ESC

Song Contest: Politik, Propaganda & Protest

Bei der Jubiläumsausgabe in Wien steht diesbezüglich der armenische Beitrag im Fokus.
Eigentlich verboten, wurde und wird der ESC auch oft für politische Zwecke missbraucht.

Laut Reglement eigentlich verboten, und doch seit Jahrzehnten präsent: Der Eurovision Song Contest mag zwar als Unterhaltungsevent gelten, ist aber natürlich alles andere als unpolitisch. Ein Blick zurück offenbart siegreiche Anti-Kriegslieder, Boykotte von Veranstalterländern oder humoristische Kritikversuche. Bei der Jubiläumsausgabe in Wien steht diesbezüglich der armenische Beitrag im Fokus.

Song Contest: Politik, Propaganda & Protest
epa04743146 Members of the Band 'Genealogy' from Armenia pose for pictures during a press conference in Vienna, Austria, 11 May 2015. The final show of the Eurovision Song Contest will take place in Vienna on 23 May. EPA/ROBERT JAEGER Special Instructions
Denn die aus sechs Sängern bestehende Formation Genealogy geht in ihrem Beitrag "Face The Shadow" offenbar auf den Völkermord an Armeniern vor 100 Jahren ein. Jedenfalls musste der ursprüngliche Titel "Don't Deny" geändert werden, wiewohl diese Worte nach wie vor den zentralen Refrain bilden. Eine Besonderheit stellt letztlich auch die Zusammensetzung dar: Genealogy, was Ahnenforschung bedeutet, besteht aus sechs Sängern von allen Kontinenten mit armenischen Wurzeln. Im vor 100 Jahren verübten Massenmord an Armeniern im Osmanischen Reich sieht die Regierung Armeniens einen Völkermord, die Türkei lehnt diese Bezeichnung wiederum vehement ab.

Ein bisschen Frieden und keine Mauern; Politik beim ESC

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Lys Assia ist Ehrengast beim Finale des Eurovision
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EUROVISION 1961-JEAN-CLAUDE PASCAL
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ITALY SANREMO ITALIAN SONG FESTIVAL
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Ukraine's Verka Serduchka sings during the rehears
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GEORGIA ALTERNATIVE EUROVISION
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dapdSweden Loreen perform during rehearsal for the final show of the 2012 Eurovision Song Contest at the Baku Crystal Hall in Baku, Friday, May 25, 2012. The finals of the 2012 Eurovision Song Contest will be held at the stadium on May 26, 2012. (Foto:Ser
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Kopie von DENMARK EUROVISION SONG CONTEST 2014
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Conchita Wurst representing Austria acknowledges t
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AUFTRITT VON CONCHITA WURST VOR BAN KI-MOON
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AUSTRIA EUROVISION SONG CONTEST 2015
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EUROVISION SONG CONTEST 2015 - FINALE/RUSSLAND: P

Keine Politik während des ESC

Ob sich der Text aber nun darauf bezieht oder nicht - eine dezidiert politische Botschaft ist beim ESC nicht zugelassen. Den offiziellen Regularien zufolge sind "keine Texte, Ansprachen, Gesten von politischer oder ähnlicher Natur während des Eurovision Song Contest" erlaubt. Weiters heißt es: "Keine Botschaften, die Organisationen, Institutionen, politische Anliegen oder anderes, Unternehmen, Marken, Produkte bewerben, sind während der Shows oder innerhalb anderer, offizieller Eurovision Song Contest Räumlichkeiten erlaubt. Ein Brechen dieser Regel kann eine Disqualifikation zur Folge haben."

Propagandistisches Zeichen

Dabei war schon die Gründung des Eurovision Song Contest durchaus auch als propagandistisches Zeichen in Zeiten des aufblühenden Kalten Krieges gedacht, mit dem die Freiheit und Farbigkeit westlicher Weltkultur ins Schaufenster gehoben wurde. Und dass der Song Contest eine politische Plattform bieten kann, hat sich etwa 1969 in Madrid gezeigt: Die 14. Ausgabe des Wettbewerbs, bei der es mit Spanien, Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich gleich vier Erstplatzierte gegeben hat, wurde von Österreich aus Protest gegen die Franco-Diktatur boykottiert. Dass im Jahr zuvor die Spanierin Massiel Cliff Richards mit seinem Klassiker "Congratulations" ausstach, war gerüchtehalber nicht zuletzt auf üppige Franco-Zahlungen zurückzuführen.

Fünf Jahre später, 1974, wurde in Portugal das Abspielen von Paulo de Carvalhos wenige Tage zuvor performtem ESC-Beitrag "E Depois do Adeus" im Radio zum Geheimsignal für die Aufständischen gegen die Militärdiktatur, während die griechische Sängerin Mariza Koch 1976 mit ihrem gegen die türkische Invasion auf Zypern gerichtetem "Panaghia mou, panaghia mou" der Textkontrolle durchschlüpfte. Nach dem Fall der Mauer in den frühen 1990ern priesen viele Beiträge die Einheit Europas - wie etwa der Siegersong 1990 von Toto Cutugnio, "Insieme 1992".

Positive Sicht

So lassen sich politische Signale auch im positiven Sinne aussenden, etwa als die Türkei 2012 nach Aserbaidschan mit Can Bonomo einen schwulen, jüdischen Sänger schickte. Und auch mit einem Anti-Kriegslied, wie es die diesjährige ungarische Teilnehmerin Boggie ("Wars For Nothing") vorlegt, kann man beim Song Contest erfolgreich sein. Bestes Beispiel dafür ist das von ESC-Veteran Ralph Siegel komponierte und Bernd Meinunger getextete "Ein bißchen Frieden", mit dem Nicole 1982 inmitten der Nachrüstungsdebatte für Deutschland den ersten Titel holte.

Eine positive politische Konnotation war auch nach dem Zerfall Jugoslawiens zu erkennen, wie Karen Fricker von der kanadischen Brock University in der aktuellen Ausgabe der ORF-Public-Value-Schriftenreihe darlegt. "Die daraus neu entstandenen Länder sind in den frühen 1990er-Jahren rasch der EBU (European Broadcasting Union, Anm.) beigetreten und dem ESC. In den 2000er-Jahren wurden sie einige der enthusiastischsten und erfolgreichsten Teilnehmer des Wettbewerbs, wie auch Marija Serifovics Sieg für Serbien im Jahr 2007 unterstrich." Die ESC-Teilnahme quasi als Möglichkeit zur Imagepflege, ähnlich wie es auch dem wirtschaftlich angeschlagenen Irland mit seinen Triumphen in den 1980er- und 1990er-Jahren gelungen ist.

Humor als Werkzeug

Song Contest: Politik, Propaganda & Protest
epa01734231 Georgian group Stephane and 3G performs at the alternative Eurovision song festival in Tbilisi, Georgia, 17 May 2009. The musicians participating in the festival support Georgian group 3G, which was refused to take part in Eurovision contest in Moscow because of the words of their song 'we don't wanna put in'. EPA/STR
Humor als Werkzeug der Kritik wollte hingegen Georgien 2009 einsetzen: Als der Gesangswettbewerb in Moskau stattfand, plante der Nachbarstaat mit Stephane & 3G und dem Song "We Don't Wanna Put In" anzutreten - was, wie unschwer zu erkennen ist, auf Wladimir Putin, damals Ministerpräsident, abzielte. Da man den Text allerdings nicht ändern wollte, zog sich Georgien in diesem Jahr letztlich ganz vom Wettbewerb zurück.

Mit einem ähnlich gelagerten, weil lautmalerisch Kritik ausdrückenden Beitrag hat die ukrainische Sängerin Verka Serduchka, verkörpert vom Komiker Andrei Danilko, wiederum 2007 den zweiten Platz erobert. Der Song "Dancing Lasha Tumbai" wartete mit der sinnfreien Textstelle Lasha Tumbai auf, was von etlichen Zuschauern als "Russia Goodbye" verstanden wurde. Der Travestiestar hat eine solche Auslegung allerdings stets in Abrede gestellt. Bei den jüngsten ESC-Ausgaben ist Russlands Imageproblem aber auch im Publikum zum Vorschein getreten: Schon vor der umstrittenen Ukraine-Politik wurde das Land von vielen ESC-Enthusiasten wegen seiner homophoben Gesetzgebung argwöhnisch beäugt, was letztlich bei den Auftritten von russischen Teilnehmern in Pfeifkonzerten aus dem Publikum mündete.

Conchita

Song Contest: Politik, Propaganda & Protest
Interview mit Thomas Neuwirth, einem österreichischen Sänger und Travestiekünstler, der 2014 als Kunstfigur Conchita Wurst mit dem Song "Rise Like a Phoenix" den 59. Eurovision Song Contest für Österreich in Kopenhagen gewann. Wien am 08.05.2015.
Nicht zuletzt hat Conchita Wurst mit ihrem Sieg in Kopenhagen gezeigt, dass der Wettbewerb im sechsten Jahrzehnt seines Bestehens wieder vermehrt gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfährt. Ihr Triumphzug als Respekt und Toleranz einfordernde "Queen of Austria" hat die bärtige Sängerin unter anderem vor das Europaparlament in Brüssel und zu einem Treffen mit UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon geführt. Man sieht also: Der ESC wirkt sich bis in die internationale Politik aus.

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