Salzburger "Geburtstagsfeier": Virtuose Rätsel-Bewahrung

Andrea Wenzl (Lulu) in Harold Pinters "Die Geburtstagsfeier"
Harold Pinters "Geburtstagsfeier" bei den Salzburger Festspielen in Andrea Breths famoser Regie.

Schon nach der Pause blieben einige Sitze leer. Und am Ende, nach knapp drei Brutto-Stunden, konnten es einige gar nicht erwarten, aufzuspringen und das Landestheater zu verlassen. Der Schlussapplaus war kurz und verhalten, ein paar Bravos gab es für die Darsteller.

Regisseurin Andrea Breth hat einmal gesagt, man soll das Publikum anstrengen – dieses habe Eintritt bezahlt und ein Recht darauf, gefordert zu werden. Vor einigen Jahren plädierte Breth in einem KURIER-Interview dafür, "die Fremdheit der Geschichte zu erhalten. Man sollte nicht alles enträtseln. Es interessiert uns nicht im Theater, wenn alles ganz eindeutig ist."

Um die Fremdheit

Und genau das tut Breth bei den Salzburger Festspielen, wo sie Harold Pinters "Die Geburtstagsfeier" in Szene setzte, ein Stück, das damals, 1958, furchtbar durchfiel: Sie enträtselt es nicht, sie bewahrt seine Fremdheit. Darum geht es bei Pinter, diesem vielleicht rätselhaftesten Dramatiker: um die Fremdheit.

In "Die Geburtstagsfeier" werden wir in eine offenbar aus Zeit und Raum gefallene Strandpension versetzt (Bühnenbild-Großmeister Martin Zehetgruber zeigt uns eine biedere Stube, in die langsam der Sand, dürres Gras und ein altes Boot hineinwachsen). In dieser Pension wohnen Petey und seine Frau Meg, sowie der schlampige Langschläfer Stanley.

Stanley behauptet, Konzertpianist gewesen zu sein, warum er sich in dieser Pension versteckt, bleibt unklar. Er zahlt keine Miete, die Hausfrau ist ihm offenbar hörig. Der erste Akt vergeht mit quälenden Frühstücks-Ritualen und ebensolcher Konversation. Man fühlt sich an das absurde Theater von Eugene Ionesco erinnert – jeder redet am anderen vorbei.

In diese versandete Nicht-Idylle platzen zwei graue Herren (Goldberg und McCann) mit grauen Koffern, Handelsreisende des Grau-ens, mit dem ein wenig lächerlichen, aber nicht ungefährlichen Charme von Mafiakillern ausgestattet, die einmal wirklich gut waren, jetzt aber nur noch für den Einsatz in der Provinz taugen. Sie sprechen von einem Auftrag, sind offenbar hinter Stanley her.

In einem absurden Verhör und einem anschließenden Geburtstags-Besäufnis wird Stanley gedemütigt und psychisch gebrochen. Am nächsten Tag wird Stanley, frisiert und in einen grauen Anzug gefüllt, von Goldberg und McCann in einem schwarzen Auto weggebracht, "zu Monty", wie es kryptisch heißt.

Der Wirt Petey wagt einen Moment der Auflehnung, gibt aber sofort auf, als ihm angedeutet wird, er könnte der nächste sein. Seine Frau Meg tut so, als wäre nichts gewesen. Lulu, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, liegt wie eine Puppe mit verrenkten Gliedern im Sand, von Goldberg sexuell benützt.

In der Falle

Der Clou an diesem Stück, das nur aus falschen Fährten besteht und dem Autor vermutlich einen Heidenspaß beim Schreiben bereitet hat, ist dieser: Man wähnt sich in einem herkömmlichen Thriller-Setting und verhält sich automatisch so, wie man es als Krimi-Zuschauer gelernt hat. Man versucht, herauszufinden, wer hier der Böse ist und warum.

Dieser Versuch aber führt in die Falle: Was Stanley zu verbergen hat und warum Goldberg und McCann hinter ihm her sind, ist unerklärlich. Welche "Organisation" sie vertreten – einen Geheimdienst, die Mafia oder die übermächtige Religion – ist gleichgültig. Die Geschichte könnte auch aus einer Erzählung von Kafka stammen.

Sog oder Eitelkeit?

Andrea Breth erzählt das mit der für sie typischen, fast quälenden, nicht ganz uneitlen Genauigkeit. Lässt man sich darauf ein, dann entwickelt die Inszenierung (unterstützt von Bert Wredes unheimlichen Musik-Andeutungen) einen mächtigen Sog. Wer die Unternehmung als zu anstrengend und letztlich als leere Behauptung empfindet, der hat genauso recht – aber ihm entgeht ein tolles Theatererlebnis.

Roland Koch (ein aasiger Goldberg), Oliver Stokowski (der Ire McCann spricht hier Hessisch), Andrea Wenzl (als bereitwilliges sexuelles Opfer Lulu), Pierre Siegenthaler (als wortkarger Petey, der möglicherweise als einziger Durchblick hat), Nina Petri (als ihre Umgebung mit Cornflakes und Toast terrorisierende Wirtin) und Max Simonischek (als verschlurfter Stanley) spielen hervorragend. Allen Figuren ist gemein: Sie sind Täter und Opfer und letztlich allein.

Wie wir alle eh auch.

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