Tori Amos: Im Bett mit den "toten Jungs"

Im Interview mit KURIER.at erklärt die Popmusikerin die Faszination von Bach und Schubert, sowie die Wichtigkeit von gutem Apfelstrudel.

Mit mehr als zwölf Millionen verkauften Tonträgern zählt die im englischen Cornwall lebende US-Amerikanerin Tori Amos zu den erfolgreichsten Künstlerinnen der vergangenen Jahrzehnte. 2011 veröffentlichte Amos mit "Night of Hunters" ihr erstes klassisch inspiriertes Album, das seit wenigen Tagen als digitaler Download auch in einer reinen Instrumental-Variante erhältlich ist. Im Interview mit KURIER.at plaudert sie über ihre Album- und Musical-Pläne für 2012 und verrät, warum Bach gefährlicher als Mozart ist.

Ihr aktuelles
Album „Night of Hunters“ basiert auf Variationen von klassischen Meisterwerken, u. a. von Bach, Schubert, Schumann und Chopin. Was konnten Sie aus dem Projekt mitnehmen?
Die Arbeit an Night of Hunters hat mein Leben als Komponistin verändert. In die Strukturen klassischer Meisterwerke wie Schuberts "Winterreise" hineinzuklettern, hat mir völlig neue Wege und Möglichkeiten aufgezeigt. Als Pianistin bin ich diesen Weg zwar früher schon gegangen, aber als Komponistin ist mir so ein Projekt bislang anmaßend vorgekommen – bis Deutsche Grammophon mit der Idee auf mich zukam.

Das Album ist als Liedzyklus in der Tradition Schuberts und Schumanns konzipiert, aber auch klar als Werk des 21. Jahrhunderts konzipiert. Warum haben Sie keine Stücke weiblicher Komponistinnen berücksichtigt?
Seit ich ein kleines Mädchen war, hat man mich immer wieder darauf hingewiesen, dass klassische Komponistinnen in der Gesellschaft nicht annähernd so respektiert sind wie männliche Komponisten. Variationen auf Stücke von Frauen zu schreiben, die kaum jemand kennt, war für mich keine Option. Ich fand es viel pointierter und auch sexy, wenn ich als Frau mit den toten Jungs ein Kind zeuge.

In Ihrer Musik begegnen wir häufig weiblichen Charakteren, die sich aus gesellschaftlichen und patriarchalischen Abhängigkeitsmustern zu befreien versuchen. Im Verlauf von „Night of Hunters“ hält die verletzte Protagonistin jedoch inne und stellt sich ihrem männlichen Gegenpart. Eine Versöhnung?
Es ist so einfach, dem anderen die Schuld zuzuschieben und nicht selber Verantwortung für das eigene Verhalten in einer Beziehung zu übernehmen. Warum sich die Frau am Anfang der Geschichte abwendet, wissen wir nicht. Im Schatten eines Mannes zu leben, bringt zu einem gewissen Teil Verbitterung mit sich. Gleichzeitig muss sich die Frau bewusst sein, welche Rolle ihr eigenes Verhalten in der Situation spielt.

Bringt der Abbau von gesellschaftlichen Zwängen und Pflichten mit sich, dass wir uns mehr und mehr zu einsamen Egozentrikern entwickeln?
Manchmal sind wir einfach zu bequem. Wenn etwas nicht funktioniert, sagt man heutzutage eher, das wird nichts, als dass man die Ärmel hochkrempelt. Dabei ist es so viel aufregender, mit einer Beziehung neue Ebenen zu durchbrechen, als alles hinzuschmeißen, nur weil es schwierig wird. Die Frage ist doch: Wie durchquert man die Wüste von Anfang bis zum Ende und sei dass nun mit Freunden, Arbeitskollegen oder der eigenen Beziehung.

Als Kind waren Sie für einige Jahre auf dem renommierten Peabody-Musikkonservatorium, um Klavier zu studieren. Wie stark waren Sie in den vergangenen Jahren noch in der klassischen Welt verwurzelt?
Als ich aus dem Konservatorium hinausgeschmissen wurde, ging meine klassische Ausbildung noch viele Jahre weiter, mit 15 etwa hatte ich einen tollen Profiklarinettisten in Washington als Lehrer, von dem ich viel über musikalische Strukturen gelernt habe. Mit 20 hab ich der Klassik-Welt dann aber tatsächlich den Rücken gekehrt und kaum mehr klassische Musik gespielt oder gehört.

Bei der Konzeption von „Night of Hunters“ haben Sie intensiv mit dem Musikwissenschaftler Alexander Buhr von Deutsche Grammophon zusammengearbeitet. Wie trafen Sie die Auswahl der Komponisten und Stücke?
Ich habe Stunden über Stunden klassische Musik gehört. Wenn mich ein Stück gepackt hat, habe ich versucht es in die Erzählstruktur des Albums einzubauen. Einige Werke, etwa von Händel und Mozart haben es nicht geschafft, weil der vorgesehene Platz schon belegt war.

Welcher Komponist hat Mozart aus dem Rennen geworfen?
Beim Stück „Edge of the Moon“ hab ich mich bewusst für Bach und gegen Mozart entschieden. Bei Mozarts Musik ist das Herz ja ohnehin immer offen. Da erschien es mir aufregender und gefährlicher, ein Stück des intellektuellen und mathematischen Bachs als romantisches Liebes-Lied zu konzipieren.

Die Instrumentierung ist für ein klassisches Oktett und Klavier angelegt. War das von Anfang an der Plan?
John Philip Shenale, der für die Arrangements verantwortlich zeichnet, zeigte sich von Strawinskys Suiten für kleines Orchester inspiriert. Aber auch der Rest meines Kreativteams und ich waren früh überzeugt, dass das Projekt ohne elektronische Instrumente auskommen muss. Wir wollten definitiv kein Prog-Rock-Projekt machen.

Im Herbst vergangenen Jahres haben Sie zum ersten Mal gemeinsam mit einem großen Orchester ein Konzert gegeben. Ist es einschüchternd, mit klassischen Profimusikern zu spielen?
Das Konzert mit dem Metropole Orchestra Ende 2010 war sehr lehrreich. Die wichtigste Lektion: Man kann mit einem Orchester live nicht einfach drauf los jammen. Wenn ich allein am Klavier bin oder mit meiner Band spiele, kann ich dazwischen improvisieren, um Energie zu tanken und Luft zu schnappen. Beim Konzert damals habe ich gemerkt, wie mir der Atem ausgeht. 

Inwiefern hatte diese Erfahrung Auswirkungen auf die Aufnahme von Night of Hunters?
Wir haben früh die Entscheidung getroffen, dass das Oktett erst aufgenommen wird, wenn mein Mastertape mit Gesang und Klavier steht. Es kann nicht sein, dass die Musiker im Studio perfekt spielen und ich die Emotion während der Aufnahme-Takes nicht richtig hinbekomme. Das konnte und wollte ich nicht riskieren.

Auf Tour wurden Sie in den vergangenen Monaten vom polnischen Streichquartett Appolon Musagète begleitet. Sind Sie überrascht, wieviel Energie klassische Musiker auf eine Bühne zaubern können?
Die vier jungen Musiker haben noch nie vor einem Publikum gespielt, das während des Konzerts begeistert an den Bühnenrand sprintet und seinen Emotionen freien Lauf lässt. Diese Erfahrung wirkt enorm aufputschend auf die Jungs und diese Energie geben Sie auch wieder an das Publikum zurück.

Tori Amos: Im Bett mit den "toten Jungs"

2011 war ein arbeitsintensives Jahr. Sie haben „Night of Hunters“ veröffentlicht, waren mehrere Monate auf Tour. Was kommt als nächstes?
Das Jahr 2012 markiert den 20. Geburtstag meines Debüt-Albums "Little Earthquakes". Für dieses Jubiläum haben wir einige der alten Songs für Orchester arrangiert und neu aufgenommen. Neben diesem Album, das wiederum auf Deutsche Grammophon erscheint, wird die Arbeit an meinem Musical weitergehen.

Zuletzt musste das Londoner National Theatre die für Frühling geplante Premiere von "The Light Princess" auf unbestimmte Zeit verschieben. Sie gehen dennoch davon aus, dass es ihr Musical auf die Bühne schafft?
Man bekommt nur einmal im Leben die Chance, sein erstes Musical gut und richtig zu machen. Gemeinsam mit Direktor Nick Heitner und der Regisseurin Marianne Elliott haben wir uns daher entschieden, noch Zeit in die Vorbereitung zu investieren. Die Probenarbeit hat noch nicht begonnen, aber im Februar wird es weitere Workshops mit dem Kreativteam geben. Das Musical ist definitiv noch nicht gestorben.

Wollen Sie schon etwas zum Inhalt verraten? Bisher ist ja nur bekannt, dass die Geschichte lose auf dem Märchen "Die Lichtprinzessin" von George MacDonald basiert.
Wie gesagt, vieles ist noch in Entwicklung. Soviel kann aber gesagt werden: Es ist kein Musical im herkömmlichen Sinn und wird eine enorm komplexe Produktion. Die Premiere zu verschieben halte ich daher für eine weise Entscheidung.

Abschließende Frage: Es heißt, dass Sie nicht zuletzt durch ihre Liebe zu Bösendorfer-Klavieren Wien sehr schätzen. Was gefällt Ihnen hier am besten?
Dass man überall zu jeder Tages- und Nachtzeit wunderbaren Apfelstrudel essen kann.




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