Tricky hat nichts mehr zu verlieren

„Adrian Thaws“ ist Trickys Taufname – und auch der seines brillanten neuen Albums.
Der Trip-Hop-Pionier erzählt im KURIER-Interview über Wohlstand, sein chaotisches Leben und wie er mit dem Motto "Weniger ist mehr" Stabilität gefunden hat.

Wer ist dran schuld, dass sich in England so viele Leute das Leben nicht mehr leisten können? Es ist David Cameron. Zur Hölle mit ihm!"

Es hat keine zwei Minuten gedauert, bis sich Tricky im KURIER-Interview in Rage geredet hat. Ausgangspunkt war sein heute, Freitag, erscheinendes Album "Adrian Thaws". Das ist so dämonisch und subversiv, wie man es von dem Trip-Hop-Pionier gewohnt ist, einmal mehr sofort einnehmend, aber auch etwas aggressiver.

"Es ist ein Album in der Art von Public Enemy", hatte Tricky es beschrieben. "Die hatten immer schon großen Einfluss auf mich. Es geht um Rebellion. Und da halte ich mich nicht zurück. Es ist ein Getto-Album. Und wer kreiert das Getto, in dem wir leben?", fragt Tricky. Der britische Premier sei schuld. "Er zerstört die Mittelklasse."

Nach 17 Jahren in New Jersey, Los Angeles und Paris, ist Tricky wieder nach England zurückgekehrt – und wurde sichtlich von den Zuständen überrascht: "Ich bin in der Arbeiterklasse aufgewachsen, und mein Vater sagte immer, die Politiker helfen dir nicht, die sind Feinde. Genauso fühlt es sich zur Zeit in London an. Deshalb sage ich mit dieser CD ,Fuck you!‘"

Keine Angst

Natürlich tut Tricky das in den Songs nicht ganz so explizit wie im Interview. So geht es in dem Song "My Palestine Girl" um die Probleme einer Beziehung zu jemandem, der im Gaza-Streifen lebt.

"Ich bin absolut dagegen, was Israel macht. Die bringen Frauen und Kinder um, unterbrechen die Wasserversorgung. Viele große Künstler sprechen über so etwas nicht, weil es – speziell in Amerika – ihrer Karriere schaden könnte. Aber ich habe da keine Angst."

Der 46-Jährige hat nichts mehr zu verlieren. Er hat schon alles verloren. Nach seinem Genre-definierenden Album "Maxinquaye" war Tricky "unglaublich wohlhabend". Aber nicht glücklicher: "Was hab ich mit dem Geld gemacht? Nur Blödsinn! Ich hatte ein riesiges Haus, einen Chauffeur. Ich habe für Wochenendtrips Flugzeuge gemietet. Lächerlich!"

Tricky hat nichts mehr zu verlieren
tricky - harvest of art - 2014 - florian wieser -
Jetzt wohnt er in einer Mietwohnung, fühlt sich so viel freier: "Meine Tochter ist 18, hat die Schule fertig, und ich muss nicht mehr für ihre Ausbildung zahlen. Und für mich – was brauche ich da? Ein Bett, einen Kasten, ein paar Sessel und einen Tisch für meinen Computer, der mein Studio ist. Ich brauche kein Haus mit fünf Zimmern. Ich will nicht an meinem Bankkonto arbeiten, ich will an mir selbst arbeiten."

Denn damit hat er endlich Stabilität gefunden: "Ich hatte keine Disziplin und lebte im Chaos. Aber jetzt krieg ich’s auf die Reihe. Das macht auch meine Musik stärker."

Bei der Musik geholfen hat diesmal auch Trickys Tochter Mazy. Der Spross aus der Beziehung zu Sängerin Martina Topley Bird ist Gast bei "Silver Tounge – When You Go". Aber auch sonst sind auf "Adrian Thaws" jede Menge weibliche Newcomer zu hören.

Weibliche Perspektive

"Nur Frauen können meine Musik richtig singen. Wenn Männer sie interpretieren, klingt das nach nichts. Denn ich schreibe aus einer weiblichen Perspektive – weil meine Mutter durch mich spricht. Sie hat sich das Leben genommen, als ich klein war, ich kannte sie nicht. Aber sie war Poetin – nicht professionell, aber ich habe ein paar handschriftliche Gedichte von ihr. Und wenn ich schreibe, habe ich oft das Gefühl, dass die Ideen von ihr kommen – von ihrer Liebe zu mir. Denn die besteht über den Tod hinaus."

So ist Liebe neben der Politik das zweite große Thema von "Adrian Thaws". Gibt es Konflikte mit den rebellischen Gedanken? "Ich glaube nicht an Gott, aber an die Liebe. Leider kann ich oft nicht leben, was ich predige. Ich kann ganz schön aggressiv werden, wenn mir jemand blöd kommt. Ich bin nicht der Typ, der die zweite Wange hinhält, wenn er geschlagen wird. Wenn ich gegen Cameron rebelliere, richtet sich mein Hass gegen einen bösen Typen – aus Liebe zu den Menschen, auf die er vergessen hat."

Karriere Tricky wurde am 27. Jänner 1968 als Adrian Nicholas Matthews Thaws in Bristol geboren. Seine Mutter beging Selbstmord, als er vier Jahre alt war, er wuchs bei seinen Großeltern und dem Onkel auf.

Erfolge 1995 veröffentlichte Tricky sein bahnbrechendes Solo-Album „Maxinquaye“. Der düstere, psychedelische Sound-Mix aus Hip-Hop, Soul und elektronischen Elementen gilt heute als Wegbereiter für Trip-Hop.

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