Udo Jürgens: Für alles im Leben ein Lied

Udo Jürgens: Für alles im Leben ein Lied
Am 30. September wird Udo Jürgens 80. Im KURIER gratuliert der deutsche Autor und Kult-Comedian Oliver Polak, von Kindheit an einer seiner größten Fans.

Oh, Mann, Udo, jetzt wirst du 80, und irgendwie bist du da, du warst schon immer da, wie ein Onkel, ein Familienmitglied, etwas Beständiges. Jemand, auf den man sich verlassen kann, etwas so Vertrauensvolles, etwas Wahrhaftiges.

Es umgibt einen eine weiche intensive Aura, wenn deine Musik erklingt. You are: stilvoll, elegant, always fresh.

Alle paar Jahre eine neue Platte, eine Tour – konsequent. Du, stetig und immer treu.

Ich kenne dich schon, seitdem ich neun war. Deine Musik ein, nein mein Soundtrack fürs Leben.

Udo Jürgens: Für alles im Leben ein Lied
ARCHIV - Der Musiker Udo Jürgens begleitet sich während seines Auftritts beim "Grand Prix d'Eurovision de la Chanson" 1966 in Luxemburg am Klavier. Der Schlagersänger feiert am 30.09.2014 seinen 80. Geburtstag. Foto: Ducklau/dpa (zu dpa-Korr «Merci für all die Evergreens - Udo Jürgens wird 80» vom 19.09.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Ein Leben ohne dich, deine Musik und Texte: unvorstellbar. Für mich, für viele, vielleicht für alle.

"Hautnah" war als Kassette im Autoradio des Mercedes meiner Eltern, immer wieder. Mindestens ein Jahr lang steckte die Kassette fest in unserem Autokassettendeck, und für alle war das okay.

Mein erstes Konzert von dir erlebte ich mit neun in der Weser Ems Halle Oldenburg. Am Konzertende auf dem Bühnenrand sitzend, meine Mutter hinter mir, du vor mir. Du hast mir die Hand geschüttelt, meine winzige Kinderhand – in deiner verschwitzten Popstar-Hand.

Danach konnte ich nicht schlafen. Ich baute mit Playmobil und Lego noch in der Nacht, nach unserer Begegnung, deine Show nach, die 1987er "Deinetwegen"-Tour, und ließ dazu die "Deinetwegen"-Kassette laufen. Ich konnte nicht schlafen.

"Wach sein im Traum – Wirklichkeit spüren – Hautnah".

Es war direkt privatim, persönlich, ehrlich, echt. Ein klarer Blick auf das, "Was wichtig ist".

Deine Musik ist alles, nur eines nicht: "Schlager". Sie ist: Chanson! Pop! Wahrhaftige Musik! Das bist DU. Du bist kein Schlagerstar, du bist ein Ausnahmemusiker, ein Weltstar.

Lieder, die du geschrieben hast: für Shirley Bassey, für Sammy Davis Jr., der deinen Song "If I Never Sing Another Song" in den letzten fünf Jahren seines Lebens als Finale jeder seiner Shows gespielt hat.

Udo Jürgens: Für alles im Leben ein Lied
"Der Mann mit dem Fagott (1)", Die russische Melodie eines Fagottspielers inspiriert den jungen Heinrich Bockelmann sein Glück in Moskau zu suchen. Als Bankier bringt er es zu Ansehen und Wohlstand. Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs gerät er in Gefangenschaft. Heinrich wagt eine abenteuerliche Flucht um seiner Familie nach Schweden zu folgen. Sein Enkel Udo versucht in den sechziger Jahren als Pianist und Sänger Fuß zu fassen. Die billigen Schlager der Zeit will er nicht singen und für anspruchsvollere Lieder gibt es kein Geld.Im Bild: Bei der Zugabe tritt Udo (Udo Jürgens) immer mit einem Bademantel auf. SENDUNG: ORF2 - DO - 29.09.2011 - 20:15 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/Graf Filmproduktion/Toni Muhr. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606
Dein Bademantel: niemals Ironie. Für jede Lebenssituation ein Lied, ein Song, eine Melodie von dir für uns, für mich.

Deine Texte: Mehr als jeder andere deutsche Text, oft sogar revolutionär. "Das "Ehrenwerte Haus", "Griechischer Wein", "Gehet hin und vermehret euch".

Auf dem Index

Deine Kritik an der katholischen Kirche: Dafür landete dein Song in Deutschland auf dem Index, was bedeutet, dass er im Radio verboten wurde. Ein Künstler mit Haltung: Unter- bzw. Überhaltung.

Ich konnte mit dir fühlen. Dein Song an deinen verstorbenen Vater, "Mein Baum", hat mich, einen kleinen Jungen, mit neun zum Weinen gebracht, mich mit dir fühlen lassen, hat mich gerührt, bis heute.

Deine Zeilen, die Worte, die du benutzt: So liebevoll, oft frei von jeglicher Ironie. Solidarität mit der Emotion. Kein Verstecken des "Ichs" hinter der Indifferenz des Herzens.

Mit dir konnte ich erleben "Was wirklich wichtig ist". In dein Gesicht ist eingegraben, was du fühlst, was du bist. Zuversicht, Angst, Schatten, Licht und so viel mehr.

Oft ist es so: Wenn man jemanden, den man lange angehimmelt, bewundert, geachtet, idealisiert hat, wenn man diesen Menschen dann trifft, ist es eine Enttäuschung. Not with Udo.

Als ich dich vor einigen Jahren treffen durfte, war es, wie ich mir immer erträumt hatte, dass es sein wird. Und noch viel schöner. Du warst liebevoll, aufmerksam, fokussiert, interessiert und charmant.

Genau: Du bist interessiert am Menschen, am Leben. Jede persönliche Begegnung mit dir: Man fühlt sich "Noch einmal 25".

Gerade in den letzten Jahren: Du bist auf deinen Platten kritischer als jede Punkband. Enttäuscht von der Politik, auch manchmal von den Menschen. Anprangernd, aber immer mit dem hoffnungsvollen Blick nach vorn. Kein Blatt vor deinem Mund.

Hoffnung, genau das ist es. Du stellst dich in den Dienst der Kunst, du lässt viele Menschen an dem teilhaben, wie du die Welt siehst, was du wahrnimmst. Und sie fühlen sich widergespiegelt in deinen Liedern. Sie kommen "Nach all den Jahren" in 100.000en Scharen, um dich zu sehen. Du setzt dich über das E & U hinweg.

Lampenfieber

Ein Glücksblitz durchfährt mich, wenn ich an dein letztes Konzert in Berlin denke. Ich blickte auf den blauen Rüschenvorhang, der die Bühne verdeckte, ein Vorhang wie in einem alten Theater. Dann wurde es dunkel und eine Klaviermelodie ertönte sehr laut, sehr lieblich, sehr weich. Der Vorhang blieb unten und man hörte dich aus dem Nichts singen:

"Noch drei Minuten – dann geht der Vorhang auf, dann steh ich auf der Bühne, das Spiel nimmt seinen Lauf. Das Lampenfieber kriecht langsam in mir hoch. Ich will es keinem zeigen, und jeder merkt es doch."

Deine Stimme schallte so laut, so nah aus den Boxen zu der ruhigen zuckersüßen Klaviermelodie. Bis auf ein, zwei schwache Scheinwerfer, die ein wenig Licht auf den blauen Vorhang warfen, lag der Saal im Dunkel. Gänsehaut und ein ganz tief berührendes, vertrautes beschütztes Gefühl.

"Noch zwei Minuten – wo steht denn mein Klavier? Gebt mir noch schnell die Noten, Wie heißt das erste Lied von mir?"

Das Klavier wurde von hinten beleuchtet, man sah den überdimensionalen Schatten auf dem blauen Vorhang.

"Ein paar Sekunden – die Scheinwerfer gehen an. Ich trockne meine Stirne und denke nicht daran. Die ersten Takte von meinem Auftrittslied ..."

Der Vorhang hob sich, die Scheinwerfer gingen an, das 30-köpfige Pepe-Lienhard-Orchester wurde sichtbar. Und dann warst du da. Tänzelnd, verspielt, graziöser als Sammy Davis Jr. seinerzeit. Standing Ovations. Das Orchester wurde wieder ruhig, verstummte bis auf die Klaviermelodie vom Anfang. Du auf der Bühnenmitte, ins Publikum schauend:

"Nun steh ich draußen – ich bin im Rampenlicht. Allein mit vielen Menschen, bin ich es oder nicht? Ich glaub, ich fliege, die Welt versinkt um mich. So ist es immer wieder und darum singe ich!"

Du hast den deutschen, den österreichischen Menschen Wärme, Geborgenheit, ja auch ein wenig Sicherheit in einer Zeit der permanenten Unsicherheit zurückgebracht, Sehnsucht, die Erlaubnis zu fühlen.

Vor der Pause wurden auf den Leinwänden Szenen aus dem Film "Der Mann mit dem Fagott", deiner Geschichte, gezeigt. Ich glaube, ich habe noch niemals so viele weinende deutsche Männer in einem Saal gesehen.

"Ich werde da sein", deine nächsten Tourneen besuchen, deine Platten kaufen, deine Musik in die Welt tragen. 4 ever. Mensch Udo, schön, dass du da bist. "Ein Narr sagt Dankeschön". Danke, Udo!

Udo Jürgens: Für alles im Leben ein Lied
Oliver Polak, Buchcover
Über den Autor: Oliver Polak, 1976 geboren, wurde u. a. mit „Ich darf das – ich bin Jude“ zum kultigen Stand-up-Comedian und Autor. Sein neues Buch, „Der jüdische Patient“, erscheint am 2. Oktober bei Kiepenheuer und Witsch

"Je t'aime" (1950): Mit dem Lied gewinnt der 16-jährige Udo Jürgen Bockelmann den Komponisten-Wettbewerb des Österreichischen Rundfunks.

"Siebzehn Jahr, blondes Haar" (1965): Der Hit wird zum Titel eines deutsch-italienischen Musikfilms, der 1966 in die Kinos kommt.

"Merci, Chérie" (1966): Der "Grand Prix"-Siegertitel wird ein Welthit mit Top-Positionen in mehr als 20 Ländern.

"Lieb Vaterland" (1971): Der an das Soldatenlied "Die Wacht am Rhein" von 1870 angelehnte Schlager kritisiert aktuelle politische Missstände.

"Helden, Helden" (1972): Das Musical nach einem Stück von George Bernard Shaw erlebt nach der Uraufführung in Wien eine erfolgreiche Tournee durch Mitteleuropa.

"Ein ehrenwertes Haus" (1975): In dem Schlager macht Jürgens spießbürgerliche Doppelmoral unter Nachbarn zum Thema.

"Griechischer Wein" (1975): Das Lied wird der Hit des Jahres. Der griechische Ministerpräsident Karamanlis empfängt Jürgens und Textdichter Michael Kunze in Athen.

"Aber bitte mit Sahne" (1976): Es beginnt als fröhliches Liedchen, in dem ältere Damen "zum Sturm auf das Kuchenbuffet" blasen - und nacheinander zum Opfer ihrer Tortenleidenschaft werden.

"Buenos dias, Argentina" (1978): Das mit der deutschen Nationalelf zur Fußball-WM aufgenommene Lied wird mit "Gold" nach fünf Wochen und "Platin" nach zwei Monaten Udos größter Hit.

"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an" (2000): Der Hit wird zum Titel der Tournee "Udo 2000", 440 000 Besucher kommen zu 107 Konzerten.

"Ich war noch niemals in New York" (2007): Ein ganzes Musical mit 23 Liedern von Udo Jürgens. Das Titellied war 1982 erstmals erschienen.

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