Ein Pferdefilm über die ungezügelten Menschen Islands

Hengst, Stute, Mann - eine Dreiecksbeziehung auf Island.
"Von Menschen und Pferden": Regisseur Benedikt Erlingsson über Tölt, isländischen Humor und die Wirkung der Pferde auf Schauspieler.

Dieses Bild bleibt hängen: Kolbeinn, ein stolzer Isländer mittleren Alters, wird auf seiner Islandpferd-Stute sitzend von einem Hengst besprungen. Um noch schnell abzuspringen, ist es längst zu spät. Kolbeinn hat keine Wahl. Fest im Sattel sitzend muss er die Prozedur geduckt über sich ergehen. Die Rache kommt später. Zurück auf seinem Hof – irgendwo im isländischen Hochland, wo die Nachbarn einander mit Fernstechern beäugen – führt Kolbeinns erster Weg zu seinem Gewehrschrank.

„Dass ein Mann seine Tochter umbringt, weil sie Schande über seine Familie gebracht habe, das hört man doch immer wieder“, erklärt Benedikt Erlingsson im Gespräch mit dem KURIER die Eröffnungsszene seines Debütfilms „Von Menschen und Pferden“. Es ist ein Verbrechen aus Leidenschaft – schwer verdaulich für Tierfreunde, aber eben zutiefst menschlich. In fünf Episoden erzählt Erlingsson vom Leben der Islandpferde und ihrer Besitzer. Wobei: „Das Pferd ist nur ein Vehikel, um Geschichten von Menschen, von ungezügelten Menschen zu erzählen“, sagt der 45-Jährige. Denn „das verrückteste, gefährlichste Tier der Welt, ist doch der Mensch.“

Das Ergebnis ist weniger drastisch, als die eben geschilderte Szene vermuten ließe. Der Film – im isländischen Originaltitel „Hross í oss“ ("Das Pferd im Pferd"), genannt – ist voll schwarzem Humor und geradezu absurd zärtlichen Bildern. Die Liebe der Menschen zu ihren Pferden, sie wird fast körperlich spürbar. „Pferde, und ich glaube alle Haustiere, bewegen sich in so einer Grauzone aus Obsession und Anziehungskraft, die fast physisch ist“, ist sich Erlingsson sicher.

Typisch, oder etwa nicht?

Dass es sich damit um einen typischen isländischen Film handle – immerhin ist die Reiterei bei 78.000 Pferden aus 323.000 Einwohner Volkssport Nummer eins auf der sagenumwobenen Insel im Nordatlantik – findet Erlingsson zwar nicht. Wenngleich er zugibt: „Pferde zu haben ist natürlich Teil unserer Kultur.“

Besonders unter Islands Schauspielern sei Reiten das beliebteste Hobby überhaupt. „Ich glaube, dass Pferde sehr wichtig für Schauspieler sind. Sie erden sie, geben ihnen Kontakt zur Erde, halten sie geistig gesund. Das ist wichtig, weil Schauspieler doch in einer absolut verrückten Welt leben. Einer Welt aus Eitelkeit und diesen ganzen –Ismen. Sexismus, Alkoholismus, Workaholismus – das ist doch die Realität des Schauspielers.“ Das sei die Droge, auf der isländische Schauspieler seien. „Naja, die meisten jedenfalls.“

Ein Glück für den Neo-Regisseur. Als der Hengst die Stute decken sollte, auf der Ingvar Eggert Sigurðsson, der den wortkargen Kolbeinn spielt, saß, brauchte er auch keinen eigenen Stuntman anheuern. Es klappte beim ersten Versuch. Ein Take, sechs Kameras, ein Akt. Und überhaupt: „Eigentlich ist das gar keine ungewöhnliche Szene. Das passiert ständig. Mir selbst ist das auch schon einmal fast passiert. Ich konnte aber noch rechtzeitig abspringen.“ Zumindest diese Erfahrung teilen außerhalb Islands wohl nur die wenigsten Menschen mit Erlingsson.

Dass viele Szenen für ein hippologisch wenig informiertes Publikum so fremd anmuten, ist auch ein Glück des Films. Im neuen Kontext entfaltet so manche Szene eine Komik, die dem Regisseur selbst beim Dreh gar nicht bewusst war. „Wenn ich in einem anderen Land meinen Film präsentiere und das Pferd kommt mit diesem wundervollen Tölt dahergeritten und das Publikum fängt an zu lachen, dann ist das sehr traurig für mich“, beschwert sich der Pferdeliebhaber augenzwinkernd. „Ich verstehe das einfach nicht. Für mich ist das total maskulin, wie überhaupt die Reitkunst in Island – anders als in Europa - noch ein total maskuliner Sport ist.“

Die Geschichtenerzähler unterm Weihnachtsbaum

Erlingssons Entrüstung über den „Kulturschock“ ist ernst gemeint – und doch ist das Grinsen in seinem Gesicht selbst durch die Telefonleitung zwischen seiner Heimatstadt Reykjavik und Wien deutlich zu erkennen. Es ist derselbe trocken vorgetragene Humor, der auch im Film zu sehen ist. „Mit einem Wort ist er wohl am besten mit ‚Understatement‘ zu beschreiben“, erklärt der sympathische Isländer. Also Untertreibung. „Wenn man weniger sagt, als man sagen sollte. Diese Art von Humor kommt auch schon in Isländersagen vor.“

Auch das Geschichtenerzählen selbst, sagt Erlingsson, habe eine lange Tradition in seinem Land. „Früher waren wir so etwas wie die Expat-Storyteller für alle nordischen Länder. So wie jetzt Filmemacher durch die Festivals ziehen, zogen damals zogen Geschichtenerzähler durch ganz Nordeuropa.“ Besonders deutlich werde das jedes Jahr zu Weihnachten, wenn wieder eine Welle von Isländern ihre Auto-Biografien auf den Markt bringen würden. "Das ist verrückt.“

Erlingsson gibt sich da lieber bescheidener. „Von Menschen und Pferden“, der bereits 2013 von Islands Regielegende Friðrik Þór Friðriksson produziert wurde, lief weltweit auf Festivals und wurde von Island als Kandidat für den Oscar als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert. Auf den Erfolg seines Films angesprochen, erinnert Erlingsson lieber an seine Mutter. „Pass auf den Erfolg auf“, habe diese ihren Sohn gewarnt. „Das ist das gefährlichste, was einem Künstler passieren kann. Erfolg ist das einzige, was einen Künstler zerstören kann. Im Erfolg kann man seinen Erdkontakt verlieren.“Eine Gefahr, die bei Erlingsson nicht besteht. Immerhin nennt er gleich fünf Pferde sein eigen. Sicher ist sicher.

"Von Menschen und Pferden" - aktuell im Kino
Buch & Regie: Benedikt Erlingsson
Produktion Friðrik Þór Friðriksson, Christoph Thoke.

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