"Träum was Schönes": Fixiert auf "La Mamma"

Da war die Welt (fast) noch in Ordnung: Mutter  und Sohn beim Twist
Melancholisches Männer-Porträt von Regie-Veteran Marco Bellocchio.

"Träum was Schönes", flüstert die Mutter ins Ohr ihres kleinen Sohnes. Kurz darauf ist sie tot. Angeblich verstorben an einem Herzinfarkt.

Für den Sohn Massimo legt sich ab diesem Moment ein Schleier der Trauer übers Gemüt, der sich auch im Erwachsenenalter nicht wegwischen lässt: Seine Beziehungen führt er aus emotionaler Distanz, den Job als Journalist erledigt er wie ferngesteuert. Die innere Wunde hört nicht auf zu bluten.

Regie-Veteran Marco Bellocchio, Spezialist für unglückliche Familien, verteilt die Symptome dieser Fixierung auf "La Mamma" kunstvoll über mehrere Dekaden italienischer Geschichte.

Frenetisch beginnt er im Turin Ende der 60er Jahre, wo Mutter und Sohn begeistert zur Radiomusik durch die Wohnung twisten. Der Sixties-Look detailreicher, farbschöner Bilder ist sensationell, und man wünschte, die Szene würde nie enden, zumal auch die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ungetrübt scheint. Doch dann zeigen sich Risse im Liebesgefüge: Die Mutter kann plötzlich im Bus nicht mehr aufstehen; gerade noch lächelt sie, schon rinnen Tränen. Beim Versteckspiel mit dem Sohn bleibt sie so lange in Deckung, bis das Kind ängstlich zu weinen beginnt. Anzeichen eines manisch-depressiven Verhaltens, das Bellocchio ästhetisch treffsicher zwischen Melodram und Horror einbettet.

"Deine Mutter ist jetzt ein Schutzengel", plappert der Pfarrer, doch das Kind weist wütend jede kirchliche Tröstung zurück. Dann schon lieber an dämonische Figuren glauben, die er mit der Mama im Fernsehen sah.

Leserbrief

Bellocchio verweigert seiner Erzählung die Form abgerundeter Schlüssigkeit. Das Leben ist eben kein Genre-Film, sondern unvorhersehbare Achterbahn. Nie weiß man genau, in welchem Film man sich gerade befindet. Der erwachsene Massimo, gespielt von einem durchgehend deprimiert dreinblickenden Valerio Mastandrea, arbeitet als Journalist mal in der Innenpolitik, mal als Kriegsreporter in Sarajewo.

An jedem dieser Momente könnte der Film eine andere Wendung nehmen, sich zum Mafia-Thriller oder zur Kriegsreportage neigen. Stattdessen kehrt er immer wieder zu seinem verlorenen Helden zurück, dessen melancholische Mutter-Fixierung zu nerven beginnt. Als wäre Bellocchio auch dieser Meinung, lässt er einen Leserbrief in Massimos Redaktion flattern. Darin beschwert sich ein Mann wortreich über seine lieblose Mutter. Massimo beantwortet den Brief mit einem gefühlvollen Bericht aus dem eigenen Leben und lässt die italienische Nation in Tränen ausbrechen. Nur die Mama des Leserbriefschreibers bleibt kalt ("Muss ich dich jetzt umarmen, oder was?")

Dass gegen Ende Bérénice Bejo als rettender Engel in Massimos Leben erscheint, nimmt sich etwas "last minute" aus. Überhaupt läuft Bellocchios traumwandlerisches Männer-Porträt immer wieder Gefahr, in seine Einzelteile zu zerfallen. Aber letztlich macht gerade diese Verwaschenheit eines Ich-Entwurfes innig spürbar, was Doderer meinte, wenn er schrieb: Jeder bekommt seine Kindheit wie einen Eimer über den Kopf gestülpt. Erst später würde sich zeigen, was darin war: "Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter...".

INFO: I/F 2016. 131 Min. Von Marco Bellocchio. Mit Valerio Mastandrea, Bérénice Bejo .

KURIER-Wertung:

Was hätte das für ein superber Thriller werden können! Die Schauspieler sind alle – von Michael Fassbender bis Charlotte Gainsbourg – hochkarätig. Der Schwede Tomas Alfredson, brillanter Regisseur von Le Carrés "König, Dame, As, Spion", ein begnadeter Stilist. Der Roman, auf dem die Serienkiller-Story basiert, stammt vom norwegischen Bestseller-Autor Jo Nesbø, dessen wohl populärste Figur – Harry Hole – im Mittelpunkt steht. Martin Scorsese wird als Executive Producer genannt (ursprünglich hätte er Regie führen sollen) und Thelma Shoonmaker, Scorseses geniale Cutterin, hat den Film geschnitten.

Warum aus edlem Nordlicht-Thriller nur spannungslose Dutzendware wurde, ist schwer zu sagen. Vielleicht beginnt das Problem mit Fassbender selbst, dessen alkoholsüchtiger, am Rande der Bürgerlichkeit balancierende Polizist Harry niemals dramatische Form annimmt.

Was diesen Mann antreibt, bleibt unklar, irgendwie aber auch gleichgültig. Gainsbourg als seine Ex-Frau wandert abwesend durchs Filmset, als hätte sie etwas verloren, könnte sich aber nicht erinnern, was es war. Und der Killer wirft Schneebälle auf "unmoralische" Frauen, ehe er sie tötet. Angeblich ahnten die meisten Zuseher schon ab der Mitte, wer der Mörder sein könnte. Ich gehörte nicht zu denen, langweilig war es trotzdem.

Unbestritten: Alfredsons Bilder von der norwegischen Landschaft sind atemberaubend schön. Doch im zerfransten Handlungsgewirr entwickeln sie kaum jemals Spannung, sondern erstarren zu attraktiven Oberflächen.

INFO: GB/ USA/SWE 2017. 119 Min. Von Tomas Alfredson. Mit Michael Fassbender, Rebecca Ferguson, Charlotte Gainsbourg.

KURIER-Wertung:

"Träum was Schönes": Fixiert auf "La Mamma"
Uncharismatisch: Michael Dassbender als Polizist Harry Hole

Medien-Zyniker sprechen angesichts verheerender Verwüstungen durch Stürme und Feuersbrünste von "Katastrophen-Pornos", wenn Fernsehkameras allzu drastisch die Folgen von Naturkatastrophen zeigen. Insofern zeugt es nicht gerade von gutem Timing, diesen Blockbuster über eine weltumspannende Klimakatastrophe im Jahr der Hurrikane, Erdbeben und Überschwemmungen ins Kino zu bringen. Andererseits haben wir uns in Spielfilmen an solche Szenarien längst gewöhnt. Schon in den 90ern hatten Desaster-Filme Hochsaison: Mit "Twister", "Armageddon", oder "Deep Impact". Roland Emmerich hat das Weltuntergangs-Genre mit "The Day After Tomorrow" wiederbelebt.

Emmerichs langjähriger Co-Autor und Co-Produzent Dean Devlin hat nun mit aufwendigen CGI-Effekten "Geostorm" fürs Popkorn-Kino konstruiert. Er entwirft das Szenario von einem Netz von Satelliten, die das Weltklima überwachen und für Sicherheit garantieren sollen. Es kommt, wie es kommen muss: Das Überwachungssystem gerät außer Kontrolle. Nun sind wahre Helden gefragt wie Gerard Butler als Satellitenexperte, der den Fehler im System aufspüren soll. Als klar wird, dass ein Sabotage-Akt dahintersteckt, wird aus dem Ganzen ein Wettlauf mit der Zeit.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Katastrophe findet um der Spezialeffekte willen statt. Die Kamera nimmt dabei eine geradezu göttliche Position ein: Man kann das über die Erde hereinbrechende Desaster von ganz oben, quasi aus der Weltall-Perspektive, betrachten. Auch wenn man diverse Effekte ausnehmen kann, sind diese Untergangsszenarios höchst eindrucksvoll. Vielleicht geht ja sogar Donald Trump deswegen ins Kino und überdenkt seine Haltung zum Klimaschutz.

Die "Menschen-Darsteller" sind daneben auf ziemlich verlorenem Posten. Die Lacher, die sie auf ihrer Seite haben, sind nicht immer freiwillig evoziert. Das liegt vielleicht auch daran, dass dem Film – dessen Dreharbeiten 2014 begannen – laut Hollywood-Reporter für einen 15 Millionen Dollar teuren Nachdreh neue Dialogpassagen und mit Danny Cannon ein neuer Regisseur verpasst wurde. Der Roland Emmerich-Intimus Dean Devlin war zu dieser Zeit angeblich bereits mit einem anderen Projekt beschäftigt.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: USA 2017.109 Min. Von Dean Devlin. Mit Gerard Butler, Abbie Cornish, Mare Winningham.

"Träum was Schönes": Fixiert auf "La Mamma"
Gerard Butler im Wettlauf gegen die Zeit: „Geostorm“

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