Mit Küchengeschirr und Rollator

Theater an der Wien
Peter Konwitschny inszeniert Giuseppe Verdis "Attila" (ab 7. Juli) im Theater an der Wien.

Nein, gemütlich wird das nicht. Denn wo Peter Konwitschny draufsteht, ist immer Brisanz drinnen. Kaum ein Regisseur polarisiert so wie der gebürtige Deutsche. Er wurde ausgebuht, niedergeschrien und sogar mit Tomaten beworfen. Doch viele seiner heftig angefeindeten Inszenierungen haben längst Kultstatus erreicht und gelten inzwischen völlig zurecht als künstlerische Meilensteine. Ob Konwitschny auch mit Giuseppe Verdis „Attila“ wieder ein großer Wurf gelingt, ist ab kommenden Sonntag im Theater an der Wien nachzuprüfen, wobei Konwitschny auch diesmal mit so allerlei Klischees aufräumen will. Ein Gespräch.

KURIER: Herr Konwitschny, „Attila“ gilt als eine jener Opern Verdis, in denen dieser die politische Vereinigung Italiens propagiert. Der Hunne Attila, der letztlich von einer Frau namens Odabella ermordet wird, soll angeblich für die Habsburgermonarchie stehen ...

Peter Konwitschny: Das sehe ich ganz und gar nicht so. Wenn man sich Attila und seine Gegenspieler genau ansieht, kommt man zu einem vernichtenden Befund. Der eine, Odabellas Geliebter, ist ein grenzenloser Feigling. Der andere, der Feldherr Ezio, ändert seine politische Meinung mindestens drei Mal und ist auf reines Machtstreben aus. Konsequent in seiner Haltung ist nur Attila. Und irgendwie auch Odabella. Die ist eine echte Rakete.

Was wollte Verdi dann mit dieser Oper aussagen?
Ich denke, Verdi zeigt hier, dass das Leben der Menschen immer von Krieg, von Machtspielen bestimmt wird. Das war zur Zeit der Uraufführung 1846 so, und das ist heute leider nicht anders. Die Figuren, die Verdi skizziert, sind alle Gefangene ihrer Vergangenheit, ihres Umfelds und ihres eigenen Ehrgeizes. Ich habe durchaus Sympathie für diesen Attila.

Mit Küchengeschirr und Rollator
Theater an der Wien
Der aber letztlich doch getötet wird ...
Das ist bei uns nicht ganz so. Bei uns wird ,Attila‘ auch zu einer Art Zeitreise. Am Anfang wird noch mit Küchengeschirr gekämpft. Dann kommt die schmerzliche Schwelle zum Erwachsenwerden, und jeder muss das tun, wozu er bestimmt ist. Die Waffen sind jetzt echt. Wir lassen die Protagonisten auch russisches Roulette spielen, mit einigen Toten. Am Ende sind dann alle abgekämpft, fahren mit Rollatoren im Altenheim herum, sind vielleicht dement. Der Kampf geht weiter, aber die Kraft zum Töten ist nicht mehr da.

Das klingt sehr pessimistisch.
Es spiegelt nur unsere Welt wieder. Janácek, den ich als Komponist ja sehr verehre, hat gemeint: Es gebe in jedem Menschen einen göttlichen Funken. Das glaube ich nicht ganz. In den Tieren ja! Aber in den Menschen? Da habe ich doch meine Zweifel.

Nach „Attila“ werden Sie in Österreich Janáceks „Jenufa“ an der Oper Graz inszenieren ...
Ja, ich freue mich sehr, dass die Zusammenarbeit mit Graz so schön weitergeht. Ich nehme mir jetzt überhaupt viel Janácek vor. Auch „Die Sache Makropulos“ wird kommen, vielleicht auch der „Herr Broucek“.

Für Wien haben Sie keine neuen Pläne?
Meine Inszenierung der „Traviata“ übersiedelt nächstes Jahr ins Theater an der Wien. Aber sonst gibt es noch nichts Konkretes. Ich bin ein Regisseur, dem eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit den diversen Häusern am Herzen liegt. So ein Umfeld wünsche ich mehr. Insofern bin ich am Theater an der Wien sehr glücklich, denn die Sänger und alle, alle ziehen an einem Strang.

Wie sieht es mit Sprechtheater aus? Sie haben zuletzt Goethes „Faust“ gemacht und damals gemeint: Mehr geht nicht mehr.
Ich weiß. Aber so ganz komme ich vom Sprechtheater doch nicht weg. Ich werde eine „Maria Stuart“ inszenieren. Und im Opernbereich bereite ich mich bereits auf Halévys „La Juive“ vor. Das liegt mir von der Musik her zwar nicht so nahe, aber das Thema interessiert mich. Die Frage nach Religion, den Umgang mir ihr und jede Art von Fundamentalismus ist erschreckend zeitgemäß.

Glauben Sie eigentlich daran, dass Oper, Theater oder die Kunst generell die Welt zum Positiven verändern können?
Ich bin da grundsätzlich vorsichtig. Aber man muss es zumindest probieren. Ich denke nämlich, eine Oper ist nicht einfach so ein Ding zum Sich-entspannt-Zurücklehnen. Das geht viel tiefer, das kann und das sollte sogar Lebensnerven treffen.

Verstörung inklusive?
Warum nicht? Das kann vorkommen. Aber es geht nie um Provokation, sondern immer um eine Annäherung an die Wahrheit. Und ich bin ja erst 68. Da kann also noch einiges kommen.

„Attila“ ist Giuseppe Verdis neunte Oper (in einem Prolog und drei Akten). Sie wurde 1846 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt. Das Libretto stammt Temistocle Solera und wurde von Francesco Maria Piave fertiggestellt. Als literarische Vorlage diente „Attila, König der Hunnen“ von Zacharias Werner. Verdi berichtete in einem Brief an eine Freundin nach der Uraufführung von einem „anständigen Erfolg“.

Die Oper spielt in Aquileia, in den adriatischen Lagunen und in Rom in der Mitte des 5. Jahrhunderts. Der heidnische Hunnenkönig Attila erobert Aquileia, lässt dessen Herrscher töten und will von hier aus Rom angreifen. Odabella, die Tochter des Herrschers von Aquileia, beeindruckt Attila mit ihrem Mut und ihrer Schönheit, sodass er um sie wirbt. Doch die stolze junge Frau will den Tod ihres Vaters rächen. Sowohl der römische Feldherr Ezio als auch Odabellas Geliebter Foresto wollen Attila töten. es ist schließlich Odabella, die Attila erdolcht.

Produktion

Im Theater an der Wien inszeniert Peter Konwitschny. Er deutet die Geschichte um den Hunnenkönig neu und versetzt sie ins Heute. Die Ausstattung stammt von Johannes Leiacker. Manfred Voss ist für das Licht zuständig, und Bettina Bartz ist für die Dramaturgie verantwortlich.

Riccardo Frizza dirigiert das ORF Radio-Symphonieorchester. Es singen: Dmitry Belosselsky (Attila), George Petean (Ezio), Lucrezia Garcia (Odabella), Nikolai Schukoff (Foresto), Stefan Cerny (Leone), Andrew Owens (Uldino) sowie der Arnold Schoenberg Chor und die Gumpoldskirchner Spatzen.

Premiere ist am 7. Juli um 19 Uhr. Weitere Termine: 10., 13., 16. und 18. Juli.

Als nächste Produktion von Peter Konwitschny ist im Juli 2014 im Theater an der Wien die legendäre Inszenierung von Verdis „La Traviata“ aus der Grazer Oper mit Marlis Petersen zu sehen.

www.theater-wien.at

Kommentare