Tabu-Bruch: Israelis spielten Wagner

Zum ersten Mal spielte ein israelisches Orchester Wagner in Deutschland - und das ausgerechnet in Bayreuth. In Israel sorgte das für geteiltes Echo.

Ein Tabu-Bruch im positiven Sinne: Mit dem "Siegfried-Idyll" hat ein israelisches Orchester am Dienstag erstmals in Deutschland ein Werk von Richard Wagner gespielt. Und das ausgerechnet in der Festspielstadt Bayreuth. Das Israel Chamber Orchestra und sein österreichischer Dirigent Roberto Paternostro sehen in dem Konzert ein Zeichen "der Annäherung, der Toleranz und eines offenen geschichtsbewussten Kulturaustausches zwischen unseren der Musik besonders verbundenen Ländern". Die Ankündigung des Konzerts hatte in Israel zu heftigen Diskussionen geführt. Wagners antisemitische Haltung ist dort noch immer präsent.

Der Weg von der Idee bis zum Konzert war laut Paternostro "sehr schwierig und sehr steinig". Er bekundete seinen Respekt "vor all denen, die durch die Hölle gegangen sind und sagen, wir wollen nichts mehr damit zu tun haben". Vor allem in der jungen Generation sei die Idee aber auf große Offenheit gestoßen. "Viele fanden es sehr gut und sagten, es sei an der Zeit, dass wir uns mit Wagner und seiner Musik auseinandersetzen, der die Brücke schlägt zwischen der Klassik und der Moderne." Bisher seien aber die wenigen Versuche gescheitert, Wagner in Israel zu spielen. Zwar wagten es Dirigenten wie Daniel Barenboim, das Tabu zu brechen, konnten den Boykott aber nicht wirklich beenden.

Schirmherrin Katharina Wagner

Richard Wagner und Bayreuth stehen aus der Sicht von Orchesterdirektorin Erella Talmi "zwischen Israelis und Deutschen wie ein Schatten des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte". Bayreuth und Wagner spielten eine besondere Rolle in der NS-Ideologie, räumt auch der Bayreuther Oberbürgermeister Michael Hohl (CSU) ein. Adolf Hitler war regelmäßig zu Gast bei der damaligen Festspielleiterin Winifred Wagner. Das Konzert ist für Hohl deshalb "ein später, symbolträchtiger Sieg der Toleranz, der Kunst und Kultur über die Barbarei der NS-Diktatur".

Auf Wunsch des Dirigenten hatte Festspielleiterin Katharina Wagner die Schirmherrschaft des Konzerts im Rahmen der Veranstaltungen zum 200. Geburtstag von Richard Wagners Schwiegervater Franz Liszt übernommen. Sie bezeichnete das Konzert am Tag nach der Eröffnung der 100. Richard-Wagner-Festspiele "als bedeutendes und zukunftsweisendes Signal". Neben dem "Siegfried-Idyll" wurden Werke des israelischen Komponisten Tzvi Avni sowie von Gustav Mahler, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Franz Liszt gespielt.

Geteiltes Medien-Echo in Israel

Das historische Konzert ist in Israel am Tag darauf auf ein geteiltes und sehr emotionales Echo gestoßen. "Schon während der ersten Akkorde der Hatikva (Hymne Israels) wurde klar, dass es sich um etwas Einzigartiges handelte", schrieb die Zeitung Haaretz. "Zweimal musste ich weinen, bei der Hatikva und bei Wagner", zitierte die Zeitung einen der Musiker und fügte hinzu: "Er war nicht der einzige".

Der gebürtige Wiener Paternostro, Kind aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden, sagte der Zeitung Haaretz, nicht jeder Schöpfer eines großen Kunstwerkes müsse notwendigerweise auch ein guter Mensch sein. "Es ist möglich, die Persönlichkeit des Komponisten von seiner Arbeit zu trennen", betonte Paternostro.

Kritik am Konzert fand sich hingegen in der Zeitung Jediot Achronot. In einem Gastkommentar fordert der Journalist Giulio Meotti, Wagners Musik müsse so lange verboten bleiben, wie der Holocaust geleugnet werde und "antisemitische Führer von Teheran bis Kairo zu einer neuen Shoa anstacheln". Noch extremer waren die Ansichten von etwa einem Dutzend Wagner-Gegnern bei einer Minidemonstration in Tel Aviv. "Indem sie Wagner spielen, sagen sie, okay, wir akzeptieren den Holocaust", zitierte die Zeitung Jerusalem Post den 18-jährigen Noy Dagan.

Diskussionen bereits im Vorfeld

Paternostro berichtete, es habe in Israel im Vorfeld beinahe eine Parlamentsanfrage gegeben mit dem Ziel, dem Orchester die staatlichen Subventionen zu streichen. Er sei auch persönlich angegriffen worden. Hauptkritiker war der 84-jährige Journalist und Auschwitz-Überlebende Noah Klieger, der das Parlament sogar aufgerufen hatte, die Reise des mit öffentlichen Geldern geförderten Orchesters zu verbieten. "Ich lasse mich aber nicht auf emotionale Diskussionen mit diesen Menschen ein", sagt der Dirigent unbeirrt. "Es ist mir klar, dass ein Teil der Weltanschauung Richard Wagners und die Beziehung Bayreuths zum NS-Regime nicht zu rechtfertigen und zu beschönigen sind."

Paternostro schloss aber nicht aus, dass eines Tages Wagners Werke auch in Israel gespielt werden. Somit sei das Konzert auch als musikalischer Brückenschlag zu verstehen. Er sei überzeugt davon, "dass nun (in Israel) eine Generation aufwächst, der wir die musikalische Bedeutung Wagners neu und differenziert vermitteln können, ohne alles Belastende und alle historische Verantwortung ausklammern zu wollen."

Kommentare