Veruntreuung statt Rückgabe

Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit agierte Deutschland alles andere als vorbildhaft.

Die Geschichte der "Monuments Men" ist ja nicht erst seit der Verfilmung im Jahr 2013 durch George Clooney bekannt: Eine Spezialeinheit der US-Armee stellte mit Ende des Zweiten Weltkriegs in Höhlen, Bunkern und auch im Salzbergwerk von Altaussee Abertausende Kunstwerke sicher, die von den Nationalsozialisten geraubt worden waren. Alle Funde kamen zum "Central Collecting Point" nach München. Und dort sollten die Objekte an ihre rechtmäßigen Besitzer übergeben werden.

Dabei passierten ein paar gravierende Fehler, wie wir seit Anfang 1998, nach der Beschlagnahme von Egon Schieles "Bildnis Wally" in New York, wissen: Das Porträt hatte bis 1939 der Wiener Galeristin Lea Bondi-Jaray gehört, nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurde es an den Sohn von Heinrich Rieger restituiert. Ihm dürfte bewusst gewesen sein, dass sein Vater nie das "Bildnis Wally" besessen hatte; aber angesichts der großen Verluste nahm er das Bild einfach an – und verkaufte es 1950 der Österreichischen Galerie. Drei Jahre später erwarb Rudolf Leopold das Bild im Tausch, obwohl ihm die Vorgeschichte bekannt war.

Zu treuen Händen

Der Streit um das "Bildnis Wally" ist längst ausgefochten: Im Juli 2010 zahlte die Stiftung Leopold den Erben nach Lea Bondy-Jaray 19 Millionen Dollar (damals 14,8 Millionen Euro). Die Geschichte um das veruntreute Erbe aber geht weiter. Denn die US-Armee übergab 1949 all die Werke, die sie nicht zurückgeben konnte, der Republik Österreich wie der Bundesrepublik Deutschland zu treuen Händen. Die Bedingung war, dass die Suche nach den rechtmäßigen Besitzern fortgesetzt werde.

In Österreich betraute man damit das Bundesdenkmalamt, in Deutschland die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, deren Generaldirektor Eberhard Hanfstaengl ein Cousin von Hitlers Weggefährten Ernst Hanfstaengl war. Da wie dort gab es aber kein Interesse an Restitutionen. Die Medien thematisierten immer wieder die österreichischen Versäumnisse; erst 1996 kam es zur Versteigerung des "Schatzes von Mauerbach" (siehe Artikel ganz unten). Für München hatte das keinerlei Folgen: Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die 10.600 Kunstwerke erhalten hatten, scheuten weiterhin die Aufarbeitung.

Holländisches Platzbild

Dabei waren in der Nachkriegszeit Ungeheuerlichkeiten passiert. Die "Süddeutsche Zeitung" schilderte sie kürzlich in der Recherche "Der Münchner Raubkunst-Bazar" anhand einer Kopie eines Werks von Jan van der Heyden mit dem Titel "Holländisches Platzbild". Dieses kleine Gemälde hatte bis 1938 Gottlieb Kraus, dem tschechischen Konsul in Wien, und seiner Frau Mathilde gehört.

Über deren außerordentliche, von der Gestapo beschlagnahmte Sammlung berichtete bereits 2003 die österreichische Provenienzforscherin Sophie Lillie in ihren Handbuch "Was einmal war": Als Käufer fungierten in der NS-Zeit unter anderem die Albertina, die Österreichische Galerie Belvedere und das Joanneum sowie Hans Posse, der Sonderbeauftragte für das geplante "Führermuseum" in Linz.

1941 machte auch Heinrich Hoffmann, der Leibfotograf von Hitler, einige Erwerbungen. Seine Tochter Henriette, eine Sekretärin des Führers, hatte 1932 Baldur von Schirach geheiratet, Hitler war Trauzeuge. 1938, nach dem "Anschluss", wurde Schirach Reichsstatthalter in Wien; er residierte mit seiner Frau in der Hofburg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Schirach als Verantwortlicher für die Deportation von 185.000 österreichischen Juden in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt. Wie von allen anderen NS-Größen lagert man auch seinen Besitz im Münchner "Central Collecting Point" ein, darunter das von Schwiegervater Hoffmann erworbene "Holländische Platzbild".

1949 übergeben, wie bereits erwähnt, die US-Amerikaner der BRD 10.600 Werke. "Doch die Nachkriegsbeamten denken nicht an die Vorbesitzer, erforschen keine Provenienzen. Sie teilen den Schatz untereinander auf", so die SZ: Ein Gemälde aus Görings Besitz landet in einem Gästehaus der Bundesregierung, eine Canaletto-Kopie aus Hitlers Sammlung bei der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn. Und vieles, was nicht gewollt wird, macht man zu Geld: Zum zweiten Mal also werden die jüdischen Sammlungen "verwertet".

Nazi-Freunde

Abgegeben wird auch an alte Nazi-Freunde. Henriette von Schirach, die sich scheiden ließ und nun wieder Hoffmann heißt, bekommt 1949 von Hanfstaengl zurück, was sie in die Ehe eingebracht habe: Möbel, Bilder, Teppiche. Im Jahr darauf darf sie mehrere Kunstwerke zurückkaufen, darunter das "Holländische Platzbild". Hoffmann zahlt für das Gemälde 300 Mark – und lässt es wenige Monate später bei Lempertz in Köln versteigern (und damit weißwaschen): Der Xantener Dombauverein bezahlt 16.100 Mark, also das 55-fache. Und dort hängt das Bild auch heute noch.

Nach dem Krieg kämpfte das Ehepaar Kraus, dem die Flucht über Prag, London und Montreal in die USA geglückt war, um Rückstellungen – zunächst erfolglos. Aus österreichischer Sicht ist der Fall aber mittlerweile aufgearbeitet: Aufgrund des 1998 verabschiedeten Kunstrückgabegesetzes erhielten die Erben alle Werke zurück, die sich in den Bundesmuseen und im Joanneum befanden.

Ein Urenkel von Gottlieb und Mathilde Kraus, John Graykowski, fordert nun in Zusammenarbeit mit der Commission for Looted Art in Europe (CLAE) das "Platzbild" zurück. Doch die Xantener schweigen. Mit gutem Grund: Eine Verpflichtung zur Restitution gibt es nicht. Denn das Bild wurde gutgläubig bei einem autorisierten Händler erworben.

Der SZ-Artikel zeigt aber noch ein anderes Problem auf: Dass die Deutschen alles andere als vorbildlich agierten. Auch wenn die Staatsgemäldesammlungen beteuern, Provenienzforschung zu betreiben, dürfte es eher so sein, wie es Anne Webber von CLAE darstellt: Das Land habe es bis heute nicht geschafft, "eine vollständige Liste der Kunstwerke mit problematischer Herkunft zu erstellen". Österreich übrigens auch nicht. Auch wenn man sich seit 1998 sehr engagiert in Sachen Restitution.

Ergänzung:

Die „Galerie der Tränen“: Der Schatz von Mauerbach

Auktion.Hunderte Werke wurden versteigert, die als „herrenlos“ galten – weil man die Vorbesitzer nicht finden wollte

1996 fand im MAK die sogenannte „Mauerbach-Benefizauktion“ statt. Versteigert wurden damals Kunstobjekte, die als „herrenlos“ galten, aber zumeist jüdische, in der NS-Zeit vertriebene oder ermordete Vorbesitzer hatten.
Die beschämende Geschichte begann 1949: Die US-Armee übergab der Republik Tausende an diversen Orten geborgene Gegenstände. Das Denkmalamt, das in die Enteignungen involviert gewesen war, sollte diese restituieren. Doch man zeigte wenig Eifer. Erst auf Druck von Simon Wiesenthal wurde 1969 eine mehr als 8000 Objekte umfassende Liste veröffentlicht. Wiesenthal nannte sie die „Galerie der Tränen“. In der Folge wurden 1231 Gegenstände zurückgefordert – und nur 72 restituiert. Alle anderen gingen in das Eigentum der Republik über, die im Gegenzug eine Abschlagszahlung von fünf Millionen Schilling leistete.

Im Dezember 1984 griff der Journalist Andrew Decker das Thema in der US-Zeitschrift "ARTnews" auf: Er bezeichnete die Existenz von Hunderten in der Kartause Mauerbach gelagerten Werken als „A Legacy of Shame“ (ein Vermächtnis der Schande). Erneut kam es zur Veröffentlichung der Bestände.

3300 Anträge wurden eingebracht, lediglich 22 Objekte folgte der Staat aus. Immer wieder wurde über Schikanen berichtet, denen die Rückstellungswerber ausgesetzt waren. Aufgrund des medialen Drucks fiel 1995 der Entschluss, die Sammlung mehrheitlich in das Eigentum der Israelitischen Kultusgemeinde zu übertragen. Die Objekte sollten verkauft, mit dem Erlös Holocaust-Überlebende unterstützt werden. Jahrzehntelang hatte man alle Zeit der Welt gehabt – und nun musste alles ganz schnell gehen: Ende 1995 wurden die Objekte ausgepackt, fotografiert, geschätzt und der IKG bzw. Christie’s übergeben.

Auf den Rückseiten vieler Bilder befanden sich Etiketten, Stempel, Siegel, Namen, Zahlen. Man hinterfragte sie nicht. Die Provenienzforscherin Sophie Lillie untersuchte die Fotografien mit den Spuren erst ein Jahrzehnt später – und konnte bei rund 50 „herrenlosen“ Bildern sogleich die einstigen Eigentümer eruieren. Eine zeitgemäße Aufarbeitung hätte, so Lillie, die Rückstellung vieler Mauerbach-Objekte ermöglicht. Diese Unterlassung ist für sie einer der „größten Skandale der Zweiten Republik“.

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