"The Assassin": Martial-Arts der Melancholie

Unschlagbare Killerin mit einem sanften Herzen: Shu Qi als Schwertkämpferin Yinniang
Ein unfassbar schöner Film über eine Schwertkämpferin – Regie-Preis in Cannes 2015.

Der Genuss liegt in der Verzögerung. Nicht die Geschwindigkeit zählt, sondern alle Zeit der Welt. Darauf muss man sich einlassen: Auf die Erfindung der Langsamkeit und die Entfaltung ihrer unfassbaren Schönheit in vortrefflichen Bildern. Wo der gelernte Martial-Arts-Film beschleunigte Kampfchoreografien, fliegende Körper und sausende Schwertkämpfe verspricht, antwortet "The Assassin" mit zerdehnten Bewegungen, sorgsam arrangierten Tableaus und dem betörenden Spiel von Farben und Stoffen. Die Schwertkämpfe finden eher beiläufig als absichtsvoll statt. Ihre Bedeutsamkeit wird mehr angedeutet als ausgespielt – und manchmal brechen die Kämpfenden mittendrin ab und gehen ihrer Wege.

Dann wiederum schlägt die Handlung blitzartig ein und durchbohrt Abläufe mit tödlicher Schneidigkeit. Eine schwarz gekleidete, junge Schwertkämpferin taucht aus dem Nichts auf. Wie ein Windhauch fährt sie einem elegant gekleidetem Reiter an den Hals und durchtrennt ihm lautlos die Kehle.

Sie ist "The Assassin" – die Attentäterin, die im China des späten 9. Jahrhunderts ihre Kampfkunst ausübt. Yinniang wurde von einer Nonnenprinzessin zur perfekten Killerin ausgebildet und soll nun Tian, den Anführer des Weibo-Clans töten. Diesem Mann war sie ironischerweise als junges Mädchen zur Frau versprochen worden – und die Liebe zu ihm schlummert immer noch in ihr.

Makellos

Es ist kaum zu glauben, mit welch melancholischer Makellosigkeit der taiwanesische Regisseur Hou Hsiao-hsien seinen ersten "Wuxia"-Film ausschmückt. Er filme immer "wie auf Zehenspitzen, von der Seite", sagt Hou über sich. Meist beobachtet er aus der Distanz, etwa Lord Tian mit seiner Konkubine, in glühender Seidenrobe, umweht von zarter Spitze, die sich über die Linse zu legen scheint. Man möchte ihn wegschieben, diesen Schleier, um noch besser ins Innere der Paläste oder in die erhabenen Naturlandschaften sehen zu können, in denen Hou sein Drama implodieren lässt.

Du bist eine unschlagbare Kämpferin, sagt die Nonnenprinzessin zu ihrer Schülerin, aber dein Herz ist zu weich. Sanft schlägt es in diesem vibrierenden, traumtänzerischen Film.

Alexandra Seibel

INFO: TW/ CN/HK/F 2015. 105 Min. Von Hou Hsiao-hsien. Mit Shu Qi, Chang Chen, Zhou Yun.

KURIER-Wertung:

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Wieder bringt Horror die US-Kinokassen zum Klingeln. Bereits 2013 vollbrachte James Wans Retro-Grusel "The Conjuring" mit mehr als 40 Millionen Dollar am ersten Wochenende Einspielwunder. Auch Teil 2 bricht den Fluch der meist schlechter besuchten Fortsetzung mit dem gleichen Erfolg. Branchenblatt Variety orakelte, dass es der Christen-Horror-Hit des heurigen Jahres werden könnte. In jedem Fall bewies der Regisseur von "Saw" und "Insidious" erneut seine sichere Hand für Haunted-House-Nostalgie samt quietschenden Türen und klopfenden Poltergeistern.

Wie schon zuvor, beruhen die Ereignisse auf den Erlebnissen von Ed und Lorraine Warren, zwei historischen Persönlichkeiten, deren Dämonenjagd den Spuk-Klassiker "Amityville Horror" inspirierte. Patrick Wilson als Ed Warren und Vera Farmiga als grundgütige Ehefrau greifen erneut zur Bibel, um Geister aus den Schlafzimmern ihrer Klienten zu vertreiben. Diese befinden sich im London des Jahres 1977, wo eine alleinerziehende Mutter mit ihren vier Kindern unerwünschten Besuch vom Vormieter erhält. Zuerst knurrt nur der leere Lehnstuhl. Dann fährt ein Greis mit schlechten Zähnen in den Leib der elfjährigen Janet und verschafft sich mit krächzender Grabesstimme Gehör. Die Warrens eilen zu Hilfe, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Einzig Franka Potente als Parapsychologin glaubt nicht an den Spuk.

Wan fetzt mit zügigen Kamerafahrten durch nachtblaue Räume, lässt Kommoden durchs Zimmer zischen und klebt kreischende Menschen mit dämonischem Windhauch an die Wand. Der Old-School-Geist von Friedkins "Exorzist" weht ironielos durch Wans Bibel-Horror. Wenn es das Dämonische gibt, dann muss es auch einen Gott geben – so viel steht in "The Conjuring 2" fest.

INFO: USA 2016. 134 Min. Von James Wan. Mit Vera Farmiga, Patrick Wilson, Madison Wolfe.

KURIER-Wertung:

"The Assassin": Martial-Arts der Melancholie
Madison  Wolfe als Elfjährige, die von einem Geist besessen wird: Bibel-Horror-Hit „The Conjuring 2"

Die Liebesfront verläuft entlang der Peripherie von Europa: Vier junge Paare in vier Städten hat der Schweizer Filmemacher Jan Gassmann ins Auge gefasst. Sie leben in Tallinn, Dublin, Sevilla und Thessaloniki und fechten ihren täglichen Lebens- und Liebeskampf aus. Das junge Pärchen in Sevilla ist gerade frisch verliebt, doch schon nagt der Zweifel der Eifersucht. In Dublin bestimmt Heroin das Beziehungsleben und in Talinn kämpft eine junge Ehe mit dem Konzept der Patchworkfamilie. Dass in Europa – beginnend mit Arbeitslosigkeit – die Krise herrscht, dem hat "Europe, She Loves" wenig hinzuzufügen. Stattdessen gelingen Gassmann faszinierende Einblicke in intime Beziehungsdynamiken, denen die Krise eingeschrieben ist.

INFO: Schweiz/Deutschland 2016. 100 Minuten. Von Jan Gassmann.

KURIER-Wertung:

"The Assassin": Martial-Arts der Melancholie
Paarbeziehung in Sevilla: "Europe, She Loves"

Jake Gyllenhaal spielt den gut situierten New Yorker Investmentbanker Davis, der offenbar nicht nur seine Börsenkurse richtig gecheckt hat. Auch sonst scheint alles zu stimmen: Die Frau ist hübsch, die Karriere läuft, das Haus ist teuer eingerichtet. Alles scheint für Davis nach Plan zu laufen – bis er bei einem Autounfall seine Frau verliert. Als er sich im Krankenhaus mit einem Schokoriegel aus dem Automaten trösten will, streikt die Maschine. Davis schickt daraufhin einen Beschwerdebrief an die Herstellerfirma, der in seiner Unglaubwürdigkeit leider symptomatisch für das ganze Drehbuch ist: "Ich fand das unerhört, weil ich großen Hunger hatte. Und auch weil meine Frau zehn Minuten vorher verstorben war!"

Welcher Mann, der gerade Witwer geworden ist, würde so etwas schreiben? Der Brief landet jedenfalls bei Karen (Naomi Watts), einer alleinerziehenden Mutter. Gemeinsam mit ihrem Sohn Chris bringt sie Davis dazu, eine neue Existenz aufzubauen – und wie der Titel schon andeutet, hat der Verarbeitungsprozess seines alten Lebens viel mit Zerstörung zu tun. Jake Gyllenhaal gibt zwar als Schauspieler sein Bestes, aber das gekünstelte Rührstück bleibt seltsam leblos.

Text: Gabriele Flossmann.

INFO: Demolition – Lieben oder Leben. USA 2015. 101 Min. Von Jean-Marc Vallée. Mit Jake Gyllenhaal, Naomi Watts.

KURIER-Wertung:

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