So haben Sie die Welt nie gesehen

Twitter-Verbindungen aus Atlas unserer Zeit.
Der Geograf Alastair Bonnett zeigt 50 faszinierende Karten.

Geografen verschaffen sich gern einen Überblick. Dafür gehen sie oftmals einige Schritte zurück und betrachten das Problem von ein paar Kilometern Entfernung. Denn nur so lassen sich Phänomene unserer Zeit erfassen und verstehen.

Karten sind für die Lösung von komplexen Zusammenhängen ein bewährtes Hilfsmittel. Dabei gilt: Je größer der Maßstab, desto weniger spielen Kleinigkeiten eine Rolle; desto mehr wird der Blick auf das Gesamte geschärft. Die Weltkarte ist dabei die umfassendste Abbildung unseres Planeten. Mit ihr lassen sich die weltweite Artenvielfalt, Asteroideneinschläge bzw. die Verschmutzung der Meere übersichtlich darstellen.

Oder man kann damit unsichtbare Phänomene wie Zuckerkonsum, Luftverkehr oder Twitterkontakte sichtbar machen. Sie regen zur Fantasie an. Und erzählen die Geschichte hinter der Geschichte, wie Alastair Bonnett mit seinem neuen Buch "Atlas unserer Zeit" (DuMont) beweist. Der britische Sozialgeograf präsentierte dieses monumentale Werk kürzlich beim Festival "Cross the order", das von der Schule für Dichtung in Wien ausgerichtet wurde.

KURIER: Herr Bonnett, warum veröffentlichen Sie in Zeiten von Google Maps einen gedruckten Atlas?
Alastair Bonnett: Die Idee war, einige der vielen neuen Daten, die über uns und unsere Welt gesammelt werden, anzuzapfen und eine wunderbare Vielfalt an neuen Ansichten auf planetarer Ebene zu liefern. Es ist besonders wichtig, dass wir heute die Welt als Ganzes betrachten. Außerdem mögen die Leute immer noch Bücher: Sie können so gehalten und betrachtet werden, wie es via Smartphone nicht möglich ist.

Was können uns die Karten über unsere Zeit und über unsere Zukunft sagen?
Die Karten verdeutlichen, wie vernetzt wir sind, aber auch wie unwissend: Im Buch gibt es eine große Karte über jene Teile des Ozeans, für die wir kaum oder gar keine Daten haben – diese "schwarzen Flecken" sind riesig. Es gibt also noch viel, was wir herausfinden müssen.

Ein Sprichwort behauptet: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Gilt das auch für eine Landkarte?
Karten können mehr, als nur Text oder Bilder vermitteln – teilweise aufgrund unserer Fähigkeit, Zusammenhänge zu sehen. Karten sind wohl unsere älteste Form der Kommunikation: Es ist schon lange wichtig, Gefahren, Nahrung und andere Ressourcen geografisch zu verorten. Ich denke, wir Menschen haben uns über viele Jahrtausende als Kartenbenutzer entwickelt und heute ist das goldene Zeitalter dieser Fähigkeit.

So haben Sie die Welt nie gesehen
Energieflüsse aus Atlas unserer Zeit.

Was sind die Nachteile einer Karte?
Weltkarten lassen natürlich viel aus. Details, die entscheidend sind, werden ausgelassen. Weltkarten haben auch das Problem, von großen Ländern dominiert zu werden – kleine Länder erscheinen weniger wichtig als große, sie dominieren optisch die Weltkarten.

Welche Karte im Buch finden Sie besonders faszinierend?
Darauf gibt es keine klare Antwort, aber eine Weltkarte, die ich besonders mag, ist die der Nacht: diese kleinen Lichtstriche und Gasfackeln in den Tiefen Russlands – erstaunlich.

Welche Karte im Buch bringt Sie zum Schmunzeln?
Es ist nicht besonders lustig, aber ich habe eine Karte im Buch, die sich der Kontinentaldrift widmet und 300 Millionen Jahre vorausblickt. Die Vorhersage ist, dass dann alle Kontinente in einem Ort zusammengewachsen sind, den Wissenschaftler "Pangea Ultima" nennen. Und Sie können von Australien nach Chile laufen, ohne nass zu werden.

So haben Sie die Welt nie gesehen
Asteroiden-Einschläge aus Atlas unserer Zeit.

Welches Detail hat Sie am meisten überrascht?
Die Karte, die zeigt, wie wenige von uns heutzutage sagen können, dass sie "Meilen von jeder Zivilisation" entfernt leben. Zwei Drittel aller Anbauflächen sind "nur" zwei Stunden von einer Stadt entfernt: Wir sind heutzutage eine sehr städtische Welt.

Gibt es eine Karte, die optimistisch stimmt?
Die Karte über die Gesamtfruchtbarkeitsrate zeigt, dass in vielen Ländern die Geburtenrate sinkt. Es ist ein Zeichen für den Fortschritt der weiblichen Emanzipation und hoffentlich für die Eindämmung des Bevölkerungsdrucks auf die Umwelt.

Alastair Bonnett: „Atlas unserer Zeit“. Durchgehend farbig illustriert mit 50 Weltkarten. DuMont Verlag. 224 Seiten. 29,90 Euro

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