"Unterwerfung" oder Burka-Comedy

„Unterwerfung“, ab 18. 2. im Werk X. v. li.: Marc Fischer, Hanna Binder, Statistin, Christian Dolezal, Dennis Cubic, Arthur Werner
Der "arabische Mann" dominiert die Medien – Michel Houellebecq die Bühnen. Werk-X-Regisseur- Ali M. Abdullah über die Dramatisierung von Houellebecqs „Unterwerfung“

Frankreich im Jahr 2022: Das Land wird von einem muslimischen Präsidenten regiert, Frauen dürfen in der Öffentlichkeit nur verhüllt auftreten und Polygamie ist ausdrücklich erwünscht.

Als Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" im Jänner 2015, am Tag der Charlie-Attentate, erschien, ahnte der routinierte Provokateur nicht, wie brisant sein Roman tatsächlich war.

Ein Jahr und eine Flüchtlingswelle später diskutiert ganz Europa über den "arabischen Mann". Und Houellebecq, der Autor, der nicht ohne das Suffix "Skandal-" auszukommen scheint, findet sich auf (deutschsprachigen) Bühnen wieder: Im Schauspielhaus Hamburg fand vergangenes Wochenende die deutsche Uraufführung der Bühnenfassung von "Unterwerfung" statt, im März folgt das Staatsschauspiel Dresden und im Mai zeigt Stephan Kimmig das Stück im Deutschen Theater Berlin.

Finger in die Wunde

In Österreich zeigt das Werk X, wo Regisseur Ali Abdullah 2011 Houellebecqs "Karte und Gebiet" inszenierte, ab Donnerstag "Unterwerfung" (siehe Interview unten). Abdullah hält den Autor für einen der wenigen, die es schaffen, den Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen. Dennoch kamen Abdullah, wie er im Interview bekennt, zwischendurch– genauer: nach den Attentaten vom November – Zweifel am richtigen Zeitpunkt für dieses Stück. Er kam jedoch zum Schluss, dass Gesellschaftsmodelle gerade jetzt analysiert gehören.

Volkstheater-Direktorin Anna Badora konnte ähnliche Zweifel für ihre letzte Premiere der laufenden Saison nicht ausräumen: Am Montag verkündete sie, sie verzichte auf die Uraufführung des Stücks "Homohalal" von Ibrahim Amir. Der öffentliche Diskurs über Geflüchtete sei "zurzeit stark von Angst und Hass geprägt. In dieser Situation ist eine Dystopie – so vielschichtig und komisch sie im Fall von ,Homohalal‘ sein mag – kein geeignetes Mittel zur Auseinandersetzung über die Zukunft schutzsuchender Menschen in Österreich". Amirs Stück hätte also komisch werden sollen. Ein bisschen zumindest. Auch Abdullah will seinen Houellebecq nicht "bierernst" zeigen.

Am Salzburger Landestheater setzt man gleich auf Stand-up-Comedy. Dort fand vergangenen Freitag die Uraufführung von "Funny Girl" von Anthony McCarten statt: Der neuseeländische Erfolgsautor hat den Roman über das Kurdenmädchen Azime, das seinen Traum von der Comedy-Karriere in der Burka verfolgt, eigens für das Landestheater dramatisiert. Inzwischen haben Theater in der Schweiz und in Deutschland eigene Produktionen angekündigt. Und McCarten, Oscar-gekrönter Drehbuchautor, will die Burka-Comedy in Hollywood verfilmen lassen.

„Benutzt, um Angst zu schüren“

Werk X-Regisseur Ali M. Abdullah über die Dramatisierung von HouellebecqsUnterwerfung

"Unterwerfung" oder Burka-Comedy
werk x honorarfrei
KURIER:Was fasziniert Sie an Michel Houellebecq ?
Ali M. Abdullah:
Er ist einer der wenigen Autoren, die wirklich den Kern der Zeit treffen, sodass man über die Gesellschaft, in der wir leben, ganz grundsätzlich nachdenkt. Seine Bücher bieten immer wieder Neuorientierung. Andererseits hat er sehr starke Hauptfiguren, oft Außenseiter, zu denen ich eine gewisse Affinität empfinde. Und diese Charaktere eignen sich sehr gut als Bühnenfiguren. Es ist ja nicht ganz zufällig, dass mehrere andere Bühnen auch die Idee hatten, „Unterwerfung“ zu spielen.

Seit wann haben Sie diese Inszenierung geplant?
Kaum, dass der Roman draußen war, haben wir uns um die Rechte gekümmert.

Das Stück wurde nun in Hamburg uraufgeführt, dort entschied man sich für eine One-Man-Show, bei der Autor und Protagonist als kettenrauchender, sexbesessener Literaturwissenschaftler verschwimmen. Wie wird das bei Ihnen?
Es gibt neben den fünf Hauptdarstellern, die auch andere Charaktere im Buch in den Mittelpunkt rücken, weitere sieben Darsteller vom diverCITYLAB, das sind migrantische Jungdarsteller, die am Projekt mitarbeiten.

Das klingt nach Realsatire: der demonstrativ politisch unkorrekte Houellebecq wird vom „diverCITYLAB“ gespielt.
Es gab im Vorfeld auch schwere Diskussionen. Ein Darsteller, ein Afghane, der in einer muslimischen Vereinigung ist, hat bei jeder Probe alles mehrfach infrage gestellt. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass es im Stück nicht darum geht, eine Religion schlecht aussteigen zu lassen, dass der Text nicht islamophob ist und dass, falls es in einem Stück eine islamophobe Figur gibt, deshalb nicht die Aussage islamophob ist.

Wurden Sie von der Aktualität ein bisschen überrollt? Haben Sie das Gefühl, Sie laufen der Realität hinterher?
Es gibt eine Textstelle, wo eine Figur in etwa sagt: Das ist das erste Mal, dass Schüsse in Paris fallen. Das ist aus heutiger Sicht anachronistisch. Mich hätte es interessiert, wie der Roman rezipiert worden wäre, hätte es kein Attentat auf Charlie Hebdo gegeben und kein zweites Attentat. Womöglich wäre er viel tiefer analysiert worden. Jetzt ist er sehr oberflächlich ausgelegt worden, man hat sich nur auf das „Islamische“ konzentriert. Auch bei mir gab es einen Moment, als das zweite Attentat kam, wo ich überlegt habe, ob man das jetzt noch machen soll. Weil sich die Zeiten verändert haben und weil der Roman benutzt wurde, um Angst zu schüren. Man hat das Buch darauf reduziert, dass jetzt die Moslems kommen. Das kann es doch nicht sein! Auch auf die Gefahr hin, dass das Thema jetzt auf eine sehr vordergründige Art und Weise auf sich aufmerksam macht, haben wir uns dazu entschieden, den Roman auf die Bühne zu bringen. Auch wenn die Leute sagen: Aha, jetzt haben wir die syrischen Flüchtlinge hier und 2020 einen muslimischen Bürgermeister. Darum geht es aber nicht!

Sondern?
Es geht darum, ein abendländisches Gesellschaftsmodell zu analysieren, das zum Scheitern verurteilt ist. Und es gibt verschiedene Wege, die von diesem Befund ausgehen. Es könnte auch nationalistisch werden. Auch der Front National behauptet, Auswege zu kennen.

Sie meinen also, dass die große Anziehungskraft eskapistisch-religiöser Angebote auf westliche Gesellschaften daher kommt, dass wir in Europa nichts anzubieten haben außer einer neo-liberalen Marktidee?
Genau. Das ist auch das, was Houellebecq immer wieder anspricht. Wir haben für die anstehenden Probleme als Politiker und linke Intellektuelle keine Lösungen anzubieten. Irgendwann werden wir es verspielt haben, dann gibt es nur mehr Extremisten.

Und der politischen Mitte bleibt nur der Opportunismus, also die Akzeptanz des anfänglich scheinbar Unmöglichen. Im Roman einigt man sich ja rasch darauf, den Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbieten.
Dazu kommt die Frage, die Houellebecq speziell aus der Perspektive des laizistischen Frankreichs stellt: Kann man ohne Glauben an etwas Übergeordnetes wie Gott das Leben bewerkstelligen?

Dafür haben wir nicht Houellebecq gebraucht, die meisten von uns haben in der Schule Camus gelesen.
Da schließt sich der Kreis. Denn bei Houellebecq heißt es: Ich habe Camus satt.

Können Sie mit dem Wort Werteverlust etwas anfangen?
In Sergej Minajews Roman „Seelenkalt“, den wir gezeigt haben, geht es um die die Putin-Generation, die sich irgendwann fragt: Früher war der Held unserer Generation jemand, der für uns gekämpft hat, damit Millionen Menschen den Winter überleben. Heute ist unser Held der Türsteher vor der Disco.

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