Verweile doch! Du bist so schön!

Red Interior, Provincetown, Massachusetts, 1977
Das KunstHausWien zeigt das umfassende Werk von Joel Meyerowitz - bis 1. November.

Hach“: Joel Meyerowitz zuckt kurz zusammen, atmet kurz ein, wie in einer Mischung aus Schreck und Staunen. Dieser kurze Luftzug, sagt der US-amerikanische Fotograf, das sei „Inspiration“, im wörtlichen Sinn. Wenn er etwas Besonderes sehe, atme er unbewusst so. Und manchmal gelänge es, die Inspiration ins Bild zu bannen. „Ich kann nicht darauf abzielen“, sagt er. „Aber ich merke, wenn sie da ist.“

Verweile doch! Du bist so schön!
Joel Meyerowitz / Retrospektive
Die Retrospektive zum Werk des heute 77-Jährigen im Kunsthaus Wien zeigt viele jener Wege, auf denen Meyerowitz dieses Besondere eingefangen hat. Begonnen hatte er in den Straßen von New York, auf Reisen durch die USA und durch Europa, inspiriert vom emigrierten Schweizer Robert Frank und dessen epochalem Buch „The Americans“. Frank konnte Motive des Alltags mit symbolischer Schwere aufladen – „wenn man diese Bilder gesehen hat, weiß man nicht mehr, was trauriger ist, eine Jukebox oder ein Sarg“, schrieb Beat-Poet Jack Kerouac im Vorwort zu „The Americans“.
Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Verweile doch! Du bist so schön!

Das gute Leben

Joel Meyerowitz’ Fotos, die ab den späten 1960ern vorrangig in Farbe und ab 1976 oft mit einer großen Plattenkamera entstanden, wohnt ein anderer Geist inne: Sie sind luftiger, cooler und – vordergründig – viel unbeschwerter. Mit den Aufnahmen von Stränden, Badeanlagen und Pools und von Menschen auf Sommerfrische, die in den 1970er- und ’80er-Jahren in Massachusetts oder Florida entstanden, traf Meyerowitz einen ähnlichen Ton wie der Künstler Alex Katz in seinen Gemälden: es ist das gute Leben, das da aus großformatigen, perfekt ausgearbeiteten Abzügen hinüberstrahlt.

Doch wie auch bei Katz wäre es zu kurz gegriffen, in den Bildern nur schöne Oberflächen zu sehen. Das Besondere – und vielleicht auch das spezifisch „amerikanische“ – an Meyerowitz’ Zugang ist eher die Gleichzeitigkeit von Oberflächlichkeit und Tiefgang. Wie Katz interessiert ihn das Flüchtige – die Bilder seiner ersten Ausstellung im MoMA (1968), die in Wien alle zu sehen sind, schoss er aus einem fahrenden Auto. Zugleich strebte er stets nach „maximaler Beschreibung“, erklärt Meyerowitz, dies führte ihn zur Farbe und zur Plattenkamera.

Je länger man die Schau nachwirken lässt, desto mehr verblassen die Widersprüche zwischen hochauflösenden Bildern und spontanen Eindrücken: Wie Meyerowitz sagt, formte die Kamera seinen Blick auf die Welt, und die Fotos, egal mit welcher Belichtungszeit aufgenommen, kreisen alle um die Frage, welche Erkenntnis die Kamera aus einem Moment destillieren kann.

Im späten Werk erscheint diese Auseinandersetzung stark nach Innen gekehrt: Nach einem Buch über die Aufräumarbeiten nach 9/11 („Aftermath“, Phaidon Verlag, 30,99 €) fotografiert Meyerowitz heute primär Stillleben aus alten Objekten, nach Art des von ihm verehrten Malers Giorgio Morandi. Die Inspiration, von der der Fotograf spricht, braucht das Leben auf den Straßen nicht mehr.

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