US-Fotograf Bruce Davidson: Wie die Kamera das Mitgefühl erlernte
Fotografen benehmen sich häufig wie Vampire – sie stürzen sich, oft aus dem Hinterhalt, auf ohnehin arme Opfer und saugen sie aus, ringen ihnen Bilder der Tristesse und Ausweglosigkeit ab. Man kann es ihnen kaum zum Vorwurf machen – Medien und ihr Publikum dürsten eben nach dem prägnanten Bild, und in der Zeit immer knapperer Deadlines muss dieses rasch geliefert werden, bevor’s zum nächsten Ziel weitergeht.
Zeitlos in Manhattan
Das Werk des Magnum-Fotografen Bruce Davidson, das nun in einer wunderbaren Retrospektive im Wiener Fotomuseum Westlicht ausgebreitet wurde (bis 13.8.), ist die Gegenthese zu derartigem Foto-Vampirismus. Für sein stilprägendes Werk "East 100th Street", das 1970 als Buch erschien, fotografierte Davidson nur einen New Yorker Straßenzug – zwei Jahre lang. Die resultierenden Bilder zeigen zwar Armut und soziale Spannungen, aber auch die Würde und den Stolz der Menschen im so genannten Problemviertel.
Davidsons bedächtige Methode offenbart sich auch in der Sorgfalt bei der Wahl der Bildausschnitte: Indem er Bilder durch fotografierte Bettkanten, Türen oder Fenster strukturierte, verlieh er dem Dargestellten Monumentalität, ohne dass Szenen konstruiert wirken.
Davidsons Foto-Karriere setzte Mitte der 1950er Jahre – in etwa gleichzeitig mit Robert Frank und seinem epochalen Projekt "The Americans" – ein und umspannt wesentliche Momente des 20. Jahrhunderts. Weithin bekannt wurden seine Dokumentationen der US-Bürgerrechtsbewegung in den frühen 1960ern: Als das US-Höchstgericht damals urteilte, dass Rassentrennung auf Langstreckenbussen verfassungswidrig sei, testeten so genannte "Freedom Riders" die Aufhebung in der Praxis – und Davidson fuhr mit. Bei Protestmärschen in Alabama stand der Fotograf 1963 an Seite Martin Luther Kings – doch er richtete seine Linse auch auf den Ku-Klux-Kan und den gelebten Rassismus in den Südstaaten jener Zeit.
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