Unterwerfung bis zur Selbstaufgabe

"Geächtet" am Grazer Schauspielhaus - mit Benedikt Greiner als Amir, der sich angepasst hat, und Pascal Goffin als Abe, der seinen Stolz bewahren will.
Ayad Akhtars "Geächtet" als raffinierte Versuchsanordnung am Grazer Schauspielhaus.

Ayad Akhtar hat in seinem Stück "Geächtet" alles genau beschrieben. Der Schauplatz ist eine geräumige Wohnung an der Upper East Side in New York: "Hohe Decken, Parkettboden, Profilleisten. Das ganze Programm." Esstisch, dahinter Schwingtür zur Küche, Marmorkamin mit Schiwa-Statue auf dem Sims und so weiter. Hinten rechts eine Terrasse: "Hier sieht man in jeder Szene, zu welcher Jahreszeit sie spielt." Im Spätsommer und Herbst 2011, die vierte im Frühling 2012.

Die Erstaufführung im Burgtheater ist – zumindest vom Setting her – ganz und gar nicht naturalistisch. Bühnenbildner Stefan Hageneier serviert das Well-made-Play auf einer Art Tablett. Das Essen aber, bei dem der Konflikt zwischen dem Moslem und dem Juden brutal eskaliert, ist recht konventionelle Gesellschaftskomödie.

Am Grazer Schauspielhaus ging man weit raffinierter vor. Denn in das Stück involviert sind auch eine schöne, weiße Frau und eine Afroamerikanerin. Weil das kein Zufall sein kann, inszenierte Volker Hesse "Geächtet" als Versuchsanordnung im Labor: Das Publikum schaut quasi von oben in ein Labyrinth (von Stephan Mannteuffel), in dem sich Menschen als Mäuse tummeln.

Emily porträtiert ihren Partner Amir, der seine pakistanische Herkunft auslöschte, um als Anwalt in New York eine Chance zu haben, als Sklaven nach einem Bild von Velazquez. In Graz nicht mit dem Pinsel, sondern mit der Videokamera. Durch die Projektionen von Close-ups wird das aufgestellte Labyrinth zum großformatigen Bild.

Fabelhafte Idee

Hesse tappt zudem nicht in die vom Text nahegelegte Klischeejudenfalle, ganz im Gegenteil: Kurator Isaac, verkörpert von Florian Köhler, macht sich über sich selbst lustig, indem er zeitweise – wenn er z.B. über ein "fabelhaftes Buch" schwärmt – wie Marcel Reich-Ranicki redet.

Und weil das amüsante Schweinelende-Essen radikal aufs Skelett zusammengestrichen wurde, gewinnt die nachfolgende Szene, die in Wien beinahe untergeht, massiv an Bedeutung. In dieser erklärt Abe, der Neffe von Amir, warum er sich radikalisiert hat. Die Christen hätten die Moslems dazu gebracht, so zu sein wie sie: "Sie haben uns geächtet. Und jetzt tun sie so, als könnten sie unseren Zorn nicht verstehen."

Pascal Goffin hat bei diesen Sätzen Tränen in den Augen. Und auch Benedikt Greiner weint zum Schluss glaubhaft. Denn sein Amir hatte sich unterworfen – bis zur Selbstaufgabe. Eine erstaunliche Gesamtleistung.

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