"Tatort": Eine rätselhafte "Faust"

"Die Faust": Moritz Eisner und Bibi Fellner ermitteln.
Bibi Fellner und Moritz Eisner müssen einem Täter auf die Spur kommen, der keinerlei Spuren hinterlässt (ORF 2/20.15). Harald Krassnitzer über Experimente und Beobachtungen.

Auf die Attribute "experimentell", "anders", "schräg" regieren " Tatort"-Seher allergisch. Diese Abwehrreaktion hat wenig mit deren konservativer Vorliebe für Storytelling zu tun, sondern vielmehr mit den schlechten Drehbüchern und der mangelhaften Umsetzung dieser. Und so blicken viele Fans des "Tatort" auf ein durchwachsenes Krimijahr zurück. Man erinnere sich nur an den mit Laiendarstellern inszenierten Improvisations-"Tatort" "Babbeldasch" aus Ludwigshafen. Furchtbar.

Und nun zu Erfreulicherem: Heute, Sonntag, steht mit "Die Faust" um 20.15 Uhr auf ORF 2 ein neuer Fall für das Ermittlerduo Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) am Programm. Die Mordserie beginnt mit einer Wohnungsbesichtigung: Die Maklerin führt durch eine abgewohnte Altbauwohnung und stößt dabei auf eine an die Wand genagelte Männerleiche: Dusan Savic (Faris Rahoma), ein unter falscher Identität in Wien lebendes ehemaliges Mitglied einer serbischen Bürgerrechtsbewegung, die auch in der Ukraine und in Georgien tätig war. Es folgen weitere Morde, bei denen die Opfer spektakulär zur Schau gestellt werden: Weder der Täter, der keinerlei Spuren hinterlässt, noch die Opfer, die unter falscher Identität in Wien lebten, geben brauchbare Anhaltspunkte.

Abseits der Ermittlungen wird Eisner mit der Möglichkeit konfrontiert, in Zukunft ohne seine Bibi auskommen zu müssen. Denn sie bewirbt sich für die Leitung einer zweiten Mordkommission, die Oberst Ernst Rauter (Hubsi Kramer) aufstellen soll. Sie will sehen, ob in dieser Männerwelt eine Frau eine Führungsposition übernehmen könnte.

Der Favorit auf diesen Job ist für sie aber ein anderer – Kollege Steinwendtner (Dominik Maringer): "Er erfüllt alle Kriterien von einer Polizeikarriere: keine Ahnung, keine Skrupel, keine Titten", so Bibi gegenüber Eisner.

KURIER: Würde es für Eisner ohne Bibi eine Zukunft geben?Harald Krassnitzer: Darüber denke ich nicht nach. In "Faust" geht es in erster Linie nicht um einen möglichen Abschied von Bibi, sondern vielmehr darum, was passiert, wenn sich eine Frau für eine Führungsposition bewirbt. Wie reagieren die Kollegen? Welche Neider tauchen in so einem Fall auf? Welche Missgunst, welche Eitelkeiten treten plötzlich zutage? Auch Eisner hat damit zu kämpfen: Es stürzt ihn in einen Zwiespalt der Gefühle. Zum einen ist er stolz auf Bibi. Zum anderen ist er betrübt, weil sie gehen will. Die beiden verbindet ja mehr als eine Zweckgemeinschaft.

Sie haben bereits mehr als 40 Fälle gedreht. Wie viel Routine spielt bereits mit? Es kann nie zur Routine werden, da man am Set immer wieder mit anderen Leuten arbeitet. Die Regisseure und Drehbuchautoren wechseln ständig. Jeder Regisseur bringt dann seinen eigenen Stil mit, hat seine eigene Handschrift und Herangehensweise. Es gibt immer wieder neue Rahmenbedingungen und es wirken stets andere Schauspieler mit. Soll heißen: Jeder "Tatort"-Dreh ist anders.

Wie hat sich Ihre Rolle verändert, was macht den aktuellen Moritz Eisner aus? Er ist älter geworden. Aktuell machen ihm die zunehmende Verrohung, die zunehmende Gewaltbereitschaft große Sorgen. Das beunruhigt ihn. Er reagiert auf solche Vorfälle und Situation zwar nicht immer gelassen, aber ruhiger als noch vor einigen Jahren. Er versucht Probleme strategischer und intellektueller zu lösen. Dabei nimmt er sich mehr zurück als früher und gibt zuerst den kritischen Beobachter, bevor er handelt.

Sie geben auch im echten Leben gerne den kritischen Beobachter. Was sehen Sie gerade in Österreich? Ich beobachte eine neue Regierung, die sich zum Glück für Europa ausgesprochen hat. Ich bin der Meinung, man sollte sie jetzt einmal arbeiten lassen und sie nach den Ergebnissen bewerten. Jeden Schritt, jede Entscheidung sollte man mit wachsamen Auge verfolgen: Wo finden Veränderungen statt, die dieses Land zu einem besseren machen? Und wo gibt es gegenteilige Veränderungen? Es gibt Punkte im Regierungsübereinkommen, die mich irritieren: Die Wiedereinführung des fünfteilige Schulnotensystems in Volksschulen zum Beispiel. Da haben ja zahlreiche Studien gezeigt, dass eine alternative Benotung die Kinder stressfreier ans Lernen heranführt. Ich weiß nicht, was es für einen Vorteil hat, wenn man wieder Fünfer verteilt. Das motiviert niemanden. Ich bin auch gespannt, was beim Thema Arbeitslosigkeit bzw. Mindestsicherung herauskommt. Wenn der Staat bei einem Langzeitarbeitslosen auf sein Erspartes zugreifen kann, sind wir bei Hartz IV. Und das kann keiner wollen.

Es ist ja kein Geheimnis, dass Sie der SPÖ nahe sind. Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen "Ihrer" Partei? Innerhalb der SPÖ findet gerade ein Prozess der Veränderung, der Neuaufstellung statt. Meines Wissens nach trifft man sich nahezu täglich zu Gesprächen, um neue Strukturen zu erstellen. Die Frage der Zukunft muss lauten: Was ist die Aufgabe der Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert? Das ist ein Punkt, der andere ist die Oppositionsrolle, die man erst wieder lernen muss. Ich wünsche mir, dass sich die SPÖ mit den Herausforderungen der Zukunft beschäftigt – von der Globalisierung über Klimawandel bis hin zur Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter aufgeht. Überregionale Probleme kann man ohnehin nur auf europäischer Ebene lösen. Sich einigeln, abgrenzen wäre fatal.

Wie haben Ihnen die "Tatort"-Experimente des vergangenen Jahres gefallen? Die Experimente sind meiner Meinung allesamt nicht geglückt und haben auch eine ordentliche Breitseite von der Kritik bekommen. Es hat mich persönlich keines dieser Experimente vom Hocker gehauen. Mit dem großen Spektrum, das die "Tatort"-Reihe mit den unterschiedlichen Teams hat, sind solche Versuche aber auch locker zu verkraften. Es gibt bei solchen in die Hose gegangenen Fällen zwar immer kurz Aufregung, aber spätestens nächsten Sonntag, nach dem nächsten "Tatort", spricht kein Mensch mehr darüber.

"Die Faust" nennt sich der neue Fall aus Wien, der mit klugen Psychothriller-Elementen für Gänsehautmomente sorgt, ohne sich in expliziter Gewalt oder Effekthascherei zu verlieren. Die erste von zwei Austro-"Tatort"-Premieren in diesem Jahr überzeugt auf voller Länge mit einer Mischung aus gewohnt treffsicheren Pointen, einer beeindruckenden Kamera von Thomas W. Kiennast, der bereits Filme wie "Das finstere Tal" oder den Mehrteiler "Maximilian" mit seinem Handwerk veredelte, und ausgezeichneten Schnitten. Verantwortlich dafür: der österreichische Regisseur Christopher Schier, der "einen ganz eigenen Erzählstil hat", sagt Harald Krassnitzer. Dadurch gelinge es ihm auch, die sehr komplexe Materie, die enorm dichte, teils überladene Geschichte (Drehbuch: Mischa Zickler) auf den Punkt zu bringen. "Faust" ist bis zur letzten Minute spannend. Den unterhaltsamen Rest erledigen Eisner und Fellner.

"Tatort": Eine rätselhafte "Faust"
Moritz Eisner und Bibi Fellner stehen vor einem Rätsel.

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