Uraufführung: "Das Mädchen und der Messerwerfer“
Ich bin, wenn Du mich suchst, das Mädchen, das barfuss geht." Worte wie diese aus Wondratscheks in Wien entstandenem Gedichtzyklus "Das Mädchen und der Messerwerfer" zu lesen oder auf der von ihm eingelesenen CD zu hören, lässt Bilder im Kopf entstehen.
Seien es eigene oder von der Kinoleinwand und Frederico Fellinis "La Strada" oder Frédéric Lecontes "La fille sur le pont" entlehnte. Anlässlich der Uraufführung des Zyklus durch das Bayerische Staatsballett lässt der als "Rockpoet" Verschriene im KURIER-Gespräch mit anderen Bildern aufhorchen. Es sind seine aus dem Jahr 1997, nachdem Hotel-Direktor Andreas Wittkowski Gefallen an seinen Gedichten gefunden hatte und befand, sie müssten präsentiert werden. "Im Hamburger Hotel Interconti hingen die 35 Gedichte in den Gängen der sechsten Etage. Auf den Zimmern lagen sie als Band neben der Bibel am Nachttisch. Die Bände mussten oft nachgeliefert werden, weil sie gerne geklaut wurden." Es ist weniger Eitelkeit, die aus dem Dichter spricht als vielmehr das archaische Thema seiner Poesie, das für ihn und sich spricht – Menschen anspricht.
Zielscheibe
Ein Mädchen, das heranwächst unter alten Artisten, freizügigen Frauen und dem Messerwerfer als Zielscheibe dient. "Ich bin, was er will: eine unbewegliche/Linie, ein Körper ohne mein Herz, ein Kind/ganz ohne Gedanken." Das Mädchen folgt dem Akrobaten, der "rülpst./Halb schon im Schlaf/gleitet die Hand über die Rundungen der Flasche/ins Herz einer Frau, welcher auch immer." aufs Wort ohne auch nur ein einziges zu sagen.
Stolz und selbstlos zugleich ist sie und lässt mit ihm den Zirkus wie das Kindsein hinter sich, um allein mit ihm zur Attraktion und im Laufe der Zeit zwangsläufig allein mit sich zur Frau zu werden. Ein Umstand, der den Wurf-Künstler aus der Bahn wirft, der zum Quälen eines Clowns, zum Töten taugt.
Wenn der Vorhang auf der Bühne des Prinzregententheaters heute Abend fällt, wird keine der Silben gefallen sein. "Die Worte müssen sich auflösen wie Aspirin in Wasser", sagt der als Box-Experte bekannte 68-Jährige, der bekennt: "Ich wollte immer ein Libretto für das Ballett schreiben. Schön, dass ,Das Mädchen und der Messerwerfer‘´ jetzt eines ist! Wer von Kindheit an den Traum hegt, Erster Solist oder Prima Ballerina Assoluta zu werden, täglich hart, oft genug unter Schmerzen trainiert, sich dem buchstäblich auf die Spitze getriebenen Irrsinn hingibt, der interessiert mich! Tänzer: Das sind Schwebewesen, die mich berühren, zu Tränen rühren."
Einer von ihnen ist des Dichters Freund Ivan Liška. Ihm, dem einst ersten Solisten in Hamburg und jetzigen Direktor des Bayerischen Staatsballetts, ist es zu verdanken, dass der Gedicht-Zyklus nach 15 Jahren zum Libretto wird. Choreograf Simone Sandroni versetzt das Mädchen (Emma Barrowman) und den Messerwerfer (Wlademir Faccioni) "in ständig lauernde Alarmbereitschaft, die einen hohen Grad an Konzentration und Energie freisetzt", heißt es im Programmheft. Energie, die nötig ist, um Wondratscheks Worte wie Aspirin in Wasser aufzulösen.
Info: Prinzregententheater: "Las Hermanas/After Light/Broken Fall/Das Mädchen und der Messerwerfer." am 31. 1., 1. 2., 2 .2. jeweils 19.30 Uhr
Wolf Wondratschek: Rockpoet
Leben: Der 1943 in Thüringen Geborene studiert Literatur, Philosophie und Soziologie, zieht 1967 nach München und arbeitet seither als freier Autor und Dichter. Der Vater eines
Sohnes lebt in Wien.
Werk: Seit dem Roman "Früher begann der Tag mit einer Schusswunde"(1969) und Gedichten wie "Die Einsamkeit der Männer", die in Helmut Dietls Film "Rossini" zitiert werden, gilt er als "Rockpoet". Für Marcel Reich-Ranicki ist er "ein Klassiker der jungen deutschen Lyrik".
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