Viennale-Shots 3: Infernalisches Kino

Sprechende Füchse, selbstzerstörerische Dreharbeiten: Kino kann die Hölle auf Erden sein, wie "Antichrist" und "L'Enfer" beweisen.

Jetzt ist der "Antichrist" auch in Österreich gelandet. Vor dem offiziellen Kinostart am Freitag lief die Österreich-Premiere von Lars von Triers mit Spannung erwartetem Psycho-Schocker bei der Viennale. Am Beginn zeigt der dänische Kultregisseur in mit Superzeitlupe verzögerten Hochglanz-Schwarz-Weiß-Bildern, woran seine beiden Hauptdarsteller, "Er" (Willem Dafoe) und "Sie" (Charlotte Gainsbourg) in den folgenden 100 Filmminuten zu knabbern haben werden. Sie haben leidenschaftlichen Sex im Bad, während ihr kleiner Sohn in einem Nebenraum aus dem Fenster fällt und stirbt.

"Er", der Psychiater, möchte die durch die Trauer ausgelösten Angst-Attacken seiner eigenen Frau therapieren, und verstößt somit gegen seinen Verhaltenskodex, was in weiterer Folge in und um eine einsame Waldhütte schließlich in kaum vorstellbare Brutalität mündet.
Dennoch: Trotz aller Diskussionen um Darstellung von Pornoszenen und extremer Gewalt fragten sich nach der Weltpremiere in Cannes viele, was es mit dem sprechenden Fuchs auf sich hat. Am Ende des zweiten Kapitels "Schmerz (Chaos regiert)" taucht das Tier auf, starrt mit verzerrter Stimme direkt das Publikum an und sorgte im Gartenbaukino für einen der explosivsten Lacher bei dieser Viennale.

Schamanische Reisen

Von Trier hat jedoch in Interviews beteuert, bei seinen schamanischen Reisen ebensolche Visionen gehabt zu haben, und die Szene daher durchaus ernst gemeint zu haben. Wie sehr "Antichrist" eine Aufarbeitung seiner eigenen Depression war, darüber spricht der Regisseur auch im KURIER-Interview (siehe Link). Der Verdacht liegt nahe, dass die Dreharbeiten vor allem für von Trier selbst die größte Belastung waren.
Und auch die Body-Doubles waren in intensivem Einsatz: so wurde etwa Willem Dafoes Gemächt vom Porno-Darsteller Horst Stramka gespielt. Die (sicher nicht weniger anstrengenden) Testaufnahmen im Wald absolvierten freilich auch nicht die Stars. Jens Albinus (beim Dogmafilm "Idioten" noch Hauptdarsteller) wurde dafür im Abspann gedankt, wie übrigens auch einem Stab an Forschern, die von Trier über Misogynie, Mythen oder Horrorfilme informiert haben. Auch nicht unwichtig scheint der Dank an den Landesbetrieb Wald & Holz, Nordrhein-Westfalen: Selten sah ein Wald im Film bedrohlicher aus ...

Romy Schneider, wie man sie noch nie sah

Als nicht weniger fordernd, aber noch wesentlich ausufernder, stellten sich die Dreharbeiten zu Henri-Georges Clouzots "L'Enfer" (Die Hölle) dar. 1964 startete der französische Meisterregisseur sein ehrgeizigstes Projekt, mit dem er die Filmwelt revolutionieren wollte. Im Mittelpunkt stand ebenfalls ein Paar - und ein Grundthema der menschlichen Existenz: Eifersucht. Gespielt von der 26-jährigen Romy Schneider, die bereits zum Filmstar gereift war, und Serge Reggiani.

Doch die Hölle auf Erden mussten die Dreharbeiten sein: Clouzots hoher Qualitätsanspruch, ausufernde Kosten, zwischenmenschliche Konflikte, schließlich streckte den Regisseur ein Herzinfarkt nieder. Clouzot lebte zwar noch einige Jahre lang, doch die Arbeit zu "L'Enfer nahm er nicht wieder auf. Die 183 Filmdosen schlummerten fortan in einem Archiv - das geheimnisumwitterte Filmfragment schien verloren.
Den Filmhistorikern Serge Bromberg und Ruxandra Medrea gelang es schließlich, diesen Schatz ans Tageslicht zu bringen. Sie haben das Filmmaterial zu einer beeindruckenden Dokumentation des Scheiterns montiert, Beteiligte interviewt und einige Szenen von Schauspielern nachspielen lassen, da keine Tonaufnahmen zu den Originalszenen auffindbar waren.

Die Viennale zeigte die Doku "L'Enfer d'Henri-Georges Clouzot" unmittelbar vor "Antichrist" - was durch einige bereits erwähnte Parallelen (und seien es nur die infernalischen Titel der beiden Filme) durchaus seinen Reiz hat.
Clouzot hatte für sein ungemein ambitioniertes Filmprojekt mit völlig neuen optischen Tricks experimentiert. Die bisher unbekannt gebliebenen Szenen zeigen nun eine Romy Schneider, wie man sie noch nie sah.

"Please, please, please!"

Dementsprechend aufgeregt zeigte sich daher bei der Österreich-Premiere auch Regisseur Serge Bromberg, der bei der Viennale zu Gast war. Unmittelbar vor der Projektion sollte er nur ein paar einleitende Worte sprechen, erzählte jedoch ausufernd, wie schwer es war an das begehrte Filmmaterial zu kommen. Von der Moderatorin schon mehrmals aufgefordert, doch zum Ende zu kommen, plauderte Bromberg munter weiter, über das Gespräch mit Ines Clouzot und wie er diese angefleht habe, ihn doch die legendären Filmrollen sichten zu lassen ("Please, please, please!"). Alles habe nichts genutzt, die Witwe des Regisseurs gab an, dass jede Woche fünf Leute mit demselben Anliegen zu ihr kämen. Obwohl das Gespräch eigentlich schon negativ beendet worden sei, habe sie Herrn Bromberg aber noch in den Lift begleitet. Dort sei dann der positive Umschwung erfolgt.

An dieser Stelle der Erzählung sah die Saalregie allerdings den Zeitpunkt gekommen, das Licht im Gartenbaukino zu löschen. Worauf Bromberg im Dunkeln erneut rief: "Please, please, please!"
Noch einmal ging das Licht an, der selbst ernannte Entertainer Bromberg erzählte zur Freude des Publikums seine Liftszene weiter - aber leider nicht bis zum Ende. Sie blieb ebenso fragmentarisch wie Clouzots Film "L'Enfer", der nun in eindrucksvoller Manier fürs Kino zugänglich gemacht worden ist.

TV-Tipp:
Der ORF-Kulturmontag zeigt am Montag, 2. November, Bilder von Romy Schneider in "L'Enfer d'Henri-Georges Clouzot". ORF2, 22:30 Uhr.

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