"Über das Unglück, ein Grieche zu sein"

"Über das Unglück, ein Grieche zu sein"
Das Buch von Nikos Dimou erscheint jetzt auf Deutsch. Im Interview erklärt der Philosoph, weshalb die Griechen "ein Volk ohne Gesicht" sind.

Nestbeschmutzer, sagt der griechische Intellektuelle Nikos Dimou, sei er nicht, sein Büchlein beruhte auf Tatsachen.
"Über das Unglück, ein Grieche zu sein" wird in Griechenland seit drei Jahrzehnten immer wieder neu aufgelegt. In ferner Zukunft, hofft Dimou, werde es nur noch historischen Wert besitzen, bisher sei es unvermindert aktuell. "Weil die Problematik des Buches nichts mit der damaligen und auch nichts mit der heutigen Aktualität zu tun hat, sondern mit der Problematik der griechischen Seele, und die ändert sich nicht in 30 oder 40 Jahren."

Ein Klassiker. 193 Aphorismen auf knapp 70 Seiten. Ein philosophisches Buch. Ein Grieche, steht da, macht alles, um die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu vergrößern.

Rollenspiel

"Über das Unglück, ein Grieche zu sein"

Das Unglück habe zentral damit zu tun, dass die Griechen ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden haben.
Zitat: "Wir sind ein Volk ohne Gesicht. Ohne Identität. Nicht, weil wir kein Gesicht hätten. Sondern weil wir es nicht wagen, uns im Spiegel zu betrachten."

Die Identitäten seien aufgesetzt. Entweder man schlüpfe in die Rolle der "Antiken", das mache automatisch unglücklich. Oder man trage ein europäisches Gesicht, obwohl man zwischen West und Ost gespalten sei.
Dass Nikos Dimou der Blick von außen gelungen ist, hängt mit seiner Biografie zusammen. Dreisprachig erzogen (griechisch, englisch, französisch), studierte er in Deutschland Anglistik und Philosophie.

Sein Buch sei keine Abrechnung. Im Gegenteil, es sei aus Liebe entstanden und aus Sorge; und zwar während der Jahre der Militärdiktatur, als nationalistische Symbole die Freiheit ersetzt hatten und eine sterile Verherrlichung von Antike und Mythologie an die Stelle der Demokratie getreten war. Eine Schieflage, die Dimou herausforderte. Zunächst ohne Absicht, sie zu veröffentlichen, notierte er Gedanken über die Heimat.

Zitat: "Tief in uns glauben wir, dass wir es nicht wert sind, in einem so schönen Land zu leben. So versuchen wir, es, auf unseren Standard‘ zu bringen. Deshalb verbauen wir es mit Zement und Müll."

Seit 1975 wurden von seiner Publikumsbeschimpfung gut 100.000 Exemplare verkauft. Auf dem kleinen Buchmarkt und angesichts der unbequemen Wahrheiten sensationell – oder aber schlicht ein Missverständnis, wie der Autor im KURIER-Gespräch sinniert:
"Es wird als Humor verstanden. Aber es ist ein satirisches Buch, und Satire macht die Leute nicht glücklich. Satire ist bitter."

Roboter

37 Jahre nach dem ersten Erscheinen, kommt dem Büchlein die Rolle eines Botschafters zu. Nikos Dimou wünscht sich, die Übersetzung möge helfen, die griechische Mentalität in all ihrer Gespaltenheit zu verstehen. Und am Ende den Blick zu erweitern:
"Man sollte nicht alle Leute ähnlich machen wie Roboter. Der gute Europäer ist der Deutsche? Sollen alle wie die Deutschen werden? Nein, man soll Europa so modellieren, dass es das Beste aus den Völkern holt."
Kurz nachdem Dimous Buch in Griechenland auf den Markt kam, erschien übrigens eine Antwort darauf. Titel: "Über das Glück, ein Grieche zu sein". Das Buch hat bis heute nicht einmal die erste Auflage verkauft.

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