l patschert ausgedrückt."

Ich habe so etwas noch nie über einen Mann gelesen.

Ich habe auch noch nie gelesen, dass sich das Kostüm eines Mannes soviel ausgetauscht wird und darüber gesprochen wird. Es nervt! Ich kann nicht oft dafür plädieren: Was für Menschen sind wir auf der Bühne? Und wie verhalten wir uns zueinander? Das kann man dann wunderbar aufs Leben übertragen.

Sie gehen im Herbst ans Berliner Ensemble. Was hat Sie dorthin gezogen? Ist das eine Flucht vom Volkstheater?

Nein. Der Hauptgrund war tatsächlich, dass der Intendant sich sehr sehr früh schon wahnsinnig reizend darum bemüht hat, mir das schmackhaft zu machen, was dort passiert. Ich habe einfach gemerkt, dass ich noch einmal einen anderen Schritt machen und noch einmal weiter und ein bisschen andere Zusammenhänge suchen möchte. Es ist auch so, dass am Volkstheater die Regisseure, mit denen ich gerne und viel gearbeitet habe, jetzt erst einmal nicht arbeiten werden – deshalb: Berlin.

Als man Sie gefragt hat, warum Sie den ungewöhnlichen Wechsel von der Burg zum Volkstheater machen, haben Sie sinngemäß erklärt, da passiere gerade nichts, was Sie künstlerisch reizt. Schadet soviel Offenheit nicht?

Die Menschen werden immer Dinge finden, die sie gerne gegen einen verwenden wollen. Ich will mir selber treu bleiben und stehe zu dem, was ich da damals gesagt habe. In den zwei Jahren Volkstheater mit allen Turbulenzen habe ich in der kurzen Zeit Rollen spielen können und Arbeiten machen können, die mir in dem Maße am Burgtheater nicht möglich gewesen wären.

Sie spielten schon in Deutschland, in Düsseldorf, dann in Wien an zwei Häusern. Gibt es etwas, dass das deutsche Publikum vom Wiener grundsätzlich unterscheidet?

In Wien geht man wegen der Schauspieler ins Theater, habe ich das Gefühl. Das ist auch etwas sehr Schönes. Da ist erst erst einmal egal, ob das jetzt Brecht, Kleist, Schiller oder Shakespeare ist. In Deutschland geht man primär wegen der Inhalte, dann vielleicht auch wegen der Regisseure.

Man hat es dort als Regisseur leichter, ein Stück abstrakter und moderner zu gestalten?

Es sind andere Sehgewohnheiten – gerade in Berlin. Es ist dort sicher hart, ich habe davor auch großen Respekt, weil es so viel mehr Häuser gibt, die alle auf einem Niveau agieren. Und es sind eben andere Sehgewohnheiten. Nicht zuletzt durch die großartige Volksbühne unter Frank Castorf ist der Zuschauer anders geschult – und ich glaube, nicht mehr so schnell abgeschreckt oder schockiert.

Castorf hat sich nach 25 Jahren von der Volksbühne verabschiedet. Claus Peymann ist als Leiter des Berliner Ensembles nach 18 Jahren abgetreten. Sie treten sozusagen zu einer Zeitenwende in Berlin an.

Es ist schon ein riesiger Umbruch. Dieser Abschied von der Volksbühne muss Wahnsinn gewesen sein. Leute haben davor campiert und wirklich geweint und gebrüllt, weil ihnen das Theater weggenommen wird. Jetzt liegt natürlich ganz viel Spannung darauf, was der neue Intendant mit dem Haus macht. Gleichzeitig lastet natürlich am Berliner Ensemble ein Riesendruck. Es strukturiert sich jetzt wieder so ein bisschen neu, das Rad dreht sich. Das Tolle ist, dass Castorf sich bereit erklärt hat, bei uns am Berliner Ensemble zu arbeiten.

Sie sind eine erstaunlich geerdete Erscheinung. Warum sind Sie frei jeder Attitüde?

Ich komme aus einer wundervollen Familie, und das erdet. Und vor denen muss ich mich – und jeder eigentlich – verantworten. Ich kann mir vorstellen, wenn Menschen das vielleicht nicht haben, dass das irgendwo anders rausmuss und das dann als Attitüde abgetan wird. Aber ich finde bei jedem Menschen, es lohnt sich, zwei, dreimal, auch achtmal hinzuschauen, bis man ihn begreift.

Sie spielen heuer die Buhlschaft. Was bedeutet Ihnen eigentlich der "Jedermann"?

Es ist ein bisschen schwierig, das zu beantworten, bevor hier alles fertig ist. Aber es gibt immer so einen Moment, wenn es losgeht – da liegen wir alle auf der Bühne–, wenn die Rufer und die großartigen Musiker kommen. Da halte ich jedes Mal mit dem Hanno Kofler die Hände, und wir denken: "Was machen wir hier eigentlich? Das ist ja absurd." Es ist immer noch so unwirklich, zu wissen, man hat da jetzt ein kleines bisschen Österreich-Geschichte geschrieben. Es wird jetzt immer auf Wikipedia stehen (lacht). Und: Man hat das unglaubliche Privileg zu wissen, es ist immer ausverkauft. Das schon ist ein unglaublicher Nährboden.

Das Publikum zur Festspielzeit ist dafür in großen Teilen kein klassisches Theaterpublikum. Viele Menschen zeigen sich dort aus Prestigegründen.

Man fragt sich wirklich manchmal, für wen man eigentlich spielt und wo die Menschen dann überall in der Welt verteilt sind. Das ist Salzburg generell zur Festspielzeit. Es geht halt auch um das Drumherum, genauso für uns Schauspieler.

Wenn Sie in Berlin sind, zählt es eigentlich etwas, dass Sie am Domplatz die Buhlschaft im "Jedermann" gespielt haben? Oder ist das eher ein lokaler Hit, den wir in Österreich so breittreten, weil wir nicht so viel anderes haben?

Das haben Sie jetzt gesagt (lacht)! Man weiß schon, was das ist. Aber ich glaube schon, das ist etwas sehr Österreich-Spezifisches, was hier passiert. Das ist so ähnlich, wie wenn man in Österreich fragt, welche Opern heuer in Bayreuth laufen.

Finden Sie das Stück gut?

Ich muss wirklich sagen, dass es mich positiv überrascht hat. Natürlich wird an der Schauspielschule geätzt. Man ist ja auch super kritisch, gerade als junger Mensch. Beim Arbeiten habe ich dann schon gemerkt: Cool, es gibt Szenen und Momente, die mich nachdenklich stimmen. Das fand ich positiv überraschend. Es hat ja den Ruf, wahnsinnig folkloristisch, christlich und zum Schluss sehr schwierig durch zu behaupten zu sein. Aber da sind dieses Jahr Wege gegangen worden, die ich sehr richtig finde.

Gott vergibt Jedermann zum Schluss. Sind Sie gläubig?

Wir hatten jüngst ein schönes Gespräch dazu. Und haben beschlossen, wir würden Gott lieber als Hoffnung bezeichnen. Ich möchte hoffen, dass meine Kinder irgendwann in einer anderen Welt leben werden, als wir es jetzt tun. Und dafür müssen wir alle arbeiten. Und dazu, was Glauben genau ist, ist man Gott sei Dank heute etwas weiter als zur Zeit Hugo von Hofmannsthals.

Sie haben einmal gemeint, Volkstheater-Direktorin Anna Badora sei eine sehr mutige Frau. Wie meinen Sie das?

Ich bewundere sie für ihre Kraft und ihr Durchsetzungsvermögen und wünsche ihr, dass sie an diesem Grundgedanken, den es für dieses Haus gab, festhalten kann – dass man wirklich politisches Theater machen kann und diesen Begriff Volkstheater wirklich ernst nimmt –, ohne dem etwas Naives oder Plumpes überzustülpen. Es hat noch nicht so schnell sein Publikum gefunden, das wird halt einfach dauern.

Liegt das an Wien? Man tut sich schwer, wirklich den letzten Schritt zu gehen, um Künstlerisches annehmen zu können.

Es ist in Wien immer eine unglaubliche Liebe, die einem hier entgegenkommt. Irgendwann fragst du dich wahrscheinlich als Theater, was dein Auftrag ist. Es gibt ja auch immer wieder Produktionen, wo man den Schritt weiter geht. Die Entscheidung, "Die lächerliche Finsternis" zu machen, war so etwas. Zu sagen: Wir machen einen Abend, der unangenehm wird und nicht nur schön und nett. Oder die "Unverheiratete" oder Jelineks "Schutzbefohlenen". Am Ende des Tages wäre es halt schön, wenn mehr als hundert Leute in der Vorstellung sitzen.

Kommende Auftritte:

Bis zum 28. August ist Reinsperger als Buhlschaft beim Salzburger Jedermann zu sehen. Am Berliner Ensemble probt sie unterdessen bereits Berthold Brechts Kaukasischen Kreidekreis (Premiere 23. 9.). Am Wiener Volkstheater ist sie noch zwei Mal zu sehen: Am 2. 10. spielt sie am Volkstheater Handkes Selbstbezichtigung und am 3. 10. in der Spielstätte Volx/Margareten Philoktet.

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