Sein oder nicht sein - oder gar twittern?

Auch irgendwie ein Selfie: Pavel Cernoch als "Hamlet"
Die Inhalte der Kultur sind kaum in Sozialmedien zu übersetzen. Das ist egal – und schlecht.

Jetzt startet der Festspielsommer in seiner vollsten Pracht: Nach den Bregenzer Festspielen (heute "Hamlet", morgen Wiederaufnahme von "Turandot" am See ) beginnen auch die Bayreuther ("Parsifal" am Montag) und Salzburger Festspiele (offiziell am 28. Juli, Programm schon ab Freitag).

Die künstlerische Bewertung des Gebotenen wird von kleinen Nuancen am allerhöchsten Niveau abhängig sein, dass überall Hochklassiges geboten wird, ist selbstverständlich. Ebenso, dass das Publikum Selfies vom Eintreffen vor den imposanten Kulissen und vom Dinner danach in die Welt hinausschicken wird.

So gut wie nichts aber, so darf man getrost prognostizieren, wird man auf den Sozialmedien über die Kunst, die Inhalte des Gebotenen lesen. Und das ist zugleich eine logische Sonderstellung der Kultur – und ein Dilemma, das eine bestehende Herausforderung verschärft. Denn schon jahrelang gibt es starke Bemühungen, neues, junges Publikum zum Hochkulturbesuch zu bewegen. Nicht zuletzt hierfür wäre eine Präsenz von kulturellen Inhalten auf den Sozialmedien wichtig.

Flaschenhals

Doch der Flaschenhals zwischen dem, was man etwa nach einer Dreistunden-Oper an Emotion und hoffentlich neuen Perspektiven in sich trägt, und 140 Zeichen auf Twitter ist eng, oftmals zu eng, um den Aufwand eines Tweets zu rechtfertigen.

Nicht so bei anderen Gebieten, die teils nicht minder komplex sind. Weltpolitik und Pokémon, Religion und Kleiderkauf – all das wird in den Sozialmedien behandelt (und ausgestritten).

Die Kultur aber findet sich vorwiegend in den kleinen Zirkeln der ausgewiesenen Opern-, Theater- und sonstigen Fans wieder. Was sich in die breite Online-Diskussion transportiert, sind Aufreger – Huch, Nackerte! – und Status-Updates im eigentlichen Sinn: Seht her, ich bin bei den Festspielen!

Die Präsenz kultureller Inhalte auf den Sozialmedien ist eine Frage, die man guten Gewissens als nebensächlich abtun kann: In den Werken werden die grundlegendsten Fragen des Menschseins – Liebe, Glaube, Hochmut und vieles mehr – verhandelt.

Was soll darüber schon auf Facebook passen?

Wenn die Werke selbst viel Zeit und herausragendes Schaffen benötigen, um ihre Komplexität zu entwickeln, ist es nur logisch, dass sich das nicht auf den schnellen Stakkato-Dialog der Sozialmedien überführen lässt.

Was geht das mich an?

Doch liegt die Kultur nicht so fern, wie man denken möchte. Es ist ja ihre ureigenste Eigenschaft, zu bewegen, emotional, gedanklich. Damit würde die Kultur gut in jenen Mechanismus passen, der durch Plattformen wie Facebook oder Twitter in den Vordergrund gerückt ist: Was geht das jetzt eigentlich mich an? Die persönliche Reaktion auf etwas – es ist relativ egal, was –, ist nämlich der Treibstoff der Social-Media-Diskussionen.

Wenn die Kultur in diesen vorkommen will, muss sie bei diesem Pingpong-Spiel von Vorlage und Reaktion mitspielen. Und es mangelt nicht an aktuellen Bezügen, nicht zuletzt bei den Sommerfestspielen. Viel Aufmerksamkeit erregte zuletzt die nicht eben neue Erkenntnis, dass im "Parsifal" ja auch der Islam eine Rolle spielt. Immerhin einer der Brennpunkte vieler aktueller Diskussionen, zu denen jeder eine Meinung hat (und fleißig postet).

Doch aus Wagners wunderbarem Fünf-Stunden-Gesamtkunstwerk, das mit den Worten "Erlösung dem Erlöser" endet, ist schwerlich eine Tweetvorlage für aktuelle Fragen über den Islam zu machen.

Wer wurde da gleich noch mal erlöst?

Instagram-Buhlschaft

Auch das erste Highlight in Salzburg, der "Jedermann" (ab Samstag), wäre durch dessen gnadenlose Selbstbezogenheit wie geschaffen für die Sozialmedien. Geld, Liebe, Leben, Glauben – alles da, was den Menschen so vor Probleme stellt; auch die Todesangst ist allemal einen Tweet wert.

Die Buhlschaft fände sich wohl auf Instagram wieder – jenem Dienst, bei dem es um Oberfläche und schöne Bilder geht.

Auch Hamlet stellt keine unwichtigen Fragen: #seinodernichtsein? Die "Turandot" wiederum entspricht zwar nicht unbedingt dem modernsten Frauenbild, aber sucht immerhin die Liebe.

Die Diskussionen in den Sozialmedien werden aber wohl andere sein: Zu viel passiert in der Welt, als dass sie sich um die tiefer gehenden Fragen drehen werden. Der Rest ist aufgeregtes Plappern?

Festspielinfo

Bregenz-Start am 20.7. mit der selten gespielten „Hamlet“-Oper von Franco Faccio im Festspielhaus. Ab 21. 7. Wiederaufnahme von Puccinis „Turandot“ am See.

Salzburg: Konzerte ab Freitag, „Jedermann“ (mit neuer Buhlschaft an der Seite von Cornelius Obonya) ab Samstag. Highlights u.a. Uraufführung von „The Exterminating Angel“ von Thomas Ades, Becketts „Endspiel“, Strauss' „Die Liebe der Danae“ und Gounods „Faust“. Anna Netrebko singt „Manon Lescaut“ (konzertant).

Bayreuth: „Parsifal“-Premiere zum Auftakt am 25.7. (Regie: Uwe Eric Laufenberg, Dirigent: Hartmut Haenchen)

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