Thomas Vinterberg im KURIER-Interview

Thomas Vinterberg im KURIER-Interview
Thomas Vinterberg ist bühnenreif. Der Dogma-Filmer inszeniert am Akademietheater sein Stück "Die Kommune".

Die Burg eröffnet die Saison am 10. 9. mit einem Star. Des Kinos. Thomas Vinterberg zeigt nach "Das Begräbnis" 2010 ein Stück Jugend. In Orange.

KURIER: "Die Kommune" ist Ihre zweite Uraufführung an der Burg. Ihnen gefällt's hier.
Thomas Vinterberg: Das Haus hat mit Matthias Hartmann einen sehr innovativen, couragierten Chef. Er hat mich erst davon überzeugt, Theater zu machen. Das ist also nicht meine zweite Uraufführung, sondern überhaupt das zweite Mal in meinem Leben Theaterarbeit. Hartmann stellt mich auf dünnes Eis -, aber das imponiert mir, obwohl ich vielleicht untergehe. Ich habe mit "Das Fest" einen Film gemacht, der als Theaterstück um die Welt ging. Jetzt versuche ich es anders herum. Ich schreibe, während wir proben.

Wie funktioniert das?
Wunderbar. Hektisch. Die Schauspieler und ich haben vereinbart, dass es nichts Privates gibt, ab dem Moment, in dem sie auf der Bühne stehen. Also erzählen sie ihre Familiengeschichten, Momentaufnahmen des Lebens, und ich gestalte daraus den Text. Dessen generelles Thema ist Zusammengehörigkeit. In "Die Kommune" geht es um das Ende des Zusammengehörigkeitsgefühls, das Ende einer Zeit, einer Familie, einer Ideologie.

Sagt Ihnen der Name Otto Mühl etwas?
Ja. Und ich habe verstanden, dass die österreichische Idee von Kommunen sehr stark an seine Person und den von ihm verübten Kindesmissbrauch gebunden ist.

Sie sind in einer Kommune aufgewachsen.
Und bei uns gab es keinen Kindesmissbrauch. Da lebten einfach eine Menge verrückter Menschen in einem Haus, die versuchten, zu einer Sache eine Übereinkunft zu finden. Was
ihnen nie gelang. So ist mein Leben bis heute. Jede Filmcrew ist eine Kommune. "Dogma" ist auch nur ein Haufen Wahnsinniger, die gemeinsam von einer Klippe sprangen, in der Hoffnung, dass unten Wasser ist. Wir sagten damals: F*** you, wir versuchen's.

Ist der Begriff "Dogma" nicht seltsam für die Erfindung eines Hippie-Kindes?
Ja. Ein Hippie zu sein, bedeutete, sich für Freiheit und die Zerstörung von Regeln zu entscheiden. "Dogma" war auf verschiedenste Weise die Herstellung von Regeln. Ich habe ein Bedürfnis danach. Bis zu einem gewissen Grad. Ein Hippie-Kind zu sein, bedeutete nämlich auch, viel Unordnung ertragen zu müssen, emotionale und tatsächliche. Ich habe es gehasst, dass wir nicht zwei gleiche Gläser hatten. Die Kehrseite aller Freiheit, ist, dass man in dieser Vielzahl an Menschen leicht verschwinden kann. Und niemand merkt es. Ich habe Mutter und Vater oft vermisst.

Die Kommune ist keine dänische Erfindung, aber Kopenhagen hat immerhin den Freistaat Christiania, ...
... der in einem verheerenden Zustand ist. Drogendealer haben die Macht übernommen. Die letzten Hippies sitzen frustriert herum, die Regierung macht ihnen das Leben schwer. Trotzdem ist es unsere Nummer-eins-Touristenattraktion.

... sind die Dänen offener als die Österreicher?
Ja. An Wien stören mich am meisten die unfreundlichen Kellner. Ich gehe seit Monaten täglich ins Café Landtmann, und die Ober behandeln mich, als würden sie mich weder kennen noch jemals wiedersehen wollen.

Der herbe Charme der Wiener Kaffeehauskellner.
Von dem habe ich gehört. Trotzdem gewöhne ich mich nicht daran. Aber verstehen Sie mich recht: Ich mag Wien, vor allem, weil ich das Gefühl habe, hier schert man sich nicht um den Rest der Welt. Ihr raucht, ihr trinkt, wie es euch gefällt. Ihr habt in der Stadt kaum Kinos, dafür unzählige Theater. Ich liebe das.

Die Familie ist in Ihren Arbeiten als "Keimzelle der Gesellschaft" ein großes Thema.
Familie ist für mich etwas Biologisches, vor dem es kein Entrinnen gibt. Man ist Teil davon, ob man mag oder nicht. Es interessiert mich, wie Menschen mit der einzigen Einrichtung ihres Leben zurechtkommen, die sie sich nicht aussuchen können. "Das Fest" war entsprechend klaustrophobisch, mein Brüderfilm "Submarino" war das Sehnen nach Familie. "Die Kommune" ist nun ihre Desintegration, die Zerstörung.

Ich habe gelesen, Sie geben Ihren Arbeiten Farben?
Genau. "Die Kommune" ist voll Leben, sentimental, also orange, warm und matschig. "Submarino", eine kalte, grausame Story, war ein eisiges, klares Blau.

Und "Das Fest"?
War Schwarz. In Skandinavien haben wir großartige Künstler, Strindberg, Ibsen, Bergmann, die unserer Tradition, das Dunkle zu lieben, frönen. Das hat damit zu tun, dass wir so viele Monate das Sonnenlicht vermissen. In der Dunkelheit liegt aber das gute Drama. Wir lieben stillen Horror. Ihr aber auch: Haneke ist ein sehr präziser Beobachter des Grauens.

Mit "Dogma" erfanden Sie eine neue Art Filme. Wann erfinden Sie ein neues Theater?
Oh Gott! ( Er lacht. ) Ich muss erst einmal lernen, ein Stück zu schreiben. Am Theater bin ich Amateur.

Ihren nächsten Film ...?
... drehe ich im November. Ein finsterer Weihnachtsfilm, in dem eine Lüge, die immer weiterverbreitet wird, wahr wird und einen Menschen zerstört.

Zum Stück: "Die Kommune"

Inhalt: Zum zweiten Mal nach seiner "Fest"-Fortsetzung "Das Begräbnis" (nächste Vorstellung: 11. 9., Burgtheater) hat Vinterberg für Wien ein Stück geschrieben, das er auch inszeniert. In "Die Kommune" wird deren Gründerin von ihrem Mann verlassen, weil er eine Jüngere liebt. Emma zieht ein - und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Besetzung: Es spielen u. a. Regina Fritsch, Dorothee Hartinger, Dietmar König, Fabian Krüger, Joachim Meyerhoff, Tilo Nest.

Uraufführung: 10. 9., Akademietheater.

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