"Immer mehr ist nicht unser Thema"

„Sven ist der erste Intendant, bei dem ich den Eindruck habe, ich bin zu langsam“, sagt Rabl-Stadler über Bechtolf, den künstlerischen Chef
Salzburgs Festspiel-Präsidentin Rabl-Stadler und der künstlerische Leiter Bechtolf über ihre Pläne und über die budgetären Probleme.

Was bringt 2015? Eine neue künstlerische Leitung der Salzburger Festspiele. Sven-Eric Bechtolf verantwortet mit Präsidentin Helga Rabl-Stadler zwei Jahre lang das größte Festival der Welt.

KURIER: Herr Bechtolf, Sie sind einer der besten Schauspieler ...

Sven-Eric Bechtolf: Das stimmt nicht!

Doch, das stimmt. Sie sind zudem als Regisseur und jetzt auch als Intendant in der ersten Liga tätig. Das sind sehr unterschiedliche, manchmal einander ausschließende Jobs. Welcher ist der schlimmste?

Bechtolf: Oh Gott ... jeder einzelne wartet mit spezifischen Schrecken auf. Aber ich möchte etwas zur ersten Liga sagen: Dieser Begriff war mir immer etwas suspekt. Ich habe es lieber, wenn man eine Sache mit Hingabe betreibt und dann sieht, wo man landet. Sollte das die erste Liga sein, ist es herrlich – aber das ist ein Nebeneffekt und nicht die Hauptsache. Sonst steht man als ruchloser Karrierist da. Ich tue das ja aus Interesse und Leidenschaft – sonst hätte ich mich ja erschießen müssen ob der nicht unbeträchtlichen Gegenwinde.

Wenn Sie diese Jobs aber miteinander vergleichen ...

Bechtolf: Als Schauspieler muss man sich ununterbrochen zur Disposition stellen. Das kann überaus mühevoll sein. Und die innere Auseinandersetzung, die man mit den Rollen hat, kann über die Schmerzgrenze gehen. Das Theater ist ja ein Gemeinschaftsprodukt, und je älter man wird, desto schwieriger wird es, sich dieser Gemeinschaft immer wieder vollständig zu öffnen. Schauspieler ist ein Auslieferungsberuf.

Und jener des Regisseurs?

Bechtolf: Die Schrecken des Regisseurberufs bestehen darin, dass man eine liebevolle Verantwortung zu tragen hat für diejenigen, mit denen man zusammen arbeitet. Deshalb ist es so schrecklich, wenn man verhauen wird – weil man das Gefühl hat, man hat die Leute, die einem vertraut haben, möglicherweise in die falsche Richtung geleitet. Das kann mir durchaus schlaflose Nächte bereiten.

Wie schläft es sich als Festspielchef?

Bechtolf: Wenn man eine direktoriale Verantwortung übernimmt, ist es ähnlich. Auch hier geht es nicht um einen selber, sondern um den ganzen Apparat und vor allem um die Mitarbeiter. Ich möchte ja nicht als der in die Annalen eingehen, unter dem es sich am verdrießlichsten gearbeitet hat. Wir sind übers Jahr nur 212 Leute in Salzburg – und im Sommer plötzlich 5000. Auch dieses Wissen kann zu schlaflosen Nächten führen. Da ist es besonders schön, dass ich mit Helga ein so gutes Verhältnis habe.

Fazit: Alle drei Berufe haben ihre Schrecken und ihre Freuden.

Der wievielte Intendant ist Sven-Eric Bechtolf für Sie, Frau Präsidentin?

Rabl-Stadler: Der fünfte!

Wie hoch ist der Kuschelfaktor im Vergleich zu den anderen Intendanten?

Rabl-Stadler: Ich mag das Wort "kuscheln" im Beruf nicht. Ich mag nicht einmal mit jemandem kuscheln, den ich so mag wie den Sven. Ich glaube, es ist ungeheuer hilfreich, wenn man sich nicht vorsehen muss vor Attacken aus dem Hintergrund von seinem Kollegen. Nehmen wir das Beispiel Peter Ruzicka: Wir haben uns fünf Jahre total aufeinander verlassen, und das ist gut ausgegangen, hervorragend sogar mit dem Mozartjahr am Schluss. Wenn ein neuer Intendant kommt, heißt es immer, es beginnt eine neue Ära. Ich verwehre mich dagegen. Denn ob es eine Ära war, ist nur im Nachhinein festzustellen.

Mortier war eine, Ruzicka war eine, Flimm war keine.

Rabl-Stadler: Das haben Sie gesagt.

Bechtolf: Du klingst ein bisschen wie Elizabeth Taylor, wenn sie über ihre fünf verflossenen Ehemänner spricht ... Die Helga ist Gott sei Dank ein streitbarer Mensch, das bin ich auch. Angenehm ist, wenn man es einander zumuten darf, anderer Meinung zu sein – aber auch, gleicher Meinung zu sein.

Rabl-Stadler: Sven ist der erste Intendant, bei dem ich den Eindruck habe, ich bin zu langsam. Denn er hat stündlich eine neue Idee.

Das Wort Ära ist gefallen: Sie haben zwei Jahre – kann man da eine Ära begründen?

Bechtolf: Wir müssen ja keine Ära werden! Wir haben einen klar umrissenen Auftrag: Das Schiff Salzburger Festspiele zwei Jahre lang sicher zu segeln. Und wir machen das in schwierigsten Zeiten, was etwa die Subventionen angeht, ganz gut. Wir haben uns strategisch richtig eingestellt, indem wir einen neuen Programmrahmen gebaut haben. Sachliche Dinge sind viel wichtiger als die Frage, wie man einmal bewertet wird.

Aber man will ja auch nicht sagen: Wir sind nur ein Übergang.

Rabl-Stadler: Nein! Dieses Wort mag ich gar nicht.

Bechtolf: Wir wollen eine Handschrift zeigen.

Rabl-Stadler: Wir haben auch mit Markus Hinterhäuser (Intendant ab 2017, Anm.), mit dem wir beide befreundet sind, darüber geredet. Es würde ja keinen Sinn machen, würden wir zwei Jahre lang das Gegenteil von dem initiieren, was ihm für später vorschwebt. Wir waren uns alle drei einig: Wir wollen, dass die zeitgenössische Musik bei den Festspielen wesentlich ist. Zweitens wollen wir weg von dem Dogma "Nur Neues". Wir wollen, dass Produktionen, die sich als gut erwiesen haben, weiter bestehen – aus künstlerischen und ökonomischen Gründen. Dieses "immer mehr", das ist nicht unser Thema. Es ist ja interessant, dass Alexander Pereira gesagt hat, er möchte in Mailand das ganze Jahr Salzburger Festspiele machen. Er hat die Salzburger Festspiele um eine Woche verlängert, aber das ist immer noch zu wenig – er will ein ganzes Jahr.

Bechtolf: Schwer verkürzt könnte man sagen, Alexander war der Mann der Expansion, und wir sind die Leute der Konzentration.

Sie haben schon gesagt, es gibt 2015 Wiederaufnahmen – "Trovatore", "Rosenkavalier", "Norma". Es gibt anstelle der neuen Oper von György Kurtág, der nicht fertig geworden ist, Rihms "Eroberung von Mexico", dirigiert von Ingo Metzmacher, inszeniert von Peter Konwitschny ...

Bechtolf: Ich finde es nicht höflich, zu sagen, Kurtág ist wieder nicht fertig geworden. Ich war bei ihm, er arbeitet sehr konzentriert. Er hat sehr viel Material inzwischen. Aber er leistet sich mit 89 das Privileg zu sagen: Ich gebe nichts aus der Hand, was nicht so ist, wie ich es will.

Rabl-Stadler: Es kann dann sein, dass wir nächstes Jahr zwei Uraufführungen haben.

Die große Renommee-Produktion ist sicher "Fidelio" mit Jonas Kaufmann und Franz Welser-Möst am Pult. Welser-Möst, der Pereira den Da-Ponte-Zyklus abgesagt hat, ist damit wieder der am stärksten präsente Dirigent. Hat es zwischen Ihnen als Regisseur des Da-Ponte-Zyklus und Welser-Möst deshalb nie einen Bruch gegeben, Herr Bechtolf?

Bechtolf: Selbstverständlich gab es von mir eine Reaktion auf seine Absage – aber die hat unter vier Augen stattgefunden. Der "Rosenkavalier" ist in Welser-Mösts Händen unvergleichlich gut aufgehoben. Gleiches wird für den "Fidelio" gelten.

Beim Da-Ponte-Zyklus haben Sie den Dirigenten getauscht: Dan Ettinger dirigiert "Figaro". Ursprünglich hätte Christoph Eschenbach alle drei Opern leiten sollen.

Bechtolf: Das hatte dispositionelle Gründe. Ich bedauere, dass Christoph es nicht machen kann, gleichzeitig freue ich mich auf Dan Ettinger. Das ist natürlich in Absprache mit den Wiener Philharmonikern geschehen. Es wird ein Generationswechsel stattfinden. Es ist Zeit, den Dirigenten, die Mitte 40 sind, endlich die Tür aufzumachen.

Wucherzinsen für Subventionskredit

Die Festspielchefs über die budgetären Probleme, nötige Valorisierungen und das Schauspielprogramm.

Ein großes Thema in Salzburg ist immer das Geld. Die Subventionen wurden für die kommenden beiden Saisonen um 2,5 Millionen erhöht.

Rabl-Stadler: Das war ein harter Kampf, und wir sind sehr froh darüber, dass es so ausgegangen ist. Aber man darf nicht glauben, dass eine einmalige Erhöhung das Problem für alle Zeiten löst. Wenn wir keine Valorisierung bekommen, dann kann ein Betrieb mit 80 Prozent Personalkosten nicht ohne Defizit arbeiten. Wenn Markus Hinterhäuser 2017 anfängt, sind zwei Drittel des Mehrs an Subventionen durch die Personalkosten bereits aufgefressen. Dasselbe Problem hat die Burg und jedes andere Theater. Jede Universität bekommt selbstverständlich die Personalkosten valorisiert. Wir wollen ja nur eine Valorisierung des Zuschusses – der nicht einmal mehr die Personalkosten abdeckt.

Bechtolf: Wir bekommen bei einem Budget von 60 Millionen Euro jetzt 16 Millionen aus vier Händen, Bund, Land, Stadt und Tourismus-Förderungsfonds. Wir haben eine Eigenwirtschaftlichkeit von 80 Prozent. In jeder Branche gibt es Valorisierungen. Dass das in der Kunst nicht geschieht, ist absurd. Wenn man jedes Jahr 800.000 Euro verliert über die Tarif-Lohnerhöhungen, ist es völlig logisch, dass man das irgendwann nicht ausgleichen kann.

Rabl-Stadler: Kunst bezieht ihre Rechtfertigung nicht aus ihrer Rentabilität. Aber die Festspiele sind künstlerischer und ökonomischer Motor einer ganzen Region. Wir geben im selben Jahr an Abgaben mehr zurück, als wir an Subventionen bekommen. Man könnte sagen: Wir bekommen von der öffentlichen Hand einen Kredit, den wir im selben Jahr mit Wucherzinsen zurückzahlen. Das macht uns nicht vergleichbar mit anderen Kulturinstitutionen, die eine Eigenwirtschaftlichkeit von vielleicht 20 Prozent haben.

Sie bespielen nach langer Zeit wieder die Felsenreitschule mit einer Produktion, die als Teil des Schauspielprogramms läuft – mit der "Dreigroschenoper". Dafür gibt es nur drei Schauspiel-Premieren.

Bechtolf: Da muss ich etwas ausholen. Peter Stein bekam einen Haufen Geld, damit er die Felsenreitschule bespielen konnte.

Rabl-Stadler: Das waren 60 Millionen Schilling. Es hieß damals, man muss sich doch etwas leisten, wenn ein Mann wie Stein hier arbeitet. Inzwischen bekommt kein Schauspieldirektor etwas dazu, im Gegenteil, das Schauspiel muss Geld abliefern, um die Oper zu finanzieren. Jürgen Flimm nannte das die Opernsteuer.

Bechtolf: Und ich möchte wenigstens einmal in die Felsenreitschule hinein, weil sie ein einmaliger Raum ist. Damit wird es eine dermaßen riesige Produktion, nicht koproduziert, mit so vielen Leuten – dieser Aufwand wird wirklich festspielwürdig.

Rabl-Stadler: Das könnte die Sensation werden.

Bechtolf: Das wird so kostspielig wie sonst zwei Schauspielproduktionen im Landestheater. Im Jahr darauf werde ich wieder vier Schauspielproduktionen machen. Es gibt auch eine merkwürdige Haltung gegenüber dem Young Directors Project. Diese Reihe wurde von der Presse meist nicht sehr freundlich behandelt.

Und wird jetzt beweint.

Bechtolf: So ist es. Die, die nie reingegangen sind, werfen uns jetzt vor, dass es das nicht mehr gibt. Das ist absurd. Wenn wir wirklich junge Regisseure ranließen, hieß es: Nicht festspielwürdig. Holten wir etabliertere Leute, wurden wir dafür kritisiert. Ich bin guter Hoffnung, dass wir einen Sponsor finden für ein neues, anderes Format. Ich würde gerne Gastspiele internationaler Produktionen einladen, die ich ungewöhnlich finde. Das Schauspielprogramm sieht auf den ersten Blick vielleicht etwas mager aus. Aber es ist uns bei der "Dreigroschenoper" als ersten überhaupt gelungen, die Kurt-Weill-Foundation zur Erlaubnis für eine neue musikalische Fassung zu bewegen. Wenn diese Produktion einmal läuft und hoffentlich gut läuft, wird sich diese Frage nach der Abmagerung des Schauspielprogramms nicht mehr stellen.

Dennoch: Sie haben im Schauspielprogramm drei Klassiker aus unterschiedlichen Epochen – einen Shakespeare, einen Goethe, einen Brecht – da stellt sich natürlich die Frage: Wo bleibt die Zeitgenossenschaft?

Bechtolf: Da kann ich nur lakonisch antworten: Wenn man A sagt, kann man nicht immer B sagen. Es fehlen mir schlechterdings die Budgets.

Es gibt Überlegungen, Kartenpreise mit höherer Mehrwertsteuer zu belegen. Dagegen würde vermutlich auch Salzburg heftig protestieren.

Rabl-Stadler: Ich hoffe, dass man bei näherer Prüfung des Themas höheren Orts merken wird, dass wir dann alle eine Subventionserhöhung bräuchten. Ich denke da immer an meinen leider schon verstorbenen Freund Hans Landesmann zurück, der gesagt hat: Keinen Vorschuss auf Zores nehmen!

INFOS: www.salzburgfestival.at

Nicht nur in Salzburg setzt man im Sommer alljährlich auf hohe Kunst. Auch andere Festivals locken Besuchermassen an. In Österreich sind das vor allem die Bregenzer Festspiele,die 2015 in eine neue Zeit starten. Erstmals ist Elisabeth Sobotka als Intendantin (und Nachfolgerin von David Pountney) für das Spiel am Bodensee verantwortlich. Als Einstandsproduktion zeigt sie am See ab 22. Juli Puccinis "Turandot" in der Regie von Marco Arturo Marelli. Für Hochspannung ist auch im Festspielhaus gesorgt, wenn Regisseur Stefan Herheim ab 23. Juli seine moderne Sicht auf Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" präsentiert. Und für Freunde der zeitgenössischen Musik gibt es – statt der Reihe "Kunst aus der Zeit" – auf der Werkstattbühne ab 19. August die Oper "Der goldene Drache" von Peter Eötvös nach dem gleichnamigen Stück von Roland Schimmelpfennig.

Eine Neuproduktion steht in Bayreuth an: Festspielchefin Katharina Wagner setzt am Grünen Hügel Wagners "Tristan und Isolde" (ab 25. Juli) in Szene; Dirigent: Christian Thielemann.

Große Oper gibt es auch im Burgenland: Im Römersteinbruch St. Margarethen inszeniert Robert Dornhelm Puccinis "Tosca" (ab 8. Juli) in der Ausstattung von Amra Bergman. Im benachbarten Mörbisch setzt Intendantin Dagmar Schellenberger auf die Operette "Eine Nacht in Venedig" (ab 9. Juli) von Johann Strauß. Für klassische Musik auf höchstem Niveau steht im Juli und August wieder das von Starpianist Rudolf Buchbinder geleitete Musikfestival Grafenegg.

Oper in Wien

Auch in Wien starten die großen Häuser flott ins neue Jahr. So feiert das Theater an der Wien mit Bellinis "La straniera" am 14. und 16. Jänner eine Doppel-Premiere. In der Regie von Christof Loy sind Edita Gruberova (am 14. 1.) und Marlis Petersen (am 16. 1.) in der Titelpartie zu hören.

In der Volksoper gibt Rolando Villazón ab 17. Jänner mit Donizettis "Viva la Mamma" sein Wiener Regie-Debüt. Die Staatsoper bringt das Ballett "Verklungene Feste/Josephs Legende" (4. 2., Choreografie: John Neumeier); die nächste Opernpremiere (29. 3.) gilt der "Elektra" von Strauss in der Regie von Uwe Eric Laufenberg.

Bei den Wiener Festwochen (ab 14. Mai) inszeniert Andrea Breth Bartóks "Herzog Blaubarts Burg", kombiniert mit Schumanns "Geistervariationen" (19. 6.). Achim Freyer führt Regie bei Sciarrinos "Tödlicher Blume" (16. 5.).

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