Staatsoper: Das Bühnen-Brei-Festspiel

Der Gral ist in Wien das Gehirn
Buhorkan für eine indiskutable Inszenierung von Richard Wagners "Parsifal"/Gute Sänger.

An Richard Wagners "Parsifal" zu scheitern, ist keine Schande. Es jedoch nicht einmal zu versuchen, es mit diesem Werk aufzunehmen, ist indiskutabel.

Was an der Wiener Staatsoper nun zu sehen ist, ist die Mutter alles Scheiterns. Ein szenischer Tiefpunkt auf der nach unten offenbar doch offenen Skala des Misslingens. Das Bühnenweihfestspiel wird hier zum Bühnen-Brei-Festspiel – zäh und langatmig, beliebig und belanglos.

Warum diese Radikalität in der Ablehnung? Weil "Parsifal" ein derart zentrales Werk in der Operngeschichte ist, die Meta-Oper schlechthin, der Schnittpunkt auf dem Horizont, wo die Erde aufhört und der Himmel beginnt – und weil leidenschaftlich Liebende besonders enttäuscht sind, wenn sie so etwas vorgesetzt bekommen.

Die Publikumsreaktion

Nach dem ersten Aufzug des "Parsifal" ist Applaus bekanntermaßen verpönt, was manche lächerlich finden, weil es das Sakrale zu stark in den Vordergrund rückt. Von einem Verbot von Buh-Rufen hat jedoch niemand etwas gesagt. Deshalb war es bei der Premiere fast überraschend, dass sich die zu diesem Zeitpunkt bereits empörten Besucher noch zurückhielten und sich der Proteststurm erst nach 5.15 Stunden entlud.

Dabei hatte der Abend wunderbar begonnen, und auch Semyon Bychkov, der Dirigent, hatte das Seine dazu beigetragen. Er schritt, als es noch hell war im Auditorium, durch die Musikerreihen, unterhielt sich kurz mit dem Zweiten Geiger Gerald Schubert, stieg aufs Podest, wartete, bis es dunkel wurde und begann dann mit dem so tiefsinnigen Vorspiel. Damit beraubte er sich selbst des Applauses, und das Werk, an dessen Anfang eine Pause steht, begann ähnlich wie in Bayreuth, wo man das Orchester nicht sieht und die Musik aus dem Nichts anhebt.

Das Dirigat

Auch musikalisch beeindruckte Bychkov zu Beginn zutiefst: Mit einem sensiblen Dirigat, mit klarem Fokus auf Klangschönheit und Farbenreichtum, mit einer differenzierten Gestaltung mithilfe des bestens disponierten Staatsopernorchesters. Dieser "Parsifal" war da bedeutend mehr Romantik als ein Türöffner zum 20. Jahrhundert, weit entfernt etwa von Pierre Boulez, der 2004 in Bayreuth die Produktion von Schlingensief geleitet hatte.

Im Zuge des musikalischen Marathons jedoch verlor sich Bychkov immer mehr in den Zeitebenen, im Raum-Zeit-Kontinuum, was ja bei "Parsifal" nicht nur verständlich, sondern sogar sympathisch ist. Allerdings schleppte er zwischendurch so sehr, dass er fast so langsam wurde wie das Bühnengeschehen, dass er das Nichts der Inszenierung nur noch durch ein Wenig zu ergänzen vermochte. Auch mit der dynamischen Differenzierung wollte es nicht mehr ganz klappen, sodass manche Passagen in einer Orchesterwucht untergingen.

Teile des Publikums reagierten auf den Dirigenten mit Applaus, Teile mit Ablehnung, Ihr Rezensent reiht sich, bei allen Bedenken und Einwänden, eher in die Reihe der Zustimmenden ein. Dennoch: Das geht besser.

Die Inszenierung

Das geht gar nicht – so lautet das Urteil über die Inszenierung von Alvis Hermanis. Er siedelt die Geschichte vom siechen Gralskönig und dem langen Warten auf den Erlöser in einer Nervenheilanstalt auf den Steinhof-Gründen an, im Wagner-Spital in Jugendstil-Ästhetik. Das gibt ihm die Möglichkeit, wieder eine güldene Protz-Ausstattung zu zeigen. Es ist nicht ganz so üppig wie bei seiner "Liebe der Danae"-Regie in Salzburg. Aber genauso platt und plakativ – wie auch zuletzt bei seiner "Madama Butterfly" an der Mailänder Scala. Als Bühnenbildner kann man über Hermanis in der Oper diskutieren, als Regisseur ist er ein Verweigerer.

Die Gralsritter sind bei ihm die psychisch Kranken, Kundry wird sogar ins Gitterbett gesperrt. Gurnemanz wird als Chefarzt gezeigt – allerdings in einer Biederkeit wie ein reiner Verwalter, als würde er sich um die vakant gewordene Stelle des Chefs des Wiener Krankenanstaltenverbundes bewerben. Gegenspieler Klingsor ist ebenso Mediziner, in seinem Glaskobel steht eine Freud-Couch. Es wirkt tatsächlich, als hätte jemand gegoogelt, welche Wien-Klischees die meisten Treffer brächten und die dann auf die Bühne gestellt – zusammenhanglos, willkürlich, ohne jeden Tiefgang.

Die Blumenmädchen sind besonders übel gezeichnet: Sie stehen in der Prosektur von den Toten auf und versuchen, Parsifal in Unterwäsche aus der Jugendstilzeit zu verführen. So wird das Werk jeder Erotik beraubt.

Nun könnte man über die Verlegung ins Otto-Wagner-Spital diskutieren (abgesehen davon, dass Spiele mit Namen, also mit Richard bzw. Otto Wagner, nur kindisch sind). Man fände gute Gründe, warum die Gralsritter eine kranke Gesellschaft sind; warum der Speer, der die Wunde des Amfortas heilt, ein medizinischer Durchbruch sein müsste; warum die wilde Reiterin Kundry am meisten durchgeknallt ist (was Nina Stemme im ersten Aufzug fabelhaft spielt).

Das Problem ist also nicht der Kunstgriff von Hermanis, die zeitliche Verlegung ins Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das Problem ist die Nicht-Gestaltung, die Nicht-Entwicklung einer Geschichte, die Stehpartie, die Fadesse. "Zum Raum wird hier die Zeit", heißt es im "Parsifal". Hier wird die lange Zeit szenisch zum Grauen.

Verwandlung im ersten Aufzug? Gibt es de facto nicht (zwei Seitenwände fahren ein, zwei neue aus, sonst nichts). Karfreitagszauber? Gibt es auch nicht (auf ein Poster werden ein paar Blumen projiziert, sonst nichts). Gralsenthüllung? Völlig uninteressant. Der Gral ist ein Gehirn, das von einer Art Käseglocke geschützt wird. Auch von der Decke senkt sich eine solche Goldhaube.

Klingsors Reich geht diesmal nicht unter. Am lächerlichsten ist der Speer, der in einem Gehirn, das auf einem Tisch lagert, steckt. Nein, sorry, am lächerlichsten sind am Ende die Helme der Gralsritter, wie aus "Wickie" oder "Asterix". Wie toll war angesichts dessen die Inszenierung von Christine Mielitz.

Die Sänger

Unter den Sängern ist der kurzfristig für Hans-Peter König eingesprungene René Pape überragend – er singt den Gurnemanz schön, nobel, wortdeutlich. Gerald Finley spielt als Amfortas berührend, er phrasiert prachtvoll, sein Bariton ist jedoch recht klein für diese Rolle. Nina Stemme ist eine hochdramatische Kundry mit starkem Vibrato und großer Präsenz. Christopher Ventris zieht als Parsifal die Rolle des reinen Toren konsequent durch, ohne jede Entwicklung, stimmlich ist er solide, sicher in der Höhe, wenn auch nicht facettenreich. Jochen Schmeckenbecher bleibt als gar nicht dämonischer Klingsor unauffällig. Der Chor singt präzise und mächtig. Titurel (Yongmin Park), die Blumenmädchen und die kleineren Rollen sind seriös besetzt.

Die Frage nach dem Warum dieser Produktion erschließt sich wieder nicht. Alles Theatralische auszusparen, keinerlei Risiko einzugehen, ist kein Konzept. Aber immerhin gibt es mehr Emotion im Zuschauerraum als auf der Bühne.

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